Invasion der Ukraine
Putins Rechenfehler: Finanzkrise in Russland
Nach Putins Überfall auf die Ukraine und den Finanzsanktionen der EU und den Vereinigten Staaten wird die russische Wirtschaft von einer Finanzkrise getroffen, die viele Beobachter an das Ende der 1990er Jahre erinnert. Finanzielle Einbußen infolge des Angriffskrieges galten als von Putin eingepreist. Bereits kurz nach Kriegsbeginn musste die russische Zentralbank zusätzliche Liquidität bereitstellen, um einen Kollaps des Bankensystems abzuwenden. Doch auf die koordinierten Sanktionen zwischen den Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, dem Vereinigten Königreich und der EU war Putin nicht vorbereitet. In weniger als 48 Stunden nach Ankündigung der Maßnahmen musste die russische Zentralbank in einem historischen Schritt die Leitzinsen von 9 Prozent auf 20 Prozent erhöhen und verschlimmert die Finanzierungsbedingungen für russische Unternehmen und Banken. Vor einem Jahr hatte der Leitzins noch bei 4,5 Prozent gelegen. Der Rubel hat zwischenzeitlich über 30 Prozent an Wert verloren und damit einen ähnlichen Verlust wie zurzeit während der verheerenden Rubelkrise 1998/99. An der Moskauer Börse bleibt der Handel am Montag und am Dienstag komplett ausgesetzt, während die Bevölkerung versucht von den Bankautomaten noch möglichst viel Geld abzuheben. Selbst ein größerer Bankenansturm ist nicht ausgeschlossen. Es ist davon auszugehen, dass es turbulent wird, sobald der Handel an der Moskauer Börse wiederaufgenommen wird. Die russische Wirtschaft ist in einer der schwersten Krisen seit dem Ende der Sowjetunion. Beobachter gehen von einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 20 Prozent aus. Das ist nicht nur, aber vor allem Folge des entschlossenen Handels des Westens als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.
Ein historisches Sanktionspaket
Das Sanktionspaket der G7 Staaten gegen Russland gilt als eines der Größten der Geschichte. Die Liste an Staaten, die sich anschließen und auch der Umfang der Maßnahmen wird stets länger. Das Paket umfasst weitreichende Sanktionen gegen den Energie-, Verkehrs- und Technologiesektor sowie gegen die russischen Medien. Dazu gehören Verbote von Exporten und der geschäftlichen Zusammenarbeit. Besonders hervorzuheben sind personenbezogene Sanktionen gegen Geschäftsleute, Oligarchen und Politiker, wie dem russischen Präsidenten Putin und Außenminister Lawrow. Im Finanzbereich sind vor allem der Ausschluss wichtiger russischer Banken aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift und das Verbot von Transaktionen mit der russischen Zentralbank sowie das Einfrieren ihrer Vermögenswerte bedeutsam. Die Vorbereitungen für diese weitreichenden Maßnahmen haben bereits im November am Rande des G20 Treffens in Rom begonnen, als sich Vertreter der EU und der USA angesichts des russischen Truppenaufmarschs Gedanken über Sanktionen gemacht haben.
Wofür steht Swift?
