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Taiwan
Taiwans Demokratie unter Druck: Wahlen, Widerstand und Chinas Drohungen

Drei Fragen an den Repräsentanten Taiwans in Deutschland Professor Dr. Jhy-Wey Shieh
Demonstranten versammelten sich vor dem Parlament, um gegen den  umstrittenen Gesetzentwurf zu protestieren

Demonstranten versammelten sich vor dem Parlament, um gegen den umstrittenen Gesetzentwurf zu protestieren, der dem Parlament mehr Macht einräumen würde.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | David Chan

Nach den turbulenten Wahlen 2024 steht Taiwan vor internen Spannungen und zunehmenden Drohungen aus China. Im Interview erläutert Professor Dr. Jhy-Wey Shieh, Taiwans Repräsentant in Deutschland, die Aussichten für Taiwans Demokratie und die Bedeutung internationaler Unterstützung.

Es war erstaunlich ruhig zwischen dem 13.01. und dem 20.05.2024. Die westliche Welt schaute mit Bewunderung auf die transparenten, friedlichen und engagierten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan. Trotz massiven Störaktionen, Desinformationen und offenen Drohungen seitens der Volksrepublik China gewann am 13. Januar die Demokratie, genauer gesagt der Präsidentschaftskandidat der DPP (Democratic Progressive Party) William Lai Ching-te und im Parlament mit einer hauchdünnen Mehrheit die chinafreundlichere KMT (Kuomintang). Dass das Regieren in einem von der Opposition geführten Parlament nicht einfach sein würde, war klar. Seit der Amtseinführung des Präsidenten am 20.05.2024 aber wird deutlich, wie ernst die Lage für Taiwans Status Quo tatsächlich ist.

Wir fragen den Repräsentanten Taiwans in Deutschland Professor Dr. Jhy-Wey Shieh nach seiner Einschätzung:

FNF: Die KMT verabschiedet im Parlament Gesetze, die dem Parlament mehr Macht und Einflussnahme einräumen. Hunderttausende Taiwaner gehen dagegen auf die Straße und demonstrieren für ihre Demokratie. Was passiert gerade in Taiwan? Kann Taiwans Demokratie gestärkt aus dieser Krise hervorgehen?

Professor Dr. Jhy-Wey Shieh: Viele Menschen in Taiwan haben Bedenken, dass die Änderung dieser Gesetze zu weit geht, mit welchen dem Parlament eine erhebliche Erweiterung seiner Befugnisse ermöglicht wird. Denn nicht nur Regierungsbehörden, auch Bürger, private, inländische wie auch ausländische Unternehmen und Militärangehörige wären verpflichtet, auf „Einladung“ des Legislativ-Yuans dem Parlament Rechenschaft, Informationen oder Daten zu geben, die geheim bleiben sollten.

Wenn angenommen wird, dass sie das Parlament missachten, indem sie beispielsweise die Antwort verweigern, vermutete Falschaussagen machen oder von der Anhörung fernbleiben, können Strafen folgen, z.B. Verhängung einer Geldbuße (für Bürger), Überweisung zur Amtsenthebung (bei Beamten), Verhängung einer Geldstrafe oder gar Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.

Die Opposition hat seit der Wahl im Januar zwar eine Mehrheit im Parlament, stellt aber nicht den Präsidenten. Zusammen mit der dritten Partei TPP verfügt die KMT-Fraktion über die absolute Mehrheit. Das bedeutet, dass sie auf jeden Fall in der Lage ist, jedes Gesetz zu verabschieden. Das einzige, was sie tun müssen, ist, den Gesetzentwurf zur erforderlichen Debatte vorzulegen, wie es zum gängigen vorgeschriebenen Vorgang gehört, um danach dann zur Abstimmung überzugehen.

Die Besorgnis der Menschen wird insbesondere dadurch verstärkt, dass der Vorsitzende der KMT-Fraktion, der während des Erdbebens in Hualien mit einer Delegation von 16 Parlamentariern seiner Partei China besuchte und sich mit hochrangigen Politikern austauschte, nach seiner Rückkehr sofort die Verabschiedung dieser Gesetze vorantrieb. Kritiker fürchten deshalb Chinas wachsenden Einfluss, was unserer Demokratie schaden würde.

Man darf insgesamt davon ausgehen, dass die Demokratie von Taiwan am Ende doch gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird.

FNF: Seit der Amtseinführung am 20.05. mehren sich die Provokationen Chinas. Zuletzt drohte der chinesische Verteidigungsminister Dong Jun offen im Rahmen der Shangri-La Gespräche in Singapur allen, die Taiwan unterstützen. Besteht eine akute Kriegsgefahr? Was bezweckt Peking mit den Drohungen?

Herr Dongs Äußerung überrascht nicht. Immer wieder wählen chinesische Politiker ähnlich drastische Worte hinsichtlich des Konflikts mit Taiwan und der zunehmenden Spannungen im Südchinesischen

Meer. China sieht, dass sich immer mehr demokratische Länder für die Wahrung des Status Quo und des Friedens in der Taiwan-Straße aussprechen. Dies läuft der chinesischen Politik zuwider. Die Drohungen des chinesischen Verteidigungsministers zielen darauf ab, das demokratische Lager zu spalten und seine Hegemonieambitionen zu verwirklichen. China beansprucht die Hoheitsgewalt über 80% des Südchinesischen Meeres. China setzt Drohungen und Einschüchterungen gegenüber den Menschen in Taiwan ein. Doch je mehr Druck auf die Demokratie ausgeübt wird, desto stärker wird die Gegenreaktion sein und umso entschlossener der Widerstand der Bevölkerung Taiwans.

FNF. Zur Amtseinführung des Präsidenten reisten Mitglieder des Deutschen Bundestags und Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit nach Taiwan. Diese Reisen haben hauptsächlich symbolischen Wert. Was können wir tun, um den Status Quo Taiwans de facto zu stärken, ohne eine weitere Eskalation zu riskieren?

Die deutsche parlamentarische Delegationsreise zur Amtseinführung in Taiwan ist tatsächlich ein deutliches Zeichen der Solidarität. Die Welt der Freiheit, zu der Deutschland zweifellos gehört, sollte eine entschlossene Haltung einnehmen und China davor warnen, Taiwan militärisch zu überfallen. Das demokratische Lager muss fest zusammenstehen, damit China es nicht wagt, seine militärische Ambition zu verwirklichen. Die Stabilität in der Taiwan-Straße betrifft die wirtschaftlichen Interessen aller Länder weltweit. 50 Prozent des Welthandels passieren die Straße von Taiwan, und 70 Prozent der Halbleiter werden von taiwanischen Unternehmen hergestellt.

Neben den gemeinsamen Werten sollten die westlichen Länder auch aus geopolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen gemeinsam daran arbeiten, den Frieden und die Stabilität in der Taiwan-Straße und der Region zu wahren. Der Zeitpunkt dafür ist jetzt! Fortdauernd Zugeständnisse machen, wird von dem chinesischen Regime nicht mit Respekt und Dankbarkeit erwidert, sondern mit Geringschätzung und Missachtung.

Dr. Daniela Saccà, Referentin Ostasien FNF.