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D-Day
Ein Tag für die Freiheit

Ankunft der Schiffe am D-Day

Ankunft der Schiffe am D-Day

© picture alliance / prisma | Schultz Reinhard

Colleville-sur-mer, Port en Bessin, Arromanches, Ouistreham. Mit diesen Ortsnamen verbinden heute viele Franzosen und Freunde der Normandie breite Sandstrände, den Lärm spielender Kinder, Eis und Austern, kurz: unbeschwerte Stunden und Tage der Sommerfrische. Der Kontrast zu einem Tag im Juni 1944 könnte nicht drastischer sein. Und doch hängen Freiheit, Frieden und die Sicherung liberaler Werte von heute mit den Ereignissen von damals unmittelbar zusammen.

Vor genau 80 Jahren, am 6. Juni 1944, begann an der normannischen Küste die Befreiung Europas. La Fière Manor, Pointe du Hoc, Omaha Beach, Pegasus Bridge sind heute ikonische Codenamen für die Schauplätze der Invasion einer breiten Anti-Hitler-Koalition. US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Polen, Franzosen und weitere Vertreter von insgesamt 14 Nationen erkämpften sich in der größten amphibischen Militäroperation der Geschichte einen westlichen Zugang zum europäischen Kontinent.

Der militärische Oberbefehlshaber der Allianz und spätere US-Präsident, General Dwight D. Eisenhower, richtete sich mit seinem Tagesbefehl an seine Soldaten. In 19 knappen Sätzen schilderte er den Gang des Kriegs seit 1940, die Anstrengungen, die Opfer, die zunehmenden Erfolge der Alliierten. Klar und unmissverständlich, militärisch wie politisch, formulierte er den Geist und die Ziele der Invasion: „Die Hoffnungen und Gebete freiheitsliebender Menschen überall marschieren mit Euch. Gemeinsam mit unseren tapferen Verbündeten und Waffenbrüdern an anderen Fronten werdet Ihr die Zerstörung der deutschen Kriegsmaschine, die Beseitigung der Nazi-Tyrannei über die unterdrückten Völker Europas, und unsere Sicherheit in einer freien Welt herbeiführen. (..) Wir werden nichts anderes als einen vollständigen Sieg akzeptieren.

Die Radioansprache von US-Präsident Franklin D. Roosevelt

US-Präsident Franklin D. Roosevelt wandte sich über den Rundfunk an seine Landsleute und die Weltöffentlichkeit, Stunden nach Beginn der Invasion. Noch unsicher, ob und wie schnell diese zu einem nachhaltigen Raumgewinn in Frankreich führen würde, griff er zu einem heute bemerkenswerten Kommunikationsstil. Er kleidete seine durch und durch politische Botschaft in ein Gebet für die Truppen, und bat die Hörer, sich anzuschließen:

„Allmächtiger Gott, unsere Söhne, der Stolz unserer Nation, sind am heutigen Tage zu einem gewaltigen Unterfangen aufgebrochen, unsere Republik, unsere Religion und unsere Zivilisation zu bewahren und die leidende Menschheit zu befreien. (...) Sie werden auf schmerzhafte Proben gestellt werden, bei Nacht und bei Tag, ohne Ruhe, bis der Sieg errungen ist. Dunkelheit wird von Lärm und Flammen zerrissen werden. Die Seelen der Männer werden durch die Gewalttätigkeiten des Krieges erschüttert werden. (...) Sie kämpfen nicht aus Lust an der Eroberung. Sie kämpfen, um die Eroberung zu beenden. Sie kämpfen, um zu befreien. Sie kämpfen, um Gerechtigkeit entstehen zu lassen, und Toleranz und guten Willen unter allen Deinen Völkern. Sie sehnen sich nur nach dem Ende des Kampfes, nach ihrer Rückkehr in den Hafen der Heimat.