Am meisten hat die Öffentlichkeit der Ausschluss Russlands von Swift bewegt. Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, oder kurz Swift, ist eine privatwirtschaftliche Organisation, die für mehr als 11.000 Banken in über 200 Ländern eine sichere Kommunikation für Finanzdienstleistungen bereitstellt. Swift ist genossenschaftlich organisiert, im Besitz der Banken und wird aufgrund des Sitzes in einem Vorort von Brüssel von der EU reguliert. Daher ist es auch für die EU möglich, Sanktionen gegenüber Swift zu erlassen. Das Netzwerk gilt als das wichtigste Kommunikationssystem für Banktransaktionen. Denn für jede Banküberweisung braucht es einen sicheren Weg Informationen über diese Transaktion zu übermitteln. Im Umkehrschluss erschwert der russische Ausschluss aus Swift Transaktionen zwischen russischen und ausländischen Banken. Verboten werden Transaktionen durch einen Ausschluss nicht. Allerdings gilt es als langwierig und kostspielig, Alternativen zu Swift zu finden. Früher wurden Transaktionen etwa über Fernschreiben übermittelt. Ohne alternatives System müsste jede einzelne Transaktion wieder per Telefon oder Faxgerät abgewickelt werden. Bereits im Zuge der Annexion der Krim durch Russlands ist über den Ausschluss russischer Banken aus Swift spekuliert worden. Vorschläge eines Ausschlusses Russlands oder russischer Banken kamen nicht vollkommen überraschend. Für inländische Transaktionen hat Russland 2014/15 bereits ein alternatives System entwickelt. An das System zur Übermittlung von Finanzmitteilungen (SPFS) sind seit 2018 alle russischen Banken sowie einige wenige Banken aus angrenzenden Staaten angeschlossen. Auch hat Russland versucht sich mit große Währungsreserven in wichtigen Fremdwährungen auf mögliche Sanktionen vorzubereiten. So war im Vorfeld des Krieges sogar die Rede von einer sanktionsfesten Wirtschaft. Dennoch hat der Ausschluss wichtiger russischer Banken – trotz der Ausnahme von Energietransaktionen – erheblichen Schaden für das russische Bankensystem angerichtet. Das ist auch der Fall, weil es mit einer weiteren Maßnahme zusammenfällt, auf die Russland nicht vorbereitet schien: Die Sanktionen gegen die russische Zentralbank Bank Rossii.
Sanktionen gegen die Zentralbank
Das Einfrieren von Vermögenswerten einer Zentralbank oder generell Maßnahmen gegen Zentralbanken sind unüblich und im Vergleich zum Swift-Ausschluss öffentlich nur wenig diskutiert worden. Bislang haben die Vereinigten Staaten lediglich die Zentralbanken von Nordkorea, Venezuela und dem Iran mit Sanktionen belegt. Ein ähnliches Vorgehen gegenüber einem G20 Mitglied galt bislang aufgrund der Folgen für das globale Finanzsystem als unwahrscheinlich. Aufgrund der Entscheidung alle Transaktionen mit der russischen Zentralbank zu verbieten, ihre Vermögenswerte einzufrieren und alle Geschäfte in US-Dollar zu untersagen, haben die USA, die EU, Kanada und das Vereinigten Königreich die Möglichkeiten den Rubel zu stabilisieren, gravierend eingeschränkt. Auch in Vorbereitung auf eine mögliche Auseinandersetzung mit der NATO hatte die russische Zentralbank Schätzungen zufolge rund 630 Milliarden US-Dollar an Währungsreserven angehäuft. Normalerweise könnte die russische Zentralbank mit diesen Devisen den Abwertungsdruck gegenüber dem Rubel abfedern. Doch ein großer Teil der russischen Devisen liegen im Ausland. Eigenen Angaben zufolge waren das Mitte Februar Wertpapiere und Bargeld im Wert von 460 Milliarden US-Dollar. Da diese Vermögenswerte nun eingefroren sind, fehlt es dem russischen Finanzsystem zum einen Dollar Liquidität. Zum anderen kann die russische Zentralbank weniger Reserven verkaufen, um den Rubel zu schützen. Das ist sonst einer der wichtigsten Waffen einer Zentralbank. Auch die knapp 2300 Tonnen Gold im Besitz der Zentralbank können nur bedingt eingesetzt werden. Denn dafür dürfte es durch die Sanktionen kaum Abnehmer geben und wahrscheinlich würde der Goldpreis infolge eines solchen Massenverkaufes ins Bodenlose fallen. Als Alternative hat das russische Finanzministerium inzwischen angeordnet, dass in dem Land ansässige Unternehmen 80 Prozent ihres Einkommens in Rubel umtauschen müssen, damit die Währung stabilisiert wird. Doch die Kursbewegungen deuten nicht darauf hin, dass es Russland gelingt, dem Abwärtsdruck etwas entgegenzuhalten. Das treibt auch die Inflation an. Auch dadurch verstärken die Sanktionen gegen die Zentralbank den Effekt aller anderen Wirtschaftssanktionen, weil die Zentralbank geldpolitische Entscheidungen wie Zinserhöhungen treffen muss, die sich negativ auf die Gesamtwirtschaft auswirken.
