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Hans-Dietrich Genscher
Globale Verantwortungspolitik - „Machtpolitik ist altes Denken."

Hans-Dietrich Genscher

Hans Dietrich Genscher war zweifellos der wirkungsmächtigste liberale Außenpolitiker Deutschlands im 20. Jahrhundert. Integration in europäische und transatlantische Strukturen auf der einen, eine Politik der Entspannung und Versöhnung auf der anderen Seite waren die zentralen Koordinaten seiner Politik, die am Ende mit den „friedlichen Freiheitsrevolutionen“ (Genscher) in Mittel- und Osteuropa sowie dem Wiedererlangen der deutschen Einheit ihr sinnbildliches Ende fanden. In den letzten Jahren vor seinem Tod trieben ihn die zunehmenden weltpolitischen Herausforderungen um, deren Bewältigung er sich nicht mehr in den Mustern traditioneller Machtpolitik vorstellen konnte. „Globale Verantwortungspolitik“ war das von ihm gewählte Begriffspaar.

„Ich halte nichts von Machtpolitik. Wir tragen eine große Verantwortung, die nicht nur geschichtlich begründet ist. Sie ergibt sich auch aus unserer geographischen Lage und aus unserem politischen und wirtschaftlichen Gewicht. Machtpolitik und Verantwortungspolitik widersprechen einander. Unsere Verantwortungspolitik gründet sich auf die Werte unserer Verfassung. Wir sind wohl das einzige Land, dessen Verfassung auch Vorgaben für die Außenpolitik enthält – „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Verantwortungspolitik ist dagegen wertbezogen. Sie hat nach dem Zweiten Weltkrieg das Handeln aller deutschen Regierungen bestimmt. Nach Beginn der Entspannungspolitik gab es keine sowjetische Intervention mehr im europäischen Machtbereich. Mit der deutschen Ostpolitik und der Schlussakte von Helsinki wurde der Weg freigemacht für die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands"

Einer der Gründe für den Erfolg der europäischen Einigung sei es gewesen, dass es eine Europa der Gleichberechtigung und der Ebenbürtigkeit der großen und der kleinen Staaten war. Dass nicht die kleinen Staaten machen müssten, was die großen tun. „Deutsche Verantwortung ist es, sich in dieser Lage als das europäische Deutschland zu bewähren. Ein Deutschland, das in die Selbstisolierung fliehen würde, wäre bald sehr, sehr einsam. Es würde kalt, eiskalt werden für das Land in der Mitte Europas, für das Land mit den meisten Nachbarn. Den Zweiflern, den Kleinmütigen sei gesagt: An Deutschland darf Europa nicht scheitern!“, sagte Genscher am 1. November 2012 im Willy Brandt-Haus in Berlin.

Worte wie „Macht“ oder „Machtpolitik“ seien altes Denken. „Schlüsselworte der neuen globalen Weltordnung sind „globale Interdependenz“ und als Konsequenz daraus „globale Verantwortungspolitik“. Das ist die Antwort auf die neue Realität einer wechselseitigen Abhängigkeit jedes Staates von jedem Staat.", so Genscher 2013 in einem Gastbeitrag für die mz.