Weltflüchtlingstag
Weltflüchtlingstag: Wenn “alte” und “neue” Migranten in Griechenland zu Konkurrenten werden
Griechenland hat schon Anfang der 1990er Jahre eine Migrationswelle erfahren. Damals kamen albanische und georgische Migranten, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Die Flüchtlinge von heute dagegen fliehen vor Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Die schwierige Wirtschaftslage in Griechenland erschwert ihre Integration zusätzlich.
Dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zufolge haben zwischen 2014 und 2019 mehr als zwei Millionen Menschen den lebensgefährlichen Versuch unternommen, das Mittelmeer zu überqueren. Sie waren und sind weiterhin auf der Suche nach einem sicheren und besseren Leben in Europa.
Dabei ist Migration, wie viele hierzulande annehmen, keine Erscheinung der Gegenwart, die erst durch die Kriege im Nahen Osten oder den bewaffneten Auseinandersetzungen in Afrika entstanden wäre. Es wird schnell vergessen oder bewusst verdrängt, dass zwischen 1815 und 1930 mehr als 60 Millionen Europäer nach Übersee zogen, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Ähnlich wie heute verließen die Menschen ihre alte Heimat um Krieg, Hunger und Krankheiten zu entkommen.
Damals wie heute gab es einen Konkurrenzkampf zwischen sogenannten alten und neuen Migranten um begrenzte Arbeits- und Wohnmöglichkeiten in der neuen Heimat.
Griechenland, das seit 2015 im Fokus der europäischen Flüchtlingsproblematik steht, ist aber nicht erst seitdem Ziel von Migranten und Flüchtlingen. Heute leben etwa 700.000 legale Migranten, die mehrheitlich in den 1990er Jahren nach Griechenland kamen und sich dort ein neues Leben aufgebaut haben. Viele von ihnen haben mittlerweile die griechische Staatsbürgerschaft angenommen.
Auf welche Probleme und Herausforderungen stießen die Migranten der 1990er Jahre und auf welche die Flüchtlinge seit 2015? Gibt es Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den “alten” und den “neuen” Migranten und wenn ja, welche sind diese?
Um diesen Fragen nachzugehen hat ein renommiertes Umfrageinstitut aus Griechenland mehrere hundert Menschen befragt, die schon seit Jahrzehnten oder erst seit ein paar Monaten in Griechenland leben. Als “alte” Migranten sind hier Albaner und Georgier befragt worden. Dem Zensus von 2001 zufolge machen Albaner mit mehr als 450.000 Menschen die größte Gruppe unter den “alten” Migranten aus, gefolgt von Georgiern, deren Anzahl auf ca. 250.000 geschätzt wird. Sowohl die Albaner als auch die Georgier kamen in Folge des politischen Zusammenbruchs des sozialistischen Blocks Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er nach Griechenland. Die “neuen” Migranten, die Teil der Studie waren, sind hingegen Afghanen und Syrer, die als Flüchtlinge im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 und danach nach Griechenland kamen.
Während die “alten” Migranten relativ gut in die griechische Gesellschaft und in den dortigen Arbeitsmarkt integriert sind, über eine vergleichsweise geringe Arbeitslosenquote verfügen und allgemein mit ihrem Leben zufrieden sind, sind die Flüchtlinge der letzten Jahre von diesen positiven Werten weit entfernt. Die Mehrheit von ihnen kann weder die Sprache sprechen noch sind sie in irgendeiner Weise in die griechische Gesellschaft integriert. Hinzu kommt die schwierige Wirtschaftslage, in der sich Griechenland seit einem Jahrzehnt befindet. Diese schwierige Ausgangslage macht Griechenland für die Flüchtlinge der letzten Jahre eher zu einem Zwischenstopp auf dem Weg nach Nord- und Westeuropa. Die Migranten der 1990er Jahre hingegen sahen Griechenland als ihre Endstation an, wo sie ihr weiteres Leben führen wollten.
Die prekäre Wohnungs- und Unterkunftssituation der Flüchtlinge spielt sicher eine große Rolle in der Unzufriedenheit der Flüchtlinge. Die große Mehrheit dieser Menschen lebt in Flüchtlingscamps und –containern. Nur 15% der Befragten gaben an, in einer anständigen Wohnung zu hausen. Die “alten” Migranten hingegen leben in ihren eigenen vier Wänden, ohne diese mit anderen teilen zu müssen.
