EN

Invasion der Ukraine
Warum es zur Anklage von Putin kommen kann

UN-Sicherheitsrat
©

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Warum kann das Verbrechen der Aggression nicht am Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden?

Der bewaffnete Überfall und der Beginn der kriegerischen Handlungen durch Putin und das russische Militär stellen ein Verbrechen der Aggression dar. Doch weder Russland noch die Ukraine sind Vertragsstaaten des Römischen Statuts. Dies wäre aber die rechtliche Voraussetzung, um Putin wegen des Verbrechens der Aggression anzuklagen. Hier kommen die Internationale Strafgerichtsbarkeit und das Völkerstrafrecht ganz klar an ihre Grenzen. Anders sieht es hingegen bei Kriegsverbrechen aus, die jetzt aktuell auf dem Territorium der Ukraine begangen werden.

Inwiefern können Kriegsverbrechen angeklagt werden?

Die Bilder, die uns über die Sozialen Medien erreichen, seien es die Raketeneinschläge in Wohnhäuser, russische Panzer, die über private PKW rollen, zivile Opfer oder die gestrige Meldung, dass ein Kinderkrankenhaus getroffen wurde, könnten dem Chefankläger am IStGH; Karim Khan, hinreichende Hinweise liefern, Ermittlungen einzuleiten. In einer Pressemitteilung hat Khan am Freitag bereits angekündigt, dass er die aktuellen Kriegshandlungen genau beobachten wird.

Für Kriegsverbrechen auf dem Territorium der Ukraine ist der IStGH zuständig, weil sich das Land 2015 per Erklärung der Gerichtsbarkeit des IStGH für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterworfen hat. Anlass waren die schleppenden Ermittlungen und Verfahren der schweren Verbrechen, die sich ein Jahr zuvor auf dem Kiewer Maidan ereignet hatten. Mehr als 100 Menschen waren während der Proteste gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch getötet worden. Die Erklärung der Ukraine von 2015 ist nicht an ein zeitliches Ende gebunden. Aktuelle Kriegsverbrechen der russischen Soldaten könnten theoretisch auch zu einer Anklage von Putin und anderen hochrangigen Verantwortlichen führen.

Wie realistisch ist ein Haftbefehl gegen Putin?

Dazu muss die Anklagebehörde erst einmal ausreichend Beweise sammeln. Die mutigen Ukrainerinnen und Ukrainern, die jetzt schon Film- und Fotoaufnahmen von den Verbrechen russischer Soldaten machen, sollten die Eyewitness to Atrocities App nutzen. Die App richtet sich insbesondere auch an Journalistinnen und Journalisten und Vertreter von Menschenrechts-NGOs. Mithilfe der App können Foto-, Film- oder Audiodateien mit Notizen versehen und auf eine sichere Datenbank geladen werden. Die Materialien können so leichter überprüft werden, sollte es zu Verfahren kommen. Und das muss schon jetzt unser Ziel sein.

Der Krieg in der Ukraine ist ein Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN Charta, gegen die Wahrung des Friedens und der Internationalen Sicherheit. Wir können heute noch gar nicht absehen, wie viel Leid und Opfer dieser Krieg verursachen wird. Auf dieses massive Unrecht, das nur Präsident Putin alleine ausgelöst hat, muss die internationale Gemeinschaft mit allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Mitteln reagieren, auch mit einer Antwort des Rechts – selbst wenn es länger dauern wird.

Dr. Michaela Lissowsky, Menschenrechtsexpertin der Stiftung, war während ihrer Promotion über Beteiligung und Entschädigung von Opfern schwerster internationaler Verbrechen am Trust Fund for Victims des Internationalen Strafgerichtshofs tätig.