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200. Geburtstag von Ludwig Bamberger
Revolutionär, Bankier, Politiker

Ludwig Bamberger

Ludwig Bamberger

Wenige verbinden mit dem Namen des vor zweihundert Jahren, am 22. Juli 1823, geborenen Ludwig Bamberger noch den Kämpfer in der 1848er-Revolution, den Mitbegründer der Deutschen Bank und der Reichsbank, den Verteidiger des Freihandels und liberalen Parlamentarier. Sein politisches Leben war geprägt von dramatischen Zäsuren, über mehrere Jahrzehnte gestaltete er die Politik mit und wurde einer der bekanntesten Liberalen. Doch so groß seine Verdienste für Deutschland und den Liberalismus sind, so gering fällt heute die Erinnerung an ihn aus. Dabei könnte sein Leben Vorbild und Mahnung zugleich sein. Der Sohn jüdischer Eltern wuchs in einem toleranten und liberalen Umfeld auf, das in Glaubensfragen „ganz und gar friedfertig“ war, wie er in seinen Erinnerungen festhielt. Sein Lebensende beschloss er dagegen in einer durch Antiliberalismus und Antisemitismus „verhetzten Zeit“, die ihn zuletzt politisch resignieren ließ.

Entschieden liberal

Aus Bambergers umfangreichen Schrifttum stammt ein besonders einprägsamer Satz: „Wer sein Glück probieren will, soll dahin gehen, wo große Konkurrenz ist.“ Damit zog er die Lehre aus Erfahrungen seines frühen Berufslebens. Von Verwandten und Freunden war ihm geraten worden, in Rotterdam ein Bankhaus zu gründen, denn dort gebe es bislang nur ein einziges nennenswertes Institut. Schon bald sollte er lernen, warum das so war: Die Stadt war damals noch kein groß ausgebauter Handelsplatz, es gab dort nicht viel zu verdienen, so dass das eine Geldinstitut genügte. Also verließ er 1852 Rotterdam nach nur zwei Jahren wieder und ließ sich in Paris nieder. Hier, wo es an Konkurrenz wahrhaftig nicht mangelte, machte er dann auch sein Glück als Bankier, konnte sich als wohlhabender Mann bald zur Ruhe setzen und ganz der Politik zuwenden. Konkurrenz belebt das Geschäft: Ein Kernsatz des Wirtschaftsliberalismus hatte sich bestätigt. Dem freiheitlichen Wirtschaften einen entsprechenden Rahmen zu schaffen, sollte zu den vordringlichen Zielen des Politikers Bamberger gehören.

Bamberger hatte in Gießen, Heidelberg und Göttingen Jura studiert und mit der Promotion abgeschlossen. Weil Juden im deutschen Staatsdienst keine Chance bekamen, wurde er journalistisch tätig und griff 1848 zunächst publizistisch in das Revolutionsgeschehen ein. Damals vertrat er eine entschieden demokratisch-republikanische Position, die freilich in der konstitutionellen Behäbigkeit des Frankfurter Parlaments nicht mehrheitsfähig wurde. Nach dem Scheitern folgte das Exil. Ein Gericht hatte ihn wegen Teilnahme an der pfälzischen Erhebung zu mehreren Jahren Haft, am Ende sogar zum Tode verurteilt. Erst 1867 kehrte er in seine Heimatstadt Mainz zurück. Verschiedene Motive gaben dafür den Ausschlag. Obwohl er sich in Paris ausgesprochen wohl fühlte, blieb Deutschland der Sehnsuchtsort. Als 1866 eine allgemeine Amnestie verkündet wurde, überlegte Bamberger nicht lange. Hinzu kam der „große Kampf der Liberalen“ um den deutschen Nationalstaat, den er von Frankreich aus gespannt verfolgt hatte. Bamberger zählte zu den energischen Befürwortern von Bismarcks Politik und schloss sich der Nationalliberalen Partei an. Mit der Einheit Deutschlands würde, so nahm er an, auch die Freiheit bald folgen. 1868 wurde er in das Zollparlament des Norddeutschen Bundes und 1871 in den Deutschen Reichstag gewählt.

Es folgten die „guten Jahre von 1868 bis etwa 1874“, wie Bamberger in seinen Erinnerungen festhielt. In diesen sechs Jahren fielen zentrale, von ihm nachdrücklich beförderte Entscheidungen. Hierzu zählten neben der Gründung einer deutschen Reichsbank die Einführung einer goldbasierten Währung und die Vereinheitlichung der Währung durch Einführung der Reichsmark. Damit waren die Grundlagen für die innere Homogenisierung und Stabilisierung wie für den wirtschaftlichen Aufstieg des Kaiserreichs geschaffen. In Wirtschaftsfragen vertrat Bamberger ein entschiedenes Manchestertum, d.h. den ungestörten Freihandel, dem der Staat wohl den nötigen Rahmen schaffen, aus dem er sich ansonsten aber herauszuhalten habe. Darüber geriet er über die Jahre mit Bismarck in scharfen Gegensatz. Der Reichskanzler betrieb im Jahrzehnt der Reichseinigung zwar eine Politik der wirtschaftlichen Liberalisierung, hielt aber zugleich an einer Schutzzollpolitik nach außen fest. Unter anderem über die Einführung hoher Getreidezölle 1879 zum Schutz der heimischen Agrarier kam es dann zum Bruch zwischen ihm und Bamberger. Über diese protektionistische Politik zerstritten sich auch die Nationalliberalen. Mit einigen Gesinnungsgenossen zog Bamberger die Konsequenzen, trennte sich von der Partei und gründete die Sezession, später „Liberale Vereinigung“. 1884 fusionierte man mit der linksliberalen Fortschrittspartei zur Deutschen Freisinnigen Partei.

