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Schweden
Zu viel Einfluss für die Rechtsextremen

Leader of the Sweden Democrats Party Jimmie Akesson, leader of the Moderate Party Ulf Kristersson, leader of the Christian Democrats Ebba Busch, and leader of the Liberal Party Johan Pehrson
© picture alliance / EPA | JONAS EKSTROEMER

Schwedendemokraten setzten sich inhaltlich durch

Die Koalition ist die erste ihrer Art in Schweden. Es ist das erste Mal, dass drei Parteien, die bei den Wahlen verloren haben, eine Regierung bilden, und das erste Mal seit 1979, dass die Moderaten nicht die größte, sondern die zweitgrößte Partei auf der rechten Seite sind. Es ist auch das erste Mal, dass der rechtsextreme Einfluss das Zentrum der Macht erreicht hat.

Das Rechtslager aus Moderaten, Christdemokraten und der liberalen Partei Liberalerna unter Führung des moderaten Spitzenkandidaten Ulf Kristersson hatte vor der Wahl mit einem Tabu gebrochen und war erstmals ein Bündnis mit den rechtsradikalen Schwedendemokraten eingegangen. Der Rechtsblock gewann eine knappe Mehrheit von 176 Sitzen gegenüber den 173 Sitzen der Mitte-Links-Parteien. Allerdings wurden die Moderaten nicht die größte Partei auf der rechten Seite, da sie von den Schwedendemokraten abgelöst wurden. Mit 20 % der Stimmen wurden die rechtsextremen Nationalisten nur von den traditionell dominierenden Sozialdemokraten (33 %) übertroffen.

Nach einem Monat Verhandlungen kündigten die Spitzen des Rechtsblocks am Freitag das so genannte Tidö-Abkommen über eine neue Regierung an. Die Vereinbarung, die nach dem Ort der Verhandlungen auf Schloss Tidö in Västmanland benannt ist, umfasst sieben Kooperationsprojekte in den Bereichen Kriminalität, Migration, Integration, Wirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen sowie Energie und Klima.

Der neue Stempel in der Migrations- und Kriminalitätspolitik

Die Schwedendemokraten erhalten zwar keine Ministerposten, dennoch haben sie politisch deutlich an Einfluss gewonnen. Die Partei hat sich mit großen Teilen ihrer Migrations- und Kriminalpolitik durchgesetzt. Die Flüchtlingszahlen werden auf das von der EU vorgeschriebene Minimum reduziert, das System der dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung wird abgeschafft und die Bedingungen für die Familienzusammenführung und die schwedische Staatsbürgerschaft werden verschärft. Die Regierung plant auch eine Untersuchung über die Möglichkeit, Nicht-Staatsbürger aufgrund von mangelndem "moralischen Charakter" auszuweisen. Damit hat der Einfluss der Schwedendemokraten auf die Migrationspolitik ein Niveau erreicht, das auch Premierminister Kristersson zugeben musste, dass die Politik der Regierung eine " Migrationspolitik der SD" sein wird.

Am bedenklichsten ist jedoch, dass die Schwedendemokraten ein Koordinationsbüro mit politischen Beamten im Büro des Premierministers einrichten werden. Damit werden sie an allen Bereichen der Regierungsarbeit teilhaben, einschließlich Ernennungen und dem Haushalt. Das heißt, dass die Schwedendemokraten wie keine andere Oppositionspartei einen bedeutenden Einfluss auf Regierungsentscheidungen haben wird. Denn mit der knappen Mehrheit im Parlament können die Regierungsparteien es sich nicht leisten, die Unterstützung der Schwedendemokraten zu verlieren.

Die rechtsextremen Wurzeln der Schwedenpartei

Die Schwedendemokraten sind keine gewöhnliche rechtspopulistische Partei. Sie wurde 1988 von Neonazis und anderen rechtsextremen Aktivisten gegründet. Ihre Wurzeln liegen in der rechtsextremen Bewegung der weißen Vorherrschaft ("white supremacy"). Vordergründig hat sich die Partei In den letzten zwei Jahrzehnten unter der Leitung des jetzigen Parteivorsitzenden Jimmie Åkesson dem politischen Mainstream angenähert. Durch die Reduzierung von offen rassistischer Rhetorik und den Ausschluss einiger extremistischer Mitglieder gelang es der Partei, sich breiter zu positionieren und die Stimmen von einem Fünftel der schwedischen Wähler zu gewinnen.

