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Grönland hat gewählt

Signal für eine neue Politik, die Richtung bleibt unklar
Grönland

Grönland hat gewählt / Greenland voted

© picture alliance / Ritzau Scanpix | Mads Claus Rasmussen

Unter normalen Umständen erhalten die Wahlen in Grönland wenig, wenn überhaupt, internationale Aufmerksamkeit. Doch die Wahlen für das Parlament, das Inatsisartut, am 11. März waren anders. Trotz einer Wahlbeteiligung von knapp 29.000 bei rund 40.000 wahlberechtigten Bürgern fand sich die Insel plötzlich im Mittelpunkt des geopolitischen Scheinwerfers. Ausgelöst durch die wiederholten Forderungen von Präsident Trump, die USA sollten die Insel erwerben, wurde die Wahl als Indikator für die Meinungen der grönländischen Bevölkerung zu Unabhängigkeit sowie den Beziehungen zu Dänemark und den USA betrachtet.

Warum also Grönland? Die Insel liegt strategisch im zunehmend wichtigen arktischen Raum und bietet Zugang zu wichtigen Schifffahrtswegen. Zudem verfügt sie über beträchtliche Reserven an natürlichen Ressourcen und seltenen Erden. Angesichts breiterer geopolitischer Spannungen ist diese strategische Lage nicht unbemerkt geblieben und hat das Interesse an der zukünftigen politischen Ausrichtung und Zugehörigkeit des Landes geweckt.

Grönland im Wandel

Grönland wurde im 18. Jahrhundert von Dänemark kolonisiert und ist seitdem formal ein Teil Dänemarks. Unabhängigkeitsbewegungen gibt es in Grönland seit vielen Jahren, was 1979 zur Gewährung von Autonomie führte, als das erste Parlament gebildet wurde, und 2009 zur Einführung der Selbstverwaltung. Dänemark stellt weiterhin finanzielle Unterstützung zur Verfügung und kontrolliert nach wie vor die Außen-, Verteidigungs- sowie Geldpolitik. Die Bestrebungen nach weiterer Unabhängigkeit wurden bislang durch die schwache Wirtschaft Grönlands behindert, die vor allem aus Fischerei und kleinen Unternehmen besteht. Hinzu kommt, dass 50 % der Bevölkerung im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, was zu hohen Verwaltungskosten führt.

Die heutige geopolitische Lage hat die Debatte über den internationalen Status Grönlands verändert. Während Unabhängigkeitsdiskussionen zuvor eine Angelegenheit zwischen Grönland und Dänemark waren, sind sie nun Teil eines geopolitischen Machtspiels geworden. Der Klimawandel wird neue Handelsrouten in der Arktis eröffnen, was den Zugang zu Grönlands Ressourcen erleichtern und günstiger machen wird. Dies hat das Interesse von Großmächten wie China und den USA geweckt, die versuchen, ihre Präsenz auf der Insel (weiter) auszubauen. Die USA unterhalten an der Nordwestküste der Insel eine wichtige Militärbasis, die Pituffik Space Base, und wollen ihre militärische Präsenz ausbauen, um ihre Kontrolle über die Region zu sichern.

Während chinesische Versuche, um auf der Insel Fuß zu fassen, sich auf kritische Infrastruktur und die Extraktion von seltenen Erden konzentrierten, ist Washington bei seinem Vorgehen viel direkter. Präsident Trump kündigte vergangene Woche im Kongress an, dass die USA Grönland „auf die eine oder andere Weise“ erwerben würden, was auf die Möglichkeit einer militärischen Intervention hinwies. Das scheint jedoch vorerst ein entferntes Szenario zu sein, da die Trump-Administration zunächst engere Beziehungen anstrebt, indem sie den Grönländern verspricht, sie „reich“ zu machen.

Politische Parteien über die Unabhängigkeit

Eine Entscheidung über die Unabhängigkeit, die Beziehung zu Dänemark und mögliche engere Bindungen an die USA liegt letztlich bei den Grönländern selbst. Daher wurden die Wahlen als guter Indikator für die Bereitschaft der Bevölkerung angesehen, eine der Optionen zu verfolgen.

Grönland hat fünf politische Parteien. Die derzeitige Regierung, die nun in einer Übergangsrolle tätig ist, besteht aus der linken Inuit Ataqatigiit und der sozialdemokratischen Siumut. Beide Parteien waren historisch Teil der Regierungskoalition und gelten als gemäßigte Kräfte in der Unabhängigkeitsdebatte. Im Unabhängigkeitslager ist die Partei Naleraq der lauteste Befürworter einer sofortigen Unabhängigkeit und schlägt ein landesweites Referendum zu diesem Thema vor. Sie ist auch die einzige Partei, die engere Beziehungen zu den USA befürwortet. Die sozialliberale Demokraatit-Partei ist ebenfalls für die Unabhängigkeit, warnt jedoch vor einem überhasteten Prozess. Ihr Parteivorsitzender Jens-Frederik Nielsen äußerte auch erhebliche Bedenken hinsichtlich des Interesses von Trump an Grönland und sagte, er sei „eine Bedrohung für unsere politische Unabhängigkeit“. Das Parlament wird von der kleinen, mitte-rechts Atassut-Partei ergänzt, die für die Beibehaltung des Status quo plädiert.

