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China Bulletin
Hongkong wird ehemaliges Finanzzentrum

Sitz der Hongkonger Aktienboerse

Headquarters of the Hong Kong Stock Exchange.

© picture alliance / Daniel Kalker | Daniel Kalker

Hongkongs Wirtschaft erholt sich nicht. Harten Corona-Restriktionen folgten Auswanderungen wegen des Nationalen Sicherheitsgesetzes, Kapitalflucht nach Singapur, Kursabstürze an der Börse und ein Einbruch des Immobilienmarktes.

Indien hat vor kurzem Hongkong als viertgrößten Aktienmarkt der Welt überholt. Umfragen zeigen, dass Singapur nun das führende Finanzzentrum in Asien ist und mehr internationale Finanzströme anzieht als Hongkong. Im Internet spotten Menschen aus Festlandchina, Hongkong sei heute vor allem ein ehemaliges "internationales Finanzzentrum”, sozusagen eine historische Sehenswürdigkeit. Erst kürzlich sind chinesische Politiker in Hongkong eingetroffen, um die lokalen Beamten anzuweisen, Hongkongs Status als Finanzzentrum wiederzubeleben. Das sollte der internationalen Gemeinschaft signalisieren, dass Hongkong nach wie vor die Unterstützung ganz Chinas genießt. Doch die erhoffte, vertrauensbildende Wirkung blieb aus.

Im Jahr 2020 hatte Peking an allen Hongkonger Institutionen vorbei die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes (National Security Law, NSL) in Hongkong angeordnet. Dieser Eingriff hat die rechtliche und politische Landschaft Hongkongs für immer verändert. Zeitgleich kamen strenge Covid-Beschränkungen. Nach der Pandemie, als sich der Rest der Welt 2022 zu öffnen begann, blieb Hongkong wie der Rest Chinas im harten Covid-Lockdown. Von “Ein Land, zwei Systeme” gab es keine Spur. “Zero-Covid” und harter Lockdown waren Teil von Xis nationaler Politik im Kampf gegen Covid. Peking stellte diese Politik als Xis Meisterleistung dar, auf die das chinesische Volk stolz sein sollte. Im neuen Hongkong, wo es keine oppositionellen Stimmen und keine unabhängigen Medien mehr gibt, hatte die Regierung das Gefühl, die Covid-Politik des Festlands so genau wie möglich übernehmen zu müssen, um politisch korrekt zu sein.

Das NSL hat eine Auswanderungswelle aus Hongkong ausgelöst. Mehr als 600.000 Hongkongerinnen und Hongkonger haben die Stadt seit 2020 verlassen. Die meisten von ihnen haben sich in Großbritannien, Kanada, Australien oder den USA niedergelassen. Es handelt sich um die solide Mittelschicht, die den Kern der Hongkonger Gesellschaft und Wirtschaft bildete. Im Jahr 2023 wurden die Covid-Beschränkungen schließlich aufgehoben. Doch die lokale Wirtschaft hat sich nicht erholt. Der Hang Seng Index befindet sich heute auf dem tiefsten Stand seit 25 Jahren. Der Immobilienmarkt ist um 30 Prozent eingebrochen. Seit 2020 haben Menschen aus Hongkong mehr als 100 Milliarden Pfund in den britischen Immobilienmarkt investiert, um in ihrer neuen Heimat Immobilien zu kaufen. Die Regierung von Hongkong hat diejenigen, die nach Großbritannien gezogen sind, bestraft: Sie dürfen ihre Rente nicht mehr beziehen. Diese Abschreckung hat nicht gewirkt - die Menschen verlassen Hongkong trotzdem.

Reiche ziehen nach Singapur

Wohlhabende Festlandchinesinnen und -chinesen parkten in der Vergangenheit ihr Geld in Hongkong. Sie sahen ihr Geld so vor dem Zugriff der chinesischen Behörden geschützt. Vor der Einführung des NSL war Hongkong ein attraktiver Ort für die Verlagerung von Vermögenswerten vom chinesische Festland. Hongkong hatte niedrige Steuern und ein solides Finanzsystem, und es herrschte Rechtsstaatlichkeit. Von Hongkong aus ließ sich das Geld außerdem relativ leicht international weiter verschieben. Hongkong galt als sicher und weit genug vom Festland entfernt. Das ist heute nicht mehr der Fall. Heutzutage sehen wohlhabende Festlandchinesen und -chinesinnen Hongkong nicht mehr einen Ort, der außerhalb der Reichweite der Behörden der VR China liegt. Infolge der veränderten rechtlichen und politischen Landschaft sind Vermögenswerte in Hongkong für die Behörden der Volksrepublik China greifbar geworden. Denn wenn zivil- oder strafrechtliche Urteile mit einer Geldstrafe oder Schadensersatz verbunden sind, muss das Rechtssystem in Hongkong nun Verurteilungen umsetzen, die von Gerichten der Volksrepublik erlassen wurden.

