Fachkräftemangel
Zuwanderung nicht instrumentalisieren
Der Fachkräftegipfel von Mitte Dezember sendet eher halbherzige denn überzeugende Botschaften aus. Beschlossen wurde, die Zuwanderung aus dem Nicht-EU-Ausland zu erleichtern, aber so ganz scheint man der Sache dann doch nicht zu trauen und will weiterhin stark steuernd und regulierend Fachkräfte nach dem Bedarf der deutschen Wirtschaft anwerben. Damit droht man alte und bestens bekannte Fehler des Gastarbeitermodells der 1960er Jahre zu wiederholen. Und vergibt dadurch die Chance, eine wirklich funktionierende Zuwanderungspolitik für das 21. Jahrhundert zu verfolgen.
Im Kern orientiert sich das ab März 2020 geltende Fachkräfte-Einwanderungsgesetz an einem richtigen Ansatz. Es verzichtet künftig für alle Fachkräfte aus dem Ausland auf die Vorrangprüfung und nicht nur wie bis anhin bei sogenannten Mangelberufen. Es entfällt also die Prüfung, ob für ein Arbeitsangebot arbeitslose Deutsche oder andere EU-Angehörige infrage kämen. Bewirbt sich eine dem Arbeitgeber passende Person aus dem Nicht-EU-Ausland, erhält sie den Job. Basta.
Einfacher geht nicht – und da beginnt das Problem beim neuen „Fachkräfte-Einwanderungsgesetz“. Denn so ist es offensichtlich nicht gemeint. Ginge es wirklich um eine unbürokratische Vorgehensweise, müssten Bundesregierung, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften lediglich einmal pro Jahr festlegen, für welche Anzahl – die man dann auch Quote nennen könnte - von Nicht-EU-Angehörigen diese simple Freizügigkeitsregelung gelten soll. Jetzt aber, so Arbeitsminister Hubertus Heil, solle mit dem Handwerk besprochen werden, „auf welche Länder wir uns erst einmal konzentrieren“ und die Unternehmen müssten sich zunächst um die Anwerbung kümmern, „und wir werden dann die entsprechenden bürokratischen Hürden weghauen“. Also geht es nicht generell um Einfachheit und Freizügigkeit, sondern halt immer noch um Anwerbung und Steuerung für einzelne Branchen und ausgesuchte Länder.
Zuwanderung lässt sich nicht passgenau steuern
Mit dem Gastarbeitermodell der 1960er-Jahre hatte man schon einmal versucht, Personalengpässe in der Bauwirtschaft und bei Industriebetrieben zu beseitigen und einen Arbeitskräftemangel im Wirtschaftswunderland zu beheben. Die misslichen Ergebnisse sind bekannt. Was als Problemlösung gedacht war, verursachte andernorts neue Folgeprobleme. Zuwanderung lässt sich nicht passgenau nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes im Aufnahmeland steuern, vielmehr folgt sie einer eigenen Dynamik mit langwierigen Echoeffekten in Form eines Familiennachzugs. Anders als Maschinen lassen sich Personen eben nicht so leicht, schnell und kostengünstig von oben gesteuert über das Schachbrett der Wirtschaft verschieben.
Was aus deutscher Sicht nach einer klugen Steuerung aussieht, ist aus der Perspektive der Zuwandernden nämlich alles andere als sakrosankt. Wer als Pflegekraft nach Deutschland kommt, wird möglicherweise nicht immerzu bereit sein, als Pflegekraft zu arbeiten, sondern will früher oder später andere (besser bezahlte) Tätigkeiten ausüben oder Stelle, Arbeitgeber und Arbeitsort oder gar Beruf wechseln. Auch qualifizierte Zuwandernde aus dem Nicht-EU-Ausland werden Kinder haben, Elternzeit beanspruchen und nicht so einfach akzeptieren, von ihren in der Heimat verbliebenen Familien getrennt zu leben.
Die Lehren aus dem Scheitern der Gastarbeiterpolitik sind einfach zu ziehen. Und sie dürften auch heute noch Gültigkeit haben. Je weniger Regulierungen, umso geringer die Fehlanreize. Die einfachste und beste Zuwanderungspolitik beschränkt sich darauf, jährlich für Nicht-EU-Angehörige (zu denen nach aktuellem Rechtsstand auch Personen aus Ländern gehören, mit denen die EU Freizügigkeitsabkommen vereinbart hat – wie beispielsweise mit der Schweiz, Norwegen und Island) eine Quote festzulegen (die auch sehr gering und im Extremfall null sein kann). Eine schlichte Lotterie, die als Preis den Gewinnern und deren Familien freie Einwanderung und unbeschränkten Aufenthalt ermöglicht, dürfte danach bei der Verteilung der Quote die einfachste, effizienteste und auch gerechteste Lösung sein.
Diskussion über Fachkräftebedarf aus dem Nicht-EU-Ausland wirkt provinziell
Der Komplexität der Ursachen und Folgen von Migrationsprozessen wegen sollte auf eine Behebung eines Mangels bei einzelnen Berufen oder Branchen durch eine Anwerbung im Nicht-EU-Ausland verzichtet werden – allein schon, weil bei der Klage über eine Fachkräftelücke in Deutschland die europäische Dimension nicht ausgeblendet werden darf. Innerhalb der EU besteht Freizügigkeit für Arbeitskräfte. Alle erwerbsfähigen EU-Angehörigen könnten ohne rechtliche Hemmnisse nach Deutschland auswandern. Wenn sie – so wie bis anhin – nicht in Masse kommen, ist zu fragen, weshalb es deutsche Firmen nicht schaffen, so attraktiv zu sein, um weit mehr Fachkräfte aus EU-Mitgliedsländern anzuwerben. Spätestens mit dieser europäischen Perspektive wirkt die gegenwärtige Diskussion über einen Fachkräftebedarf für Deutschland aus dem Nicht-EU-Ausland eher provinziell und ist eine Wiederbelebung einer Gastarbeiterdoktrin definitiv fehlgeleitet. Ja, Deutschland ist ein Einwanderungsland und soll auch in Zukunft eine attraktive, weltoffene Gesellschaft bleiben. Es braucht aus vielen guten Gründen Zuwanderung, aber keine Anwerbung in Nicht-EU-Staaten für einzelne Berufe oder Branchen.