Zwei klare Sieger

Grönland ist ein Land mit sehr wenigen Wahlumfragen, was zu einer Überraschung führte, als die ersten Ergebnisse veröffentlicht wurden. Unerwartet hat die liberale Demokraatit-Partei ihre Ergebnisse im Vergleich zu den Wahlen von 2021 mehr als verdreifacht, von 9,1 % auf 29,9 %. Damit ist sie die größte Partei in Grönland. Der zweite Gewinner der Wahlen ist die Naleraq-Partei, die ihr Ergebnis von 12 % auf 24,5 % verdoppeln konnte und nun die zweitgrößte Partei in Grönland ist. Die Verlierer der Wahl sind die beiden regierenden Parteien, Inuit Ataqatigiit und Siumut, die im Vergleich zu den letzten Wahlen 30 % verloren haben. Die Atassut-Partei gewann leicht und erhielt 7,3 % der Stimmen.

Überraschenderweise scheint die breitere Diskussion über Unabhängigkeit oder engere Beziehungen zu den USA nicht so dominant gewesen zu sein, wie erwartet. Der große Gewinner, die Demokraatit, verfolgten einen ruhigeren Ansatz in der Unabhängigkeitsdebatte im Vergleich zu den anderen Parteien. Sie konzentrierten sich stattdessen auf Themen, die näher am Alltag der Grönländer liegen, wie die Reduzierung der Steuerlast und die Förderung des Wirtschaftswachstums. Da beide Regierungsparteien verloren und die Oppositionsparteien gewannen, kann das Wahlergebnis auch als Aufruf der Wähler verstanden werden, sich von der alten Politik zu trennen und einen neuen Weg zu beschreiten. Die Wähler sind jedoch gespalten darüber, wohin dieser Weg führen soll.

Ausblick in die Zukunft

Es scheint unwahrscheinlich, dass es kurzfristig Veränderungen am Status quo geben wird, da es keine klare Mehrheit für eine sofortige Unabhängigkeit oder engere Bindungen an die USA gibt. Zudem kann die wirtschaftliche Abhängigkeit Grönlands von Dänemark nicht schnell verringert werden. Maßnahmen wie die Öffnung für ausländische Investitionen zur Förderung der Ressourcen oder eine engere Bindung Grönlands an die USA  wurden vorgeschlagen, haben jedoch nur parlamentarische Unterstützung von den Naleraq. Was die allgemeine politische Perspektive betrifft, wird vieles davon abhängen, welche Koalition die Demokraatit-Partei nun anstreben wird. Die Wahl des Koalitionspartners oder der Koalitionspartner wird einen Hinweis auf Grönlands zukünftige geopolitische Ausrichtung geben, obwohl radikale Veränderungen nicht in Sicht sind.

Aus europäischer Perspektive wäre es klug, die Beziehungen mit Grönland zu stärken. Der Zugang der Insel zu natürlichen Ressourcen bietet eine Gelegenheit zur Diversifizierung der Lieferketten und zur Unterstützung des Ziels der strategischen Autonomie der EU. Darüber hinaus ist die Lage Grönlands entscheidend in Bezug auf den Zugang zu neuen Handelsrouten nach Europa. Da die Wähler in der Frage der politischen Ausrichtung des Landes gespalten sind, bietet das Wahlergebnis eine Öffnung für die EU, stärkere Beziehungen zu Grönland aufzubauen – nicht nur, um Dänemark gegen den amerikanischen Druck zu unterstützen, sondern auch, um Grönland als eigenständigen Partner zu gewinnen.

EDINA IV - Crunch Time / Time Crunch For European Defence

EDINA IV - Crunch Time / Time Crunch For European Defence

EDINA IV – Crunch Time: Europas Weg zu einer neuen Verteidigungsarchitektur. Die Publikation EDINA IV – Crunch Time analysiert die drängenden Herausforderungen, vor denen Europa in einer Zeit geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten steht. Basierend auf Berichten aus über 20 europäischen Ländern untersucht EDINA IV umfassend die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie industrielle Fähigkeiten des Kontinents. Die Publikation beleuchtet die strategische Neuausrichtung Europas, die Notwendigkeit nachhaltiger Verteidigungsfähigkeiten und die Überwindung von Abhängigkeiten. Sie bietet fundierte Einblicke in zentrale Themen wie Munitionsknappheit, Lieferkettenprobleme und die Rolle multilateraler Kooperationen. Mit klaren Handlungsempfehlungen zeigt EDINA IV Wege auf, wie Europa in der entscheidenden Phase bis 2030 seine Sicherheitsarchitektur stärken kann.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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