Bamberger ging all diese Schritte mit, weil es ihm um die Aufrechterhaltung eines entschiedenen Liberalismus ging. Generell war ihm der staatsinterventionistische Zug bismarckscher Politik ein Gräuel, vor allem auf dem Gebiet der Sozialgesetzgebung. Bamberger verachtete die „auf dem ethisch-pathetischen Roß daher trabenden Ritter der Sozialpolitik“, die regelmäßig mit düsteren Berichten vom sozialen Elend der Arbeiterschaft ihre Forderungen nach vermehrter Unterstützung begründeten. Zuviel Wohlfahrt, meinte er, lähme die Initiative des einzelnen und führe zu dauerhafter Schwäche. Für Bamberger kam Bismarcks bescheidene Sozialpolitik dem Staatssozialismus schon bedenklich nahe. Auch wenn er das dahinterstehende Kalkül des Kanzlers begriff, die Arbeiterschaft in Abhängigkeit vom Staat zu bringen, denn: Wer Rente bekommt, macht keine Revolution – fürchtete er den damit eben auch einhergehenden Machtzuwachs des Staates.

Abhängig sein widerstrebte Bamberger zutiefst, dem Freiheit, Gleichberechtigung und Individualität hohe Güter waren. Als Jude war er damals von Staatswegen noch in vielem beschränkt, was seinen Wunsch nach größtmöglicher individueller Freiheit nährte. Dies war mit der Emanzipation des deutschen Judentums um die Mitte des Jahrhunderts zwar weitgehend verwirklicht worden, sah sich an dessen Ende aber schon wieder von Unfreiheit bedroht.

Bekenntnis zum Judentum

Den Anlass, sich öffentlich zur sogenannten Judenfrage zu äußern, bot ein Aufsatz des Berliner Historikers Heinrich von Treitschke in den Preußischen Jahrbüchern. Der im November 1879 erschienene Text „Unsere Aussichten“ zielte vordergründig auf eine Abrechnung mit dem Liberalismus, wandte sich aber in der Hauptsache gegen jüdische Deutsche. Die daran anschließende Auseinandersetzung ist als „Berliner Antisemitismusstreit“ in die Geschichte eingegangen. Die Schrift bestand aus einer Kompilation verschiedener judenfeindlicher Veröffentlichungen, die Treitschke mit einigem Geschick zu einem bösartigen Angriff auf das deutsche Judentum verdichtete. Die Bezeichnung Antisemitismus entstand in diesem Kontext, wonach der Unterschied zwischen Juden und Deutschen nicht allein religiös und kulturell, sondern vor allem rassisch begründet sei.

Ludwig Bamberger antwortete im Januar 1880 mit einem Aufsatz in der Monatsschrift „Unsere Zeit“, den er schlicht mit „Deutschthum und Judenthum“ überschrieb. Bis dahin hatte er sich kaum öffentlich zu seinem Herkommen geäußert, denn der Glaube spielte in seinem persönlichen Leben keine hervorragende Rolle. Nun forderte Treitschkes Polemik die Gegenpolemik heraus. Bamberger hatte den „gesellschaftlichen Sprengstoff“, der sich in der Entgegensetzung von Deutschen und Juden verbarg, unmittelbar erkannt. Ließe man sich auf die künstliche Trennung von Juden und Deutschen erst einmal ein, sei es bis zur Ausgrenzung der Minderheit nicht mehr weit. Bamberger fürchtete um die Errungenschaften von Aufklärung und Emanzipation und sah die Grundlagen der politischen Kultur in Deutschland ernstlich gefährdet.

Nationalismus, Antisemitismus und Antiliberalismus entfalteten sich seit den 1880er Jahren in Deutschland zu starken Zeitströmungen. Sie boten den Modernisierungsverlierern des langen 19. Jahrhunderts ein Ventil, um ihren Hass auf Politik und Gesellschaft loszuwerden. Dazu sorgte eine rasant wachsende Medienlandschaft für die Vermittlung divergierender Ansichten, oft genug in reißerischer, die Empörung steigernde Aufmachung. Das Kaiserreich war eine von Tempo geprägte Epoche, in der vieles rasch aufstieg, um ebenso schnell wieder abzusinken. Allein für Antisemitismus und Antiliberalismus galt das nicht. Juden und Liberale blieben, mal stärker, mal schwächer Feindbilder, die bis heute mit Anfechtungen zu kämpfen haben. Es macht also Sinn, beide Strömungen zusammenzudenken. Nach den Erfahrungen eines langen Lebens als liberaler Politiker verstand sich dies für Ludwig Bamberger von selbst. Er starb 1899 in Berlin, nachdem er sechs Jahre zuvor den Reichstag verlassen und mit einiger Resignation auf die Zersplitterung des parteipolitischen Liberalismus geblickt hatte. Ein großer Liberaler, der sich mit ganzer Kraft in den Dienst seines Landes und die Verwirklichung liberaler Ideale stellte.