Tbilisi Pride
Sicherheitslage in Georgien: „Marsch der Würde“ abgesagt
Aufgrund der seit vergangener Woche andauernden Demonstrationen und der damit verbundenen angespannten Sicherheitslage, haben sich die Organisatoren der ersten Tbilisi Pride dazu entschlossen, den für den vergangenen Samstag geplanten „Marsch der Würde“ (March of Dignity) auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Er sollte Höhepunkt und Abschluss der ersten Tbilisi Pride Week werden. Peter-Andreas Bochmann, Projektleiter der Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus berichtet über die Stimmung im Land und die aktuellen Entwicklungen.
„Ein georgischer Mann trägt keinen Ohrring,“ diesen Worten folgend, wurde ein junger Mann mitten im Berufsverkehr in der Metro-Station Rustaweli im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tbilisi verprügelt. Kurze Zeit später und nur wenige Meter entfernt im Vera-Park, ereilte das gleiche Schicksal einen ausländischen Touristen, der einigen Männern nicht „adäquat“ gekleidet erschien.
Das sind zwei kleine Meldungen in den georgischen Medien der vergangenen Woche – der Woche, in der die erste „Pride“ in Tbilisi stattgefunden hat. Unabhängig davon, ob die beiden Opfer zur queeren Community gehörten oder nicht – sind diese Vorfälle leider charakteristisch für die zurzeit sehr aufgeheizte Stimmung im Land und die Gefahren und Widerstände, mit denen sich die LGBTQI-Community in Georgien konfrontiert sieht.
Systematische Stimmungsmache
Systematisch wurde im Vorfeld Stimmung gegen die Veranstaltungen und den Marsch gemacht. Einer der Hauptakteure: Der vermögende georgische Geschäftsmann Levan Vasadze mit – nach Aussagen verschiedener Oppositionspolitiker – sehr guten Kontakten nach Moskau. Er hatte, in traditioneller Nationaltracht gekleidet, mit einem Kreuz in der Hand, in der Woche vor den Pride-Veranstaltungen zur Bildung von Bürgerwehr-ähnlichen Patrouillen aufgerufen. Diese „öffentliche Legion“ sollte jede LGBTQI-Veranstaltung melden, um sie dann zu verhindern und die Leute „zu schlagen“.
Reaktionen der georgischen Strafverfolgungsbehörden auf diesen offenen Aufruf zur Gewalt waren verhalten. Besagter Geschäftsmann und einer seiner Mitarbeiter wurde zwar zur Befragung einbestellt und eine Untersuchung gegen sie eingeleitet, jedoch hauptsächlich wegen „der Gründung einer illegalen Miliz“.
Kirche gibt Stellungsnahme ab
Während die georgischen Pride-Aktivisten von der EU- und UN-Mission und zahlreichen Botschaften breite Unterstützung erfuhren, war eine klare Reaktion und Positionierung der Regierung nicht zu verzeichnen. Dafür aber gab es eine eindeutige Stellungnahme der einflussreichen orthodoxen Kirche. Sie forderte die georgischen Behörden auf, alle LGBTQI-Veranstaltungen im Rahmen der Pride zu verhindern. In der Erklärung des Patriarchats hieß es: „Wie bekannt wurde, soll die so genannte Gay-Pride vom 18. bis 23. Juni zum ersten Mal in Tiflis und im Südkaukasus stattfinden, was völlig inakzeptabel ist“.
Der Lebensstil der LGBTQI-Menschen sei eine Sünde und widerspreche sowohl dem christlichen Glauben als auch den moralischen Werten, so die Erklärung. „Leider stellen einige LGBTQI-Gruppen und ihre Unterstützer es so dar, als ob sie in Georgien extrem unterdrückt und verfolgt würden (…). Sie wollen ihre Aktivitäten als Kampf gegen Diskriminierung darstellen, aber in Wirklichkeit fördern sie ihren Lebensstil und versuchen ihn offiziell zu legitimieren“, erklärte die orthodoxe Kirche weiter. Es ist anzunehmen, dass dieses Statement zum Schlingerkurs des georgischen Innenministeriums beigetragen hat: Für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen sollten Sicherheitsgarantien übernommen werden, den Organisatoren wurde aber nahegelegt, den öffentlich geplanten „March of Dignity“abzusagen, da er mit schwerwiegenden Sicherheitsrisiken verbunden sei.