Trotzdem sind die rechtsextremen Tendenzen noch immer präsent. Ein Bericht von Juni dieses Jahres machte deutlich, dass 214 Kandidaten der Schwedendemokraten, die bei den letzten Wahlen antraten, einen rechtsextremen Hintergrund haben oder mit dem Rechtsextremismus in Verbindung gebracht werden können. Diese Woche bestätigte sich diese Verbindung einmal mehr, als die Parteifunktionärin und Kandidatin Rebecka Fallenkvist suspendiert wurde, nachdem sie Anne Frank in einer Instagram-Story "unsittlich" genannt hatte. Fallenkvist war vorher auch in die Kritik geraten, weil sie auf der Wahlparty "Helg Seger" gesagt hatte, was die schwedische Version des Nazigrußes ist. Die Konsequenz: sie wurde auf eine Stelle in der Finanzabteilung der Partei versetzt.

Gewissensprüfung bei Liberalerna

Liberalerna hat eine ganz andere Entwicklung durchgemacht. Da ihre Umfragewerte oft unter die parlamentarische Hürde von 4% fallen, verbrachten sie einen großen Teil der letzten drei Jahre mit internen Diskussionen über den politischen Kurs. Die unpopuläre Entscheidung, dem rechten Block beizutreten, hat die Partei gespalten, und diese Spaltung hält an.

Innerhalb der Partei herrscht große Skepsis gegenüber der Entscheidung der Parteispitze, der neuen Koalition beizutreten. Nach der Ankündigung des so genannten Tidö-Abkommens rief der Jugendverband von Liberalerna, LUF, die Partei auf, das Abkommen abzulehnen. In einem Kommentar in der Zeitung Expressen wies der Vorstand der LUF darauf hin, dass mehrere rote Linien der Partei überschritten seien, und bat die Partei vergeblich, gegen die Regierung Kristersson zu stimmen.

Wenig überraschend hat auch die andere liberale Partei in Schweden, die Zentrumspartei, die neue Regierung schnell verurteilt. Die Parteivorsitzende Annie Lööf bezeichnete den Einfluss der Schwedendemokraten als "Paradigmenwechsel", der "einer xenophoben, nationalistischen Partei die Schlüssel zum Regierungsamt in die Hand gegeben" habe. Als Teil des Mitte-Links-Blocks hat die Zentrumspartei eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten konsequent ausgeschlossen. 

Internationale Reaktionen

Die europäischen liberalen Kräfte reagieren besorgt. Erstmals stand ein Ausschluss der schwedischen Liberalen aus der liberalen Fraktion Renew Europe im Europäischen Parlament im Raum. Nach einer schwierigen Diskussionen auf der Fraktionssitzung am Mittwoch teilte die liberale schwedische Europaabgeordnete Karin Karlsbro mit, dass ihre Partei Mitglied der Fraktion bleiben werde. 

Unsichere Zukunft

„Liberalerna“ hat es nicht vermocht, dem Koalitionsvertrag einen liberaleren Anstrich zu geben. Als einzige Partei, die potenziell zum Mitte-Links-Block hätten wechseln können, hätten sie von den anderen Koalitionspartnern große Zugeständnisse verlangen können, um das Regierungsprogramm in eine liberale Richtung zu lenken. Die einzigen eindeutig liberalen Elemente in der Koalitionsvereinbarung sind jedoch die zur Bildungspolitik. Ansonsten herrscht eine konservative und nationalistische Politik vor.

Es wird sich zeigen, inwiefern „Liberalerna“ mit zwei Bildungsministern, dem Arbeitsmarktminister, der Ministerin für Geschlechtergleichstellung und der Klima- und Umweltministerin, die die jüngste Ministerin in der Geschichte Schwedens ist, den Regierungskurs wird beeinflussen können. Erfahrungen anderer liberaler Parteien in der Zusammenarbeit mit rechtsextremen Akteuren haben jedenfalls gezeigt, dass solche Regierungsexperimente von kurzer Dauer und im schlimmsten Fall zu innerparteilicher oder gesellschaftlicher Instabilität geführt haben, wie eine Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt.

Feststeht jedoch bereits jetzt, dass die Schwedendemokraten in der jetzigen Situation in einer komfortablen Situation sind. Sie können ihre Politik durchsetzen, ohne die politische Verantwortung für die Folgen zu tragen. Eine Win-Win-Situation für die Schwedendemokraten und Lose-Lose für „Liberalerna“.