Geistiges Eigentum
Schutz geistigen Eigentums muss neu verhandelt werden
Auf der Study Tour des Forum on the World Economic Order Program der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Washington diskutierte der Ökonom Thomas Straubhaar mit internationalen Experten über den Schutz geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter. In seiner daraus entstandenen Kolumne fordert er ein Neudenken und die politische Priorisierung des Schutzes geistigen Eigentums - zum Wohle der gesamten Gesellschaft.
Dieser Artikel erschien erstmals am 25. Juli auf welt.de.
In vielen Ferienländern findet man sie auf Schritt und Tritt. Auf offener Straße, Marktplätzen und in speziellen Läden können Urlauber für wenig Geld viel kaufen – Raubkopien von elektronischen Spielen, aktuelle Kinofilme und Musik oder gefälschte Markenprodukte und illegale Nachahmungen von Luxusartikeln – es gibt nichts, was Fälschern und Kopierern heilig wäre.
Und auch wer zu Hause bleibt, kann teilhaben, wenn illegale Streamingdienste online nahezu kostenlos neue Blockbuster-Filme anbieten, oft bevor sie in den Kinos zu sehen sind. Oder wenn Internethändler diskret alles anliefern, was sich Verbraucher wünschen, unbesehen davon, ob gewisse Produkte allen rechtsstaatlichen Erfordernissen in Deutschland genügen.
Marken- und Produktpiraterie sind im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung zu einem Massenphänomen geworden. In einem Bericht schätzt die OECD, dass gefälschte Markenprodukte und Raubkopien zusammen 2016 weltweit etwa 3,3 Prozent des Welthandels ausgemacht haben, was einem Handelswert von rund einer halben Billion Euro entspricht. 2013 waren es erst 2,5 Prozent gewesen.
Marken- und Produktpiraterie verursachen nicht nur in den Firmen immense Umsatzverluste in Milliardenhöhe. Aufgrund der Verflochtenheit mit Vor- und Zulieferern sowie Abnehmern und Einzelhandel entstehen auch gewaltige gesamtwirtschaftliche Folgekosten. So berechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, dass der deutschen Volkswirtschaft insgesamt Schäden in Höhe von jährlich 54,5 Milliarden Euro entstanden seien. Und als Folge von Produkt- und Markenpiraterie würden Deutschland rund 500.000 Vollzeitarbeitsplätze entgangen sein. Angesichts der betriebs- wie gesamtwirtschaftlichen Verluste ist es mehr als verständlich, dass weltweit und unisono Marken- und Patentrechte im Speziellen und geistiges Eigentum im Allgemeinen gegen Missbrauch, Raub, Fälschung und unlautere Nutzung geschützt werden. Dabei steht sicher der Schutz der betroffenen Firmen vor umsatzschädigenden Attacken bösartiger Wettbewerber im Vordergrund. Genauso aber geht es um Steuerausfälle in Milliardenhöhe, da illegale Aktivitäten am Fiskus vorbei ablaufen.
Nicht zuletzt gilt es auch, die lebensbedrohlichen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken zu beachten, wenn im Zuge von Marken- und Produktpiraterie gefälschte Medikamente ohne Wirkstoffe, missbräuchlich in Originalflaschen abgefüllter gepanschter Alkohol oder qualitativ schlechte Automobilzubehörteile an Verbraucher verkauft werden.
Der Schutz geistigen Eigentums dient jedoch nicht nur mikroökonomischen Interessen von Unternehmen und deren Kunden. Im Gegenteil. Beim Patent-, Marken- oder Verfahrensschutz laufen betriebs- und gesamtwirtschaftliche Vorteile, Profits und Benefits, Hand in Hand. Was den Unternehmen hilft, kommt nämlich auch der Gesellschaft insgesamt zugute. Würden Raubkopien und Fälschung Preis und damit Marge innovativer Produkte drücken, können es sich Unternehmen nicht mehr leisten, Zeit, Geld und Kreativität aufzubringen, um das Original zu entwickeln. Folglich würde es über kurz oder lang nur noch schwache Anreize für Produktinnovationen geben. Wird diese einfache Tatsache missachtet, verlieren die Tüftler und Erfinder, die um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht werden und deswegen weniger intensiv und mit geringerem Einsatz nach neuem Wissen, innovativen Lösungen und modernen Verfahren suchen, aber auch die Gesellschaft insgesamt, weil sie auf Innovationen verzichten muss.
Allerdings hat der Schutz geistigen Eigentums auch ökonomische Schattenseiten. Denn letztlich bedeutet er, so gut er auch gerechtfertigt ist – auch einen Schutz gegen Wettbewerb. Patente, Markenrechte oder Verfahrensregeln verhindern, dass andere, also Konkurrenten oder Newcomer, ohne große Kosten einfach kopieren und so Wissen und Kenntnisse nutzen, ohne dafür zu bezahlen und damit jene zu entschädigen, die etwas Neues gefunden und geschaffen haben. Aber sie lassen eben auch mit juristischer Hilfe künstliche ökonomische Monopole entstehen, die sich ihre Exklusivrechte gut bezahlen lassen und teilweise deftige Gewinne zulasten ihrer Kunden erzielen.
Monopolstellungen können auch dazu führen, dass sich das Innovationstempo verlangsamt und dynamische Außenseiter oder pfiffige Konkurrenten keine Chance für einen Markteintritt haben. Mehr denn je stellt sich im Zeitalter der Datenökonomie mit klugen Algorithmen und künstlicher Intelligenz die Frage, was genau mit dem Schutz von Eigentumsrechten wie lange vor wem zu schützen ist. Ist es das Endprodukt, der Prozess seiner Herstellung oder sind es – Daten, mathematische Formeln und das neue Wissen selbstlernender Systeme? Hier gilt es noch, die richtige Balance zu finden zwischen den Interessen der Tüftler, Start-ups und innovativer Firmen auf der einen und den Anliegen von Menschen auf der anderen Seite, deren Privatsphäre, deren Eigentum an persönlichen Daten und dem Kundeninteresse, nicht durch überhöhte Preise Unternehmensgewinne von Monopolen finanzieren zu müssen.
Deshalb sind viele Fragen zum Schutz geistigen Eigentums neu zu stellen. Wer deren Antworten und die Regeln bestimmen wird, wessen Eigentumsrechte wie lange zu schützen sind, wird die Standards des 21. Jahrhunderts setzen. Zwischen dem Finanzkapitalismus eines Donald Trump und dem autoritären Staatskapitalismus Chinas tobt ein Kampf darüber, wer das Sagen hat und wer sich die Schürfrechte des digitalen Goldrauschs sichert. In Europa hingegen hält das Geschacher um die Verteilung von Ämtern und Posten Politik, Öffentlichkeit und Medien auf Trab. Das jedoch dürften wohl kaum die richtigen Prioritäten für nachhaltige Erfolge europäischer Firmen und der Gesellschaft insgesamt sein.