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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Großbritannien
Lektion für Libertäre

Liz Truss ist gescheitert. Ganz anders als seinerzeit Ronald Reagan. Das Vereinigte Königreich von 2022 ist instabiler als die Vereinigten Staaten vor vierzig Jahren.
Liz Truss

Liz Truss ist nun Großbritanniens Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit: 45 Tage.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Stefan Rousseau

Nun hat sie ihren Rücktritt angekündigt: Nach gerade mal sechs Wochen gibt Liz Truss als britische Premierministerin auf. Wer in den letzten Tagen die BBC anschaltete oder in englischen Zeitungen stöberte, der wundert sich nicht darüber. Es gab zuhauf vernichtende Kommentare zur Politik im Vereinigten Königreich.

Was war geschehen? Nach Boris Johnsons Rücktritt kam die Wahl von Liz Truss. Und es kam deren neues Regierungsprogramm, das allerdings in seinem zentralen finanzpolitischen Teil nur wenige Tage überlebte. Auf Druck der Kapitalmärkte wurde es komplett revidiert. Der Finanzminister musste gehen, weil er es angeblich zu verantworten hatte; die Innenministerin ging freiwillig - wohl auch, weil sie in dieser Kehrtwende einen Verrat an einem konservativen Kernanliegen zu erkennen glaubte. Und jetzt hat Liz Truss selbst ihren Rücktritt erklärt.

Politisch ist dies fast eine Posse, ein wenig blamabel für das stolze Vereinigte Königreich. Gleichwohl lohnt es sich, die inhaltliche Genesis der Krise nachzuzeichnen, denn sie ist lehrreich. Die Regierung wollte - nach libertärer Rezeptur - die Steuern drastisch senken. Dies hätte eine ebenso drastische Erhöhung des Haushaltsdefizits nach sich gezogen, zu finanzieren durch zusätzliche Staatsverschuldung am (globalen) Kapitalmarkt - in der Hoffnung, dass die Steuersenkung mittel- und langfristig das Wachstum der britischen Wirtschaft stark genug beflügeln würde, um über wachstumsbedingte zusätzliche Steuereinnahmen auch das Defizit wieder zu senken.

Soweit die Grundidee. Sie ist nicht neu. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, alt genug ist, die frühen achtziger Jahre politisch bewusst miterlebt zu haben, wird sich erinnern. Das war der Grundgedanke der sogenannten Laffer-Kurve. Sie diente 1980ff dem frisch gewählten amerikanischen Präsidenten als libertärer Wegweiser für das, was später „Reaganomics“ genannt wurde: eben massive Steuersenkungen und dazu noch eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Die Folge: ein „twin deficit“, also ein riesiges Defizit im Staatshaushalt und ein riesiges Defizit in der Leistungsbilanz, aber beides, wie sich herausstellte, bemerkenswert leicht zu finanzieren durch Zinserhöhungen, die zu einer massiven Zunahme der Kapitalimporte bei scharf steigendem (!) Dollarkurs führten.

Vielleicht schwebte Liz Truss so etwas oder Ähnliches für Großbritannien vor. Sie übersah dabei, dass damals in den USA die Geldpolitik längst auf hartem Stabilisierungskurs war, seit Paul Volcker im September 1979 die Fed übernommen hatte. Er sagte der Inflation den kompromisslosen Kampf an, und er nahm erkennbar diesen Kampf auf, mit den härtesten monetären Maßnahmen. Allein dies sorgte schon für eine Stärkung des Dollar. Hinzu kam natürlich die Größe und Macht der Vereinigten Staaten, der damals (und heute!) noch immer kraftvollsten Wirtschaft der Welt - trotz einer längeren Schwächephase in den siebziger Jahren. Scharf kontraktive Geldpolitik plus scharf expansive Fiskalpolitik, das konnten sich eigentlich nur die Vereinigten Staaten leisten, auch wenn auch damals schon viele Ökonomen skeptisch waren. Andere Nationen zahlten den Preis für diese Politik des „benign neglect“: mit hohen Zinsen, schwachen Währungen und starkem Kapitalabfluss.

Nichts dergleichen heute im Vereinigten Königreich. Die Inflationsrate liegt wieder über 10 Prozent, von einem glaubwürdigen monetären Stabilitätskurs kann noch nicht die Rede sein. Unter diesen Umständen anzukündigen, den Staatshaushalt in ein tiefes Defizit zu treiben, war ganz einfach Harakiri. So sahen es auch die Finanzmärkte. Sie brachen ein, genauso wie das britische Pfund. Das war dann auch schon das Ende von Liz Truss‘ libertärem Experiment. Ein Fiasko! Der libertäre Traum vom Singapur an der Themse zerbrach. Niemand kann es heute den USA von vor vierzig Jahren gleichtun.

Es zeigt im Übrigen, wie wichtig eine seriöse Finanzpolitik selbst für ein Land wie Großbritannien ist, das in den internationalen Finanzmärkten trotz allem als hochsolvent gilt. Eine „Schuldenbremse“ - glaubwürdig vertreten - hätte dem Land gutgetan. Ein Grund mehr, die Schuldenbremse in Deutschland hochzuhalten. Sie ist eine Versicherung gegenüber unliebsamen Überraschungen an den Kapitalmärkten. Dies gilt allemal für Deutschland, dem größten Land der Eurozone. Und deshalb auch für den Euro. Liberale Finanzpolitik ist eben etwas anderes als libertäre Steuersenkungen.