Gründungsjubiläum FDP
Mitten bei der Arbeit
Liberale stehen für Freiheit und Verantwortung. Liberale Parteien waren in Deutschland seit ihrem Entstehen im 20. Jahrhundert niemals reine Bewegungen des Protests, sondern immer auch Anbieter realistischer Programme, die im Falle eines Wahlerfolgs auch umgesetzt werden sollten – mit Kompromissen, aber im Kern klar erkennbar. Genau deshalb war die Irritation groß, als der FDP-Vorsitzende Christian Lindner 2017 bekannt gab, auf eine Regierungsbeteiligung zu verzichten, weil CDU und Grüne der FDP in den Verhandlungen über die Bildung einer Jamaika-Koalition nicht weit genug entgegenkamen. 2021 kam es anders, wie häufig zuvor in der 75-jährigen FDP-Geschichte. Die FDP ist seit 2021 an der Bundesregierung beteiligt – wie schon 1949 bis 1957, 1961 bis 1966, 1969 bis 1982, 1983 bis 1998 und 2009 bis 2013.
Eine stolze Bilanz. Die FDP ist fast so etwas wie eine traditionelle Regierungspartei. Und dies galt auch für ihre Vorläuferparteien der Weimarer Republik, die Deutsche Demokratische Partei und die Deutsche Volkspartei von Gustav Stresemann. Auch damals waren die 15 Jahre vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Machtübernahme Hitlers eine Zeit, in der liberale Parteien in den häufig wechselnden Kabinetten eine prägende Rolle spielten. Und selbst im – noch autokratischen – Kaiserreich war der politische Einfluss der liberalen Parteien, von Freisinn bis zu den Nationalliberalen, jedenfalls im Reichstag seit 1871 stets stark, wenn auch im Trend abnehmend.
Der Grund dafür ist im Kern einfach: Der Liberalismus liegt in der Mitte des politischen Spektrums, er ist „bürgerlich“ und hält sich von politischen Extremen der Linken und der Rechten ein gutes Stück entfernt. In einer Gesellschaft, in der bürgerliche Werte dominieren, hat er einen natürlichen starken Platz. Und wenn das Bürgertum bereitsteht, Verantwortung für die Erneuerung der Gesellschaft in freiheitlichem Geist zu übernehmen, dann hat der organisierte Liberalismus gute Chancen, eine zentrale Rolle in der Politik zu spielen.
So war es bei all dem, was man im Rückblick die großen „Zeitenwenden“ der Bundesrepublik Deutschland nennen könnte. Es waren mindestens fünf, und immer war die FDP dabei. Mehr noch: Sie war in vielerlei Hinsicht die treibende Kraft – auch als relativ kleine Partei, die der innovativen Richtungsentscheidung mehr Gewicht beimaß, als dies etablierte Volksparteien zu tun pflegen.
• So unterstützte die FDP ohne Wenn und Aber die Etablierung einer Sozialen Marktwirtschaft durch den späteren Wirtschaftsminister Ludwig Erhard – statt planwirtschaftlicher Modelle, und dies zu einer Zeit (1947/48), als die CDU noch Plänen der Verstaatlichung nachhing und die SPD mit allem Nachdruck marxistischen Konzepten der Planwirtschaft folgte.
• So setzte sich die FDP im Zuge der spektakulären Spiegel-Affäre 1962 in der Bundesregierung für die Durchsetzung der Pressefreiheit ein, auch wenn darüber der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauss zurücktreten musste – und dies zu einer Zeit, als Ansätze der modernen und mutigen Berichterstattung die deutsche Medienlandschaft gerade erst zu durchziehen begannen.
• So entwickelte die FDP von Walter Scheel ab 1969 in der sozialliberalen Koalition das Konzept einer neuen Ostpolitik, die auf vernünftige Verständigung mit dem sozialistischen und planwirtschaftlichen Osten des europäischen Kontinents setzte, aber die Wiedervereinigung Deutschlands nicht aus dem Auge verlor und – im Nachhinein erkennbar – erst möglich machte.