Mit Deinem Segen werden wir über die unheiligen Kräfte unseres Feindes siegen. Hilf uns, die Apostel der Gier und der rassistischen Arroganz zu besiegen. Führe uns zur Rettung unseres Landes und mit unseren Schwesternationen zu einer Welteinheit, die einen sicheren Frieden bedeutet, einen Frieden, der unverwundbar ist gegen die Intrigen unwürdiger Menschen. Und einen Frieden, der alle Menschen in Freiheit leben und den gerechten Lohn für ihre ehrliche Arbeit ernten lässt. Dein Wille geschehe, allmächtiger Gott. Amen.“

Roosevelt ging in dem deutlich längeren Gebet auch auf zu erwartende Opfer, die Soldaten, die nicht heimkehren, sowie auf die Härte und ungewisse Länge der Auseinandersetzung ein. Er wandte sich an die Daheimgebliebenen, die Familien der Soldaten und schwört sie ein auf ihren emotionalen und materiellen Einsatz für den Krieg.

Zweimal starke Führung in unterschiedlicher Tonlage. Eisenhower, der sachliche und doch empathische militärische Oberbefehlshaber, mit einem knappen und klaren Ruf der Anfeuerung und Ermutigung. Roosevelt, der Präsident seines Landes, nicht nur der Soldaten, schöpft Kraft aus dem Gebet, stellt seine Bevölkerung auf härteste persönliche Opfer ein und macht gleichzeitig deutlich, dass diese für eine gute und gerechte Sache geleistet werden. Sein religiöser Ton transzendiert die Invasion in einen Raum jenseits des ausschließlich Politischen. Soll heißen: Die USA gehen in diesem Konflikt nicht nur wirtschaftlich und gesellschaftlich All-in, sie verstehen sich als die Sachwalter des Guten auf Erden.

Vorbereitung und Logistik: Eine beispiellose Mammutaufgabe

Die Landung am 6. Juni 1944 war unter höchstem Druck und dennoch akribisch vorbereitet worden. Soldatinnen und Soldaten, Rüstungsproduktion, Ausbildung der Truppen, Logistik über den Nordatlantik, Kommunikation mit, Unterstützung unter Verbündeten und vieles mehr mussten organisiert werden. In kürzester Zeit, in weniger als zwei Jahren, mobilisierten vor allem die USA Ressourcen in beispiellosem Umfang für die militärische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den Achsenmächten. Am Vorabend der Invasion standen allein über zwei Millionen Soldatinnen und Soldaten im Süden Englands einsatzbereit.

Auf dem Weg dorthin setzte US-Präsident Roosevelt sein ganzes politisches Kapital gegen starken innenpolitischen Widerstand ein, um schon seit Ende der 30er Jahre die USA auf diese Auseinandersetzung vorzubereiten. Der Angriff Japans auf Pearl Harbor löste dann viele Blockaden. Aber Roosevelt musste sich innenpolitisch erneut in harten Kämpfen durchsetzen, an deren Ende er die Entscheidung herbeiführte, die Ressourcen zunächst auf den Krieg in Europa zu konzentrieren. Die Niederwerfung der deutschen und italienischen Kriegsmaschinen, Hitlers und Mussolinis, wurde Ziel Nummer Eins der US-geführten Allianz.

Am Abend des 6. Juni standen über 150.000 alliierte Soldaten auf einem schmalen Landstreifen an der Küste der Normandie. Tausende junge Männer waren im Laufe der 24 Stunden des D-Day getötet, traumatisiert und schwer verwundet worden oder trieben vermisst in den Wassern des Ärmelkanals. Das Feuer der alliierten Schiffsartillerie und die Wochen vorher einsetzenden Luftangriffe der britischen und amerikanischen Luftwaffen auf Logistik und deutsche Truppen entlang der gesamten deutsch kontrollierten Küste kosteten zudem allein 20.000 französische Zivilisten das Leben. Der britische Premierminister Winston Churchill war sehr besorgt, wie diese Opfer die Bewegungsfreiheit der Invasionstruppen beeinflussen würden. Die lakonische Antwort der französischen Resistance: Dies sei das Opfer, das für die Aussicht auf ein Leben in Freiheit zu bringen sei.

Die Folgen der Befreiung Europas

80 Tage später, nach härtesten Abnutzungskämpfen auf den Feldern und in den Heckenlandschaften der Normandie, am 25. August 1944, war Paris befreit und die alliierten Truppen befanden sich auf dem Weg Richtung Berlin. Es dauerte dann noch Monate, bis die deutschen Armeen und ihre Verbündeten besiegt waren. Der Krieg im Pazifik endete erst Anfang September 1945 und damit knapp 15 Monate, nachdem der erste alliierte Soldat seinen Fuß an die Strände der Normandie gesetzt hatte. Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs starben mehr Menschen als in den fünf Jahren zuvor zusammengenommen.