Der Bildungsstand der Flüchtlinge macht die Integration der “neuen” Migranten nicht unbedingt einfacher: Nur etwa 12% der Flüchtlinge verfügen über einen Hochschulabschluss, während dieser Anteil unter den “alten” Migranten über der Hälfte (54%) liegt. Nahezu zwei Drittel der Flüchtlinge (64%) kann aufgrund fehlender Dokumente seinen Bildungsstand nicht nachweisen.
Auch die Motivation für die Flucht nach Griechenland ist zwischen den Migranten der 1990er und den Flüchtlingen der letzten Jahre grundlegend unterschiedlich: Mit 91% sind nahezu alle Flüchtlinge, die ab 2015 Zuflucht in Griechenland gesucht haben, einem bewaffneten Konflikt in ihrer Heimat entflohen. Auch eine Studie der Organisation “Action for Armed Violence” bestätigt, dass die Mehrheit der Flüchtlinge in Griechenland in irgendeiner Weise von den Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrer alten Heimat betroffen war. Unter den Albanern (20%) und den Georgiern (5%) ist ein bewaffneter Konflikt eher eine Ausnahme unter den Gründen für ihre damalige Flucht.
Zwischen den Migranten der 1990er und den Flüchtlingen ab 2015 gibt es also einen grundlegenden Unterschied, was deren Profil, Bedürfnisse, Probleme und Motivationen anbelangt. Die Hauptmotivationen der Albaner und Georgier waren ökonomischer Natur, so z.B. Arbeitssuche und bessere Lebensumstände. Mehr als die Hälfte der Afghanen und der Syrer, so das Ergebnis der Studie, ging vor ihrer Flucht in ihrer Heimat einer Arbeit nach.
Die Studie belegt auch, dass etwa nur ein Viertel der Afghanen und der Syrer in Griechenland bleiben will. 58% der Afghanen und 65% der Syrer sieht das Land als einen Zwischenstopp bzw. Transitland auf dem Weg nach Nord- und Westeuropa. Dies hängt auch stark damit zusammen, dass nur etwa 9% der “neuen” Flüchtlinge eine Arbeit haben. Im Vergleich dazu sehen aber knapp drei Viertel der “alten” Migranten ihre Zukunft in Griechenland. Etwa 77% von ihnen hat eine Arbeit. Die Arbeitslosenrate unter den Georgiern ist sogar mit 7% wesentlich geringer als der Landesdurchschnitt (19%). Während nahezu 25% der Albaner und Georgier Interesse haben, ihr eigenes Geschäft in Griechenland zu öffnen, ist dieser Wert bei den Afghanen und Syrern 12 bzw. 8%.
Das größte Problem bei der erfolgreichen Arbeitssuche ist der Studie zufolge die Sprachbarriere. Das Fehlen von Geld und von offiziellen Dokumenten, physische und mentale Schwierigkeiten sowie kulturelle Differenzen spielen hierbei eine geringere Rolle. Die fehlende finanzielle Unabhängigkeit spiegelt sich auch in der allgemeinen Unzufriedenheit der Flüchtlinge wider. Nahezu 90% der Afghanen und der Syrer ist unzufrieden mit seiner Situation.
Obwohl eine große Mehrheit unter allen Befragten angab, keine systematische Diskriminierung in Griechenland erfahren zu haben, stellte etwa ein Viertel der “neuen” Migranten fest, dass ihnen Dienstleistungen von staatlichen Stellen (Schulen, Krankenhäuser, etc.) verweigert wurde. Dieser Wert betrug unter den “alten” Migranten nur ca. 10%.
Untersuchungen der OECD besagen, dass die finanzielle Unabhängigkeit eine Schlüsselrolle für die Integration von Migranten spielt. Migranten haben auch viel größeres Interesse als die einheimische Bevölkerung, ihr eigenes Geschäft zu eröffnen. Neben der Integration in den Arbeitsmarkt spielen das Erlernen der Sprache und die politische Integration (das Wissen um die politischen Institutionen, der Gesetze sowie der politischen Kultur) weitere wichtige Rollen bei der erfolgreichen Integration in die Gesellschaft. Doch chronische Probleme, wie z.B. das schwache Wirtschaftswachstum, die Krise des Sozialstaats, hohe Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, schlechte Wohnverhältnisse und schlechte Qualität der staatlichen Dienstleistungen, führen zu einem Konkurrenzkampf zwischen einerseits den Einheimischen und den Migranten sowie andererseits zwischen “alten” und “neuen” Migranten. Die griechische Staatsschuldenkrise der letzten Jahre samt ihrer Folgen und die Flüchtlingskrise seit 2015 haben zu einem Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Migrantengruppen um begrenzte Arbeits- und Wohnmöglichkeiten geführt, die die Integration der neu Angekommen zusätzlich erschwert haben.