Um Verständnis werben
Aus Sicherheitsaspekten hatte man bereits auf eine öffentliche Kundgebung am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, verzichtet, nachdem es 2013 zu schweren Ausschreitungen kam und der 17. Mai im darauffolgenden Jahr von der georgisch-orthodoxen Kirche zum „Tag der Reinheit der Familie“ ausgerufen wurde. Im Rahmen der ersten Tbilisi Pride sollte jetzt auf die schwierige Situation der LGBTQI-Community hingewiesen werden, um mehr Verständnis geworben und die Gleichstellung gefördert werden.
Die Vorbereitungen und die Organisation für die kulturellen und politischen Veranstaltungen liefen seit Herbst vergangenen Jahres. Bereits im Februar 2019 haben die Pride-Organisatoren ihr Vorhaben für Juni öffentlich und transparent gemacht, auch um eine öffentliche Diskussion anzuschieben. Trotzdem kam es unmittelbar vorher zu massiven Widerständen seitens der Kirche und zu Drohungen rechter Gruppierungen – die Wirkung zeigten. Morddrohungen gegen die Strafverteidigerin (Public Defender) Georgiens und gegen Pride-Organisatoren waren die Folge und führten zur Evakuierung. Auch andere queere NGOs wurden aufgefordert, ihre Büros zu räumen, nachdem ultrakonservative Gruppen Proteste angekündigt hatten.
Dabei sind die rechtlichen Voraussetzungen in Georgien durchaus gegeben: Homosexuelle Handlungen wurden 2000 legalisiert und es gibt seit fünf Jahren ein Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz der sexuellen Orientierung. Das stellte auch die stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bei ihrem Georgienbesuch in der vergangenen Woche fest: „Georgien steht mit seiner Gesetzgebung deutlich besser da als viele andere Länder in der Welt. Aber die Realität ist, dass es in der Gesellschaft kaum Akzeptanz gibt. Im Gegenteil: Es gibt starke Kräfte, die orthodoxe Kirche, konservative und rechte Kreise die per se einen Hass auf alle Queer-Aktivisten haben und sie aus ihrer Sicht als einen Angriff auf die Werte der georgischen Gesellschaft sehen.“
Sie lobte die Besonnenheit der Vertreter der verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft, die „sorgfältig die Situation abwägen und nicht provozieren, sondern ihre Anliegen anbringen und entfalten wollen und aus ihrer Sicht ein Interesse daran haben, dass es einen offeneren Dialog in der Gesellschaft gibt“.
Runder Tisch
Ohne Zwischenfälle verliefen letztendlich ein Runder Tisch mit Vertretern von Menschenrechts- und LGBTQI-Aktivisten und eine Internationale Konferenz mit Gästen aus mehreren Ländern im Rahmen der Tbilisi Pride Week. Beide Veranstaltungen wurden von der Stiftung im Südkaukasus unterstützt.
Problematisch gestaltete sich dagegen eine Aufführung einer Adaption des Stücks „Metamorphosis“ von Kafka, welches mit dem Thema „Outing“ in Familien beschäftigte. Nachdem den Darstellern die seit März genutzten Probenräume kurz vor der Aufführung gekündigt wurden, sprang in letzter Minute auch das Theater, in dem die Aufführung stattfinden sollte, ab. Die offizielle Begründung: Dringend erforderliche Renovierungsarbeiten. In einem Telefonat teilte der Theaterleiter aber mit, dass ihm massiv gedroht wurde, sein Theater würde zerstört und ihm geschehe Schlimmes, wenn er die Aufführung erlaube. Die Produktion des Stücks wurde ebenfalls von der Stiftung für die Freiheit unterstützt und eine Film-Dokumentation von der Inszenierung ist in Produktion.
Letztendlich gab es auch für die Theater-Absage eine Lösung - in den Räumen einer nicht-orthodoxen Kirche in Georgien nahmen weit mehr als 100 Teilnehmer an der Uraufführung des Laien-Theaterstückes teil. Da der Ort bis zum letzten Moment geheim gehalten wurde, gab es keine Zwischenfälle
Wann der „March of Dignity“ stattfinden soll, steht noch nicht fest. Es wird auch davon abhängen, wie sich die aktuellen politischen Ereignisse in Georgien weiterentwickeln. An drei Reformen, die zwischen Regierung und LGBTQI-Community in Georgien derzeit diskutiert werden, sollte sich die Regierung künftig messen lassen: Notunterkünfte für queere Menschen, Rechte von Transgender-Menschen sollen gesetzlich besser geregelt werden und es soll künftig einen LGBTQI-Berater des Premierministers geben. Das würde der immer wieder beschworenen Hinwendung Georgiens zu Europa, der EU und ihren Werten entsprechen.
Peter-Andreas Bochmann ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus. Götz-Martin Rosin ist freier Journalist.