Kann China Putin helfen?
Anders als während der Finanzkrise Ende der 1990er Jahre kann Russland diesmal auch keine Hilfe vom Internationalen Währungsfonds erwarten. Es wird spekuliert, ob China die westlichen Sanktionen zumindest teilweise auffangen kann. Doch das erscheint zweifelhaft. Fakt ist, die Volksrepublik China hat sich bislang geweigert den russischen Angriffskrieg zu verurteilen und konnte sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen immerhin zu einer Enthaltung durchringen. Doch mit adäquaten Unterstützungsleistungen für die taumelnde russische Wirtschaft dürfte selbst China überfordert sein. Auch die zweitgrößte Wirtschaft der Welt ist im hohen Maßnahme abhängig vom US Dollar und den westlichen Finanzmärkten. Ähnlich wie Russland hat China in den vergangenen Jahren an einer Alternative gearbeitet, um unabhängiger von der westlichen Infrastruktur zu werden. Das Cross-Border Inter-Bank Payments System (CIPS) ist seit Ende 2015 in Betrieb und wird vorrangig für innerchinesische Transaktionen genutzt. Das Potential wird von Beobachtern insbesondere im Kontext mit Chinas digitaler Zentralbank als hoch eingeschätzt. Bisher sind 75 Banken an CIPS angeschlossen – im Vergleich zu den 11.000 Banken bei Swift. Doch zum einen ist China selbst noch in großem Ausmaß abhängig von Swift und zum anderen kann CIPS nur für den chinesisch-russischen Handel eingesetzt werden. Bisher hat China noch keine Bereitschaft gezeigt, mit Währungsreserven oder einer außergewöhnlichen Ausweitung des bilateralen Handels auszuhelfen.
Folgen der russischen Isolation
Zunächst muss die russische Wirtschaft also weitgehend allein mit den finanziellen Folgen von Putins Angriffskrieg zurechtkommen. Denn auch der Finanzstandort Schweiz und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich haben bereits ausgeschlossen irgendwie in die Umgehung von Sanktionen eingebunden zu werden. Die Folgen für die russische Finanzierung des Krieges sind bisher schwer abzusehen. Die EU und die USA haben bereits deutlich gemacht im Falle einer weiteren Eskalation durch Putin auch weitere Maßnahmen zu beschließen. Bislang von Sanktionen ausgenommen sind zum Beispiel Energielieferungen. Zudem treffen Wirtschaft und selbst Sportvereine bereits von sich aus auch eigenständig Maßnahmen, wie den Verkauf von Unternehmensanteilen oder der Kündigung von Sponsoring-Verträgen, um sich unabhängiger von Russland zu machen. Auch das verschärft die wirtschaftliche Krise in Russland. Klar ist: Die Sanktionen gegen die russische Zentralbank sind die schwerwiegendsten, weil sie einen von Putins wichtigsten Trümpfen aus dem Spiel genommen und seinen Versuch einer sanktionsfesten Wirtschaft zunichte gemacht haben. Ob das alles reicht, um den Kremlchef dazu zu bewegen, zurück an den Verhandlungstisch zu kehren und die Kriegshandlungen einzustellen, bleibt fraglich, aber die Entschlossenheit mit der die Europäische Union, transatlantische Allianz und die liberalen Demokratien weltweit auf diesen Akt autoritärer Aggression reagieren, hinterlässt Spuren. Nicht nur gegenüber Russland hat der Westen gezeigt, dass er handlungsfähig ist und auch in Peking dürfte dieses entschiedene, gemeinsame Vorgehen aufmerksam verfolgt werden.