Arbeitskräftepotenzial
Strukturreform statt Schuldenwirtschaft – was die Aktivierung zusätzlicher Arbeitskraft bringen kann
Ein neues Gutachten des RWI für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zeigt die enormen Chancen einer besseren Aktivierung dieses ungenutzten Arbeitskräftepotenzials in Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt könnte dauerhaft um 15 Prozent steigen, der Staatshaushalt jährlich um 169 Mrd. Euro entlastet werden.
Die deutsche Wirtschaft hat ein echtes Wachstumsproblem. Andere Industrienationen haben sich nach Corona zügig erholt – in Deutschland ist von diesem wirtschaftlichen Schwung nichts zu spüren. Deutschland ist einmal mehr „der kranke Mann“ in Europa. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen, die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt gehört ganz sicher dazu. Bereits jetzt ist der Arbeitskräftemangel überall spürbar. Die demografische Entwicklung könnte diesen Mangel in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen.
Dabei gibt es in Deutschland bereits heute ein erhebliches Maß an ungenutztem Arbeitskräftepotenzial, welches es zu heben gilt. Die Studie „Wachstumsbooster Arbeitsmarkt “ des RWI im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zeigt die enormen Chancen einer besseren Aktivierung dieses ungenutzten Arbeitskräftepotenzials. Dabei werden insbesondere auch die positiven Auswirkungen auf die Einnahmen- und Ausgaben des Staates sowie auf die Wirtschaftsleistung aufgezeigt.
Status Quo: Wie hoch ist das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial in Deutschland?
- Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial liegt in Deutschland bei rund 6,4 Millionen Menschen. Hierzu zählen alle Menschen, die nicht-erwerbstätig und gleichzeitig arbeitsfähig sind, arbeitslos registriert sind, oder lediglich eine gelegentliche Nebentätigkeit ausüben.
- Weiterhin sind etwa 6 Millionen Menschen in Deutschland unterbeschäftigt. Hierbei handelt es sich um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren gewünschte Arbeitsstunden höher sind als die tatsächlich geleisteten.
- In Deutschland liegt die Partizipationsquote von Menschen über dem Regelrenteneintrittsalter von 65 Jahren bei 8,9 Prozent. Der Blick auf andere Staaten zeigt, dass deutlich höhere Partizipationsquoten realistisch wären. So betrug in Schweden die Erwerbsquote der Über-65-Jährigen im Jahr 2023 immerhin 20,0 Prozent.
Welche Effekte hätte eine Aktivierung des ungenutzten Arbeitskräftepotenzials?
- Bei einer realistischen Aktivierung bisher nicht-erwerbstätiger und unterbeschäftigter Menschen in Deutschland würde sich der Finanzierungssaldo des Staatshaushalts um jährlich 169 Milliarden Euro erhöhen. Hier sind steigende Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sowie sinkende Sozialausgaben eingerechnet. Das Bruttoinlandsprodukt würde dauerhaft um knapp 15 Prozent steigen.
- Für diese Analyse werden Szenarien gebildet, in denen das bisher ungenutzte Arbeitskräftepotenzial in unterschiedlichem Maß aktiviert wird. Die Berechnungen basieren auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels, einer repräsentativen Haushaltsbefragung für Deutschland und dem Mikrosimulationsmodell des RWI, EMSIM.
- Im ersten Szenario werden nicht erwerbstätige Menschen in Deutschland unter 65 Jahren aktiviert. Im zweiten Szenario werden zusätzlich die Erwerbsstunden der Unterbeschäftigten auf ihre Wunscharbeitszeit erhöht. Im dritten Szenario schließlich erhöht sich darüber hinaus die Erwerbsbeteiligung von Menschen jenseits des Regelrenteneintrittsalters auf das Niveau in Schweden. Dieses Szenario würde zu den beschriebenen Effekten einer realistischen Arbeitskraftaktivierung in allen Gruppen führen.
- Zusätzlich wäre es noch möglich, die qualifizierte Einwanderung in den Arbeitsmarkt zu erhöhen. Eine Überschlagsrechnung bildet den Effekt ab, den eine einmalige zusätzliche Einwanderung von 300 000 Personen hätte. Hierdurch würde die Zahl der offenen Stellen (die derzeit besonders hoch ist) auf ein normales Maß sinken und es würden staatliche Mehreinnahmen von jährlich rund 7 Milliarden Euro entstehen.
- Die Berechnungen zeigen, dass die Aktivierung des ungenutzten Arbeitskräftepotenzials eine wirkmächtige angebotsseitige Stellschraube ist. Gelingt sie, könnte das Bruttoinlandsprodukt langfristig deutlich erhöht werden. Gleichzeitig würde auch der Ausgabenspielraum der öffentlichen Haushalte signifikant steigen.
Wie lässt sich das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial in Deutschland aktivieren?
Die Studie untersucht weiterhin, welche Maßnahmen zu einer Aktivierung des Arbeitskräftepotenzials beitragen können. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehören eine Ausweitung des Kinderbetreuungsangebots, eine Verfahrensbeschleunigung bei der Einwanderung aus Drittstaaten, die Flexibilisierung von Arbeitszeitregelungen, sowie die Abschaffung der Rente mit 63.
Für den Vorstandsvorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Prof. Karl-Heinz Paqué sind die Ergebnisse echte Mutmacher, die zeigen, dass eine Aufweichung der Schuldenbremse keinen Sinn ergibt:
Gute Wirtschaftspolitik ist mehr wert als das Schleifen der Schuldenbremse. Würde es gelingen aktuell Unterbeschäftigte für den Arbeitsmarkt zu aktivieren, würde der Finanzierungssaldo der öffentlichen Hand um 169 Mrd. Euro jährlich ansteigen. Zum Vergleich: Eine Aufweichung der Schuldenbremse auf eine erlaubte Nettoschuldenaufnahme von 1 % des BIPs statt aktuell 0,35 % hätte den finanziellen Spielraum des Bundes in 2023 dagegen um rund 27 Mrd. Euro erhöht.
Fazit
Deutschland kann seine Wachstumskrise nur überwinden, wenn die notwendigen Strukturreformen angestoßen werden. Besonders wichtig sind solche Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeit und Leistung muss sich wieder lohnen – nur dann können wir das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial in Deutschland aktivieren. Anfang der 2000er Jahre hat die Agenda 2010 mutige Reformen angestoßen. Diesen Mut zu großen Arbeitsmarktreformen braucht es auch jetzt. Unser Gutachten zeigt eindrucksvoll, wie sehr wir für diesen Mut belohnt werden könnten.
Die Studie wurde erstmals am 18. Dezember 2024 vom Handelsblatt veröffentlicht.