Viele wohlhabenden Festlandchinesinnen und -chinesen eilen nun nach Singapur, um bei den dortigen Finanzinstituten Konten für die private Vermögensverwaltung zu eröffnen. Supererfolgreiche Unternehmer wie Jack Ma von Alibaba oder Xu Jiayin, dem Eigentümer von Evergrande (einst der größte Immobilienentwickler Chinas) wurden verhaftet, verschwanden aus der Öffentlichkeit, und wurden mit hohen Geldstrafen belegt, als sie gefühlt zu mächtig wurden.  Ihr Schicksal treibt die Unternehmer in die Flucht. Und so ziehen die meisten es vor, ihr Geld aus dem Land zu schaffen, anstatt es in die chinesische Wirtschaft zu reinvestieren. Wohlhabende Immobilienentwickler und Geschäftsleute in Hongkong wurden von Pekinger Beamten darauf aufmerksam gemacht, dass sie "ihren Teil" zur Rettung der Wirtschaft beitragen müssten. Das zeigt, dass Peking erwartet, dass wohlhabende Chinesinnen und Chinesen ihren privaten Reichtum zum Wohle der Nation und der Wirtschaft Hongkongs einsetzen. Dies steht im Einklang mit Xis Motto des "gemeinsamen Wohlstands". Die Behörden der VR China haben die Zentralbanken angewiesen, 2 Billionen RMB – über 260 Milliarden Euro- in den Aktienmarkt zu pumpen. Xi hat außerdem den Chef der chinesischen Wertpapieraufsichtsbehörde entlassen, um die Märkte zu beruhigen. Bislang ohne Wirkung -  die Aktienmärkte in Shanghai und Hongkong sind immer noch auf Talfahrt.

Weitere Sicherheitsgesetze

Die Regierung von Hongkong kündigte vor kurzem an, dass sie in diesem Jahr neue Gesetze zur nationalen Sicherheit verabschieden werde, um Artikel 23 des Hongkonger Grundgesetzes zu genügen. Auch das bereits verabschiedete NSL fällt unter diesen Artikel 23. Die von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwürfe sind noch drakonischer als zuvor angenommen. So soll beispielsweise die Veröffentlichung einer irreführenden Erklärung, in die 'externe Kräfte' involviert sind und die nationale Sicherheit gefährdet, zu einer Straftat werden. Das Rechtskonzept der Volksrepublik China in Bezug auf Staatsgeheimnisse und Geheimdienste würde in Hongkong zur Anwendung kommen. Dabei handelt es sich um ein weit gefasstes und vage definiertes Konzept, das alles vom Militär bis hin zu wichtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Zahlen umfasst. Analysten, die für US-Investmentbanken in Hongkong arbeiten, müssten künftig aufpassen, was sie über die Wirtschaft schreiben. Teile des Internets, welche "die nationale Sicherheit gefährden", würden nach den neuen Gesetzen in Hongkong zensiert.

Als der Fußballstar Lionel Messi vor kurzem Hongkong zu einem Freundschaftsspiel besuchte, weigerte er sich demonstrativ, John Lee, dem von den USA sanktionierten Chef der Exekutive von Hongkong, die Hand zu schütteln. Messi saß während des gesamten Spiels auf der Bank und gab an, verletzt zu sein. Nationalisten in Hongkong und China verurteilten Messi und Argentinien für diese Beleidigung.

Hongkongs wirtschaftliche Zukunft sieht düster aus. In vielerlei Hinsicht steht die Stadt vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. In der Vergangenheit beruhte der Erfolg Hongkongs auf seiner Fähigkeit, die geopolitischen Verwerfungen zwischen den USA und China zu überbrücken. Jetzt, da die Beziehungen zwischen den USA und China auf einem Tiefpunkt angelangt sind, hat Hongkong seine Fähigkeit verloren, beiden Seiten nützlich zu sein. Hongkong befindet sich nun fest in der Umlaufbahn Chinas. Regierungsbeamte und Politiker sind nun damit beschäftigt, westliche Medien und Politiker zu verurteilen, die Hongkong kritisieren - anstatt zu versuchen, die bestehenden Probleme zu lösen. Das Erfolgsrezept Hongkongs in der Vergangenheit war die Fähigkeit, mit allen Seiten Geschäfte zu machen, gepaart mit der harten Arbeit der Hongkongerinnen und Hongkonger und der Rechtsstaatlichkeit. Dieses Fundament, das in 150 Jahren aufgebaut worden war, wurde innerhalb von drei Jahren von Peking untergraben. Hongkong wurde wieder zu einer Kolonie gemacht – dieses Mal unter der Führung der Kommunisten in China.

Anonymus ist ein ehemaliger Hongkonger Abgeordneter aus dem pro-demokratischen Lager.