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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Handelspolitik
Zukunft mit Zollmauern?

Ob mit Harris oder Trump: Die Vereinigten Staaten marschieren handelspolitisch in Richtung Protektionismus. Europa muss sich darauf vorbereiten.
Die Vereinigten Staaten marschieren handelspolitisch in Richtung Protektionismus.

Was hat sie vor? Auch mit Kamala Harris als Präsidentin könnten die Vereinigten Staaten handelspolitisch in Richtung Protektionismus marschieren.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Yusuke Tomiyama

Seit Bidens Verzicht auf eine erneute Kandidatur ist es klar: Wir steuern auf eine der spannendsten Präsidentschaftswahlen in der amerikanischen Geschichte zu. Vor allem, was die Unterstützung der Ukraine betrifft: Kamala Harris und ihre Demokraten sind Internationalisten, die bereitstehen, Russland in Europa die Grenzen aufzuzeigen; Donald Trump und seine Republikaner sind Isolationisten, die geneigt sind, die Verteidigung der Ukraine den Europäern zu überlassen. Dies ist eine Weggabelung von überragender geopolitischer Bedeutung.

Nicht weniger wichtig ist die Handelspolitik. In dieser Hinsicht ist allerdings der Unterschied zwischen Harris und Trump vielleicht in der Schärfe der Rhetorik groß, aber im Kern der Ziele klein: Beide wollen mehr Exporte und weniger Importe, beide wollen ein re-industrialisiertes Amerika, beide wollen eine Schrumpfung des riesigen Defizits in der Leistungsbilanz des Landes.

Für das Lager von Donald Trump heißt der intellektuelle Vater dieser Politik Robert Lighthizer. Der 76-jährige Republikaner ist ein Profi. Er war während der Präsidentschaft von Donald Trump 2017 bis 2021 Handelsbeauftragter und schon in den achtziger Jahren stellvertretender Handelsbeauftragter der USA unter Ronald Reagan. Er ist Autor eines 2023 erschienenen Buches mit dem provokanten Titel: „No Trade Is Free“. Erst vor wenigen Wochen hat er seine Ideen im Londoner ECONOMIST ausgebreitet.

Lighthizers Botschaft ist ganz einfach: Die USA leiden an einem chronischen Defizit in ihrer Leistungsbilanz, das seit 20 Jahren nie verschwunden ist. Jahr für Jahr absorbieren sie mehr ausländische Waren und Dienste als sie inländische Waren und Dienste ausführen – und finanzieren dies durch Kapitalimporte, also Verschuldung und den Verkauf von Aktiva. Dies macht das Land zunehmend von fremden Eigentümern wie China politisch abhängig; und es unterhöhlt die wettbewerbliche Basis des verarbeitenden Gewerbes in industriellen Kernregionen des Landes. Das kumulierte Ausmaß des Kapitalimports über die letzten zwei Dekaden ist in der Tat atemberaubend – laut Lighthizer etwa 15 Billionen US-Dollar.

Soweit die Analyse. Im Wesentlichen stimmt sie. Aber die Frage ist: Was kann man dagegen tun? Lighthizers – und Trumps – Antwort ist simpel: Zollmauern errichten! Deren Höhe sollten sich nach dem Ziel richten, also der Beseitigung des Defizites in der Leistungsbilanz: wenn es reicht ein Importzoll von 10 Prozent, wenn nötig aber auch 20 oder 30 Prozent, bis das Defizit verschwindet. Kein Zweifel, das wäre ein politisches Erdbeben, das Trump ganz offen propagiert. Die Demokraten sehen dies von der Analyse her nicht viel anders, halten sich aber mit der Schlussfolgerung – noch (?) – zurück. Man darf sich aber in Europa nichts vormachen: Der Schutz der amerikanischen Industrie wird im Wahlkampf zu einem der überragenden Themen werden, und die Demokraten können dann ganz schnell in einen protektionistischen Zugzwang geraten, vor allem mit Blick auf ihre „Blue Collar“ Wähler in den altindustriellen Swing States wie Michigan und Pennsylvania. 

Ist Lighthizers Rezept sinnvoll? Volkswirtschaftlich enthält es einen fundamentalen Denkfehler: Protektionismus allein wird sein Ziel verfehlen, wenn nicht die USA gleichzeitig ihre gesamtwirtschaftliche  Nachfrage zurückfahren. Denn sonst wird die Verteuerung der Importe über die verstärkte Nachfrage nach amerikanischen Gütern lediglich zu einer Aufwertung des US-Dollars führen und über deren Preiswirkung den Effekt der Protektion neutralisieren, also Exporte verteuern und Importe verbilligen. Schlüssel zur Minderung der Nachfrage ist aber das Haushaltsdefizit, das in den letzten Jahren immer hoch war und derzeit gewaltige 6,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Provokant formuliert: Die USA benötigen eine Art Schuldenbremse, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auf jenes Maß zurückzuführen, das dann einen Ausgleich der Leistungsbilanz bei gleichzeitiger Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie erlaubt.

Leider ist politisch längst klar: Weder Demokraten noch Republikaner denken über eine Konsolidierung des öffentlichen Haushalts nach. Weder Ausgabenkürzungen noch Steuererhöhungen stehen zur Debatte. Das Thema wird wohl im Wahlkampf keine Rolle spielen, auch wenn in den seriösen internationalen Medien wie dem ECONOMIST immer wieder entsprechende Forderungen aufgestellt wurden. Die nächsten Jahre wird deshalb wohl das gesamtwirtschaftliche Ungleichgewicht bleiben – und damit auch das Defizit in der Leistungsbilanz sowie die Schwäche der industriellen Basis, wie sie von Lighthizer diagnostiziert wird.

Genau deshalb droht eine politische Gefahr: Egal ob für Harris oder Trump, die Verführung wird nach der Wahl groß sein, die Vereinigten Staaten mit einem protektionistischen Wall im Sinne von Lighthizer zu umgeben, auch wenn es sich nach Jahren zeigen weird, dass dies nicht zum gewünschten Ziel führt. Dafür muss sich Europa wappnen, egal unter welchem Präsidenten. Der wirtschaftliche Wind wird rauer, auch transatlantisch.