• So sorgte die FDP durch den Koalitionswechsel 1982/83 zum einen für die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses der Stationierung von Mittelstreckenraketen zur Abschreckung gegenüber der Sowjetunion nach deren Besetzung von Afghanistan; zum anderen ermöglichte die FDP den Wechsel zu einer nachhaltigen Konsolidierung des Bundeshaushalts und einer nötigen stärkeren Marktorientierung der Wirtschaftspolitik.
• So gestaltete die FDP des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher die Deutsche Einheit ab 1990 in internationalen Vertragswerken, die es erlaubten, Deutschland friedlich wiederzuvereinigen, den Osten des Landes wirtschaftlich zu entwickeln und die europäische Zusammenarbeit einschließlich der Etablierung einer gemeinsamen Währung voranzubringen.
All dies waren enorme historische Leistungen zum Bewältigen einer „Zeitenwende“. Sie waren von hohem innovativen Wert, und sie wurden natürlich stets in Koalitionen erreicht, die den politischen Konsens mit den politischen Partnern in den entscheidenden Punkten voraussetzten. Also: Allein war die FDP in ihren Entscheidungen nie.
Heute stehen wir wieder mitten in einer solchen Zeitenwende – durch den russischen Angriff auf die Ukraine, vielleicht auch durch den grausamen terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und schließlich als Folge von Veränderungen der Globalisierung – zum einen durch die Herausforderungen der Klimapolitik, zum anderen durch die Gefahren eines aufkommenden Protektionismus. Und schließlich – ganz aktuell – erleben wir eine ausgeprägte Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft sowie schwierige finanzpolitischen Engpässe, die durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch akzentuiert wurden.
Bei all diesen Themen ist es wieder einmal die FDP, die besonders klar akzentuierte Positionen pointiert. Dies führt durchaus zu gelegentlich scharfem Streit in der Regierungskoalition – zuletzt in der Frage der Haushaltspolitik, bei der es die FDP gewesen ist, die in aller Deutlichkeit die Rückkehr zur Schuldenbremse ohne Rückgriff auf Steuererhöhungen forderte (und im Wesentlichen durchsetzte) – ganz in der Tradition früherer „historischer“ Zuspitzungen wie etwa 1966 und wieder 1982, als die FDP jeweils die Beteiligung an der Bundesregierung aufgab, weil sie die Grundforderung einer Rückkehr zur finanzpolitischen Solidität nicht gewährleistet sah. Diesmal hielt die Koalition, aber der Druck auf sie war enorm.
Genau hier liegt eben die große Aufgabe einer Partei der Mitte, die sich bürgerlichen Werte der Freiheit und des Fortschritts verpflichtet sieht. Sie muss sich den Herausforderungen mit programmatischer Konsequenz stellen – als Programmpartei, die ihre Grundsätze und Werte ernst nimmt. Andererseits muss sie aber auch in der Lage sein, mit den jeweiligen Koalitionspartnern jene Kompromisse einzugehen, die unvermeidlich sind, will man Handlungsfähigkeit beweisen und damit das Land voranbringen. Beides zusammen macht eine Partei nicht unbedingt beliebt, und zwar weder in der Breite der Bevölkerung noch in den Kreisen der weiteren eigenen Anhängerschaft, die ja gerade bei der FDP oft aus selbstbewussten unabhängigen Köpfen besteht, die zu Recht ihre eigenen individualistischen Ideen, Meinungen und Prinzipien pflegen.
Deshalb ist die FDP keine Volkspartei – und wird es wohl auch nie werden. Aber sie ist, wie es die Grande Dame der FDP Liselotte Funcke im Jahr 1973 zum 25. Geburtstag der Partei ausdrückte, “unverwechselbar und unentbehrlich”. Und so wird das auch bleiben. Wir gratulieren!