Von den Stränden der Normandie ging nicht nur die Befreiung Europas und die Niederlage der Achsenmächte aus. Mit der Führung der Anti-Hitler-Koalition von Frankreich aus traten die USA endgültig an die Spitze der Westlichen Welt. Mit dem Marshall-Plan boten sie eine klare Vision des Wiederaufbaus Europas an und setzen sie um. Ein Angebot, das auch den besiegten Feinden Deutschland und Italien galt und übrigens auch den Ländern, die dann bald hinter dem Eisernen Vorhang verschwinden sollten. Im Kalten Krieg, gegen den einstigen Verbündeten Sowjetunion, wurden die Vereinigten Staaten zum Garanten von Freiheit und Demokratie zunächst in Westeuropa. Und schließlich, nach dem Mauerfall 1989, auch in großen Teilen Mittel- und Osteuropas. Das NATO-Bündnis, dessen 75. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern können und dem seit 25 Jahren Länder, die einst jenseits des Eisernen Vorhangs lagen, freiwillig angehören, trägt jenen Geist der Freiheit und jenen Willen zu Verantwortung und Demokratie in sich, mit dem die militärische und politische Führung der Alliierten am 6. Juni in der Normandie ihre Truppen an Land schickte.

Ein Vorbild für die Bewahrung von Freiheit und Demokratie

Heute ist der Frieden in Europa wieder bedroht. Nicht durch einen kalten Krieg, sondern durch einen großen heißen Landkrieg, den Überfall Russlands auf die Ukraine. Hinzu kommen Desinformation und Lügenkampagnen, die ganz Europa schon jetzt zu einem hybriden Kriegsschauplatz machen. Putin ist nicht Hitler. Putin ist auf seine ganz eigene Weise gefährlich. Imperialist und Revisionist. Unterdrücker, Verheerer und Bespitzler seines eigenen wie anderer Völker. Ein Feind der Freiheit.

Herausgefordert ist der Wille der Völker Europas, ihre Freiheit, ihre Demokratie und ihre Kultur des zivilisierten Umgangs, kurz: ihre liberalen Werte, zu bewahren und zu verteidigen. Nicht nur die Regierung Russlands bedroht diese Fundamente Europas. China, der Iran, Nordkorea sind weitere Akteure mit dem Willen und einem Plan, Freiheit und Demokratie in der Welt auszuhöhlen und zu zerstören.

Der 6. Juni 1944 und das transatlantische Bündnis, das in der Folge entstand, stehen für die Stärke von Allianzen, die Freiheit und Demokratie bewahren und zu einem Vorbild für andere ausbauen wollen. Die Ereignisse seit dem Einmarsch der Truppen Russlands in die Ukraine sind einerseits ermutigend. Wer hätte mit einer so schnellen Reaktion in Einigkeit von NATO und EU gerechnet? Andererseits ist das Ausmaß an militärischer Reaktion in manchen Punkten quälend langsam oder einfach zu gering. Der 6. Juni 1944 und seine Vorgeschichte wie seine Folgen zeigen aber, was Mut in der politischen Führung, ein klarer Plan, empathische und präzise Kommunikation sowie Vertrauen in die Stärke der Allianz freier Staaten bewirken können.

„Die Stärke der amerikanischen Verbündeten ist für die Vereinigten Staaten lebenswichtig, und die amerikanische Sicherheitsgarantie ist für den Fortbestand der Freiheit der europäischen Demokratien von wesentlicher Bedeutung. Wir waren damals mit Ihnen, wir sind heute mit Ihnen. Eure Hoffnungen sind unsere Hoffnungen, und euer Schicksal ist unser Schicksal.“

Das ist die Lehre, die der US-Präsident Ronald Reagan 1984 in einer Ansprache aus Anlass der 40. Wiederkehr des 6. Juni 1944 bei einer Feierstunde in der Normandie für das westliche Bündnis zog. Seine Worte sind aktueller denn je. Und sie sind ein Aufruf an Europa und die USA gleichermaßen, heute jede gemeinsame Anstrengung für die Bewahrung von Freiheit und Demokratie zu unternehmen. Das ist das Vermächtnis des 6. Juni 1944, dem Tag, als der Weg zur Freiheit in Europa neu begann.