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BRICS 2024
Der BRICS-Gipfel 2024 in Kasan – Weltbühne für Putin?

Vom 22. bis 24. Oktober lädt Präsident Wladimir Putin turnusgemäß zum 16. BRICS-Gipfel ein.

Vom 22. bis 24. Oktober lädt Präsident Wladimir Putin turnusgemäß zum 16. BRICS-Gipfel ein.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Vyacheslav Prokofyev

Während in dieser Woche in Washington die Finanzminister und Notenbankpräsidenten zur traditionellen Herbsttagung von IWF und Weltbank zusammenkommen, findet parallel in Russland ein Gipfel anderer Art statt. Vom 22. bis 24. Oktober lädt Präsident Wladimir Putin turnusgemäß zum 16. BRICS-Gipfel ein. Erwartet werden insgesamt 32 ausländische Delegationen aus der ganzen Welt, davon 24 auf Ebene der Staats- und Regierungschefs, darunter sämtliche der bisherigen neun BRICS-Mitglieder, aber auch zahlreicher weiterer, an einer Mitgliedschaft interessierter Staaten, darunter mit der Türkei erstmals ein NATO-Mitgliedstaat. Nicht bestätigt ist bisher, ob auch UNO-Generalsekretär António Guterres die russische Einladung zur Teilnahme am Gipfel annehmen wird. Dem Gipfel vorausgegangen sind über 200 Treffen und Veranstaltungen im Verlaufe des Jahres 2024, die von der russischen Präsidentschaft organisiert worden waren.

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Kasan als Gipfelort mit zweifelhafter Symbolkraft

Zum Gipfeltreffen hat Putin nach Kasan, in die Hauptstadt der moslemisch geprägten Teilrepublik Tatarstan, eingeladen. Die Wahl des Ortes sollte als symbolisches Zeichen für die antiimperiale Ausrichtung Russlands und Solidarität mit dem „Globalen Süden“ gegenüber den westlichen Kolonialmächten stehen. Die Ironie besteht jedoch darin, dass Russland selbst den größten Teil seines Staatsgebiets durch die Kolonialisierung Sibiriens, des Kaukasus und Zentralasiens erobert hat und ausgerechnet die Tataren als eines der ersten Völker unterworfen wurden. Bis heute werden sie, wie auch alle anderen nationalen Minderheiten in der Russischen Föderation, aus Moskau zentral gesteuert und beherrscht.

Russlands antiwestlicher Kurs in BRICS umstritten

Für Putin ist der Gipfel das bedeutendste außenpolitische Ereignis des Jahres, und er will es dazu nutzen, um sich auf der Weltbühne als ein Staatenlenker zu präsentieren, der nicht international isoliert ist, sondern mit den BRICS-Staaten die künftige „Weltmehrheit“ (nach Bevölkerung und Ressourcen) repräsentiert und kraft dessen eine multipolare Weltneuordnung gegen den regelbasierten Multilateralismus durchsetzen will. Um seinen Anspruch auf eine herausgehobene geopolitische Stellung zu unterstreichen, hat Russland im Vorfeld des Kasaner Gipfels die „Weltmehrheit“ neu als „Globaler Süden und Globaler Osten“ definiert, wobei sich Russland neben China als die führende Macht des „Globalen Ostens“ versteht. Neben der geopolitischen Bedeutung des Treffens ist für Russland, das aufgrund des Krieges gegen die Ukraine umfassenden westlichen Wirtschaftssanktionen unterworfen ist, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der freie Zugang zu neuen Märkten sowie die Schaffung neuer, nicht vom Westen dominierter Finanz- und Verrechnungsinstrumente von besonderem Interesse. Beides spiegelt sich im Motto der Präsidentschaft wider, das lautet: „Festigung der Vielseitigkeit für eine gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“.

Jedoch klaffen russischer Anspruch und Wirklichkeit in vielen Punkten weit auseinander. Die Intention Russlands, die BRICS-Staaten als Gegenentwurf zu den G7 in Stellung zu bringen und einen strikt antiwestlichen Kurs zu fahren, trifft auf Widerstand. Sowohl die BRICS-Gründungsmitglieder Indien und Brasilien als auch die Neumitglieder (Ausnahme Iran) und viele der Kandidaten verfolgen eine multivektorale Außen- und Wirtschaftspolitik, die auch ausdrücklich die Fortsetzung der bilateralen Zusammenarbeit mit dem Westen einschließt. Das gilt dezidiert auch für die Länder Zentralasiens und des Südkaukasus, die Russland zu seiner Interessen- und Einflusssphäre zählt. So erklärte der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokayev unmittelbar vor dem Kasaner Gipfel, dass sein Land „wegen der Entwicklungsperspektiven dieser Vereinigung“ in absehbarer Zukunft doch keinen Mitgliedsantrag zur Aufnahme in BRICS stellen werde. Sein Pressesprecher ergänzte, dass Kasachstan im nationalen Interesse der „UNO als der universellen und alternativlosen Organisation, in der man alle aktuellen internationalen Probleme diskutieren kann und muss“ Priorität einräumt. Auch der armenische Präsident Nikol Pashinyan, der am Gipfel auf Einladung Putins teilnimmt, stellte für sein Land klar, dass es keine Mitgliedschaft in BRICS anstrebe. Russland will seinen BRICS-Status aber auch dazu nutzen, um seinen Einfluss in Europa auszubauen, z.B. auf dem Balkan. Aber selbst der serbische Präsident Aleksandar Vučić, der von Putin persönlich zum BRICS-Gipfel eingeladen worden war, scheut eine Teilnahme und schickt nur einen Vertreter.

Aufnahme neuer Mitglieder in Kasan unwahrscheinlich

Ohnedies scheint die Integration der seit Anfang 2024 neu aufgenommenen vier Länder (Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate) aufgrund verschiedener politischer und wirtschaftlicher Interessenlagen nicht reibungslos zu verlaufen. Zudem prüft Saudi-Arabien weiterhin einen offiziellen Beitritt zu BRICS und wird in Kasan nur auf Außenministerebene vertreten sein. Für die russische Präsidentschaft stellte Außenminister Sergei Lavrov am Rande der UNO-Generalversammlung Ende September in New York fest, dass es Aufgabe sei, die Neumitglieder schnell und effektiv in die BRICS-Strukturen einzubinden. Da dies jedoch schwierig sei, werden nach seiner Aussage auf dem Kasaner Gipfel noch keine weiteren Neumitglieder aufgenommen, obwohl über 30 Anträge und/oder Interessenbekundungen dafür vorlägen. Vielmehr soll ein „Partnerstatus“ eingerichtet werden, der es – gemäß in Kasan zu definierender Kriterien – qualifizierten Ländern ermöglicht, in den verschiedenen BRICS-Formaten mitzuwirken, allerdings ohne Stimmrecht.

BRICS-Erweiterung – „Non-Event“ oder Etappensieg gegen den Westen?

Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt per Videokonferenz an einem außerordentlichen BRICS-Gipfel teil, während Chinas Präsident Xi Jinping auf dem Bildschirm zu sehen ist.

Die Erweiterungsrunde der BRICS-Gruppe Anfang des Jahres um fünf neue Mitgliedstaaten wirft Fragen nach den politischen und wirtschaftlichen Folgen auf. Das neue Policy Paper der Friedrich-Naumann-Stiftung erörtert die politischen und wirtschaftlichen Interessen der bisherigen und der neuen BRICS-Mitglieder sowie der potenziellen Kandidaten und versucht liberale Antworten auf das aufstrebende Staatenbündnis zu geben.

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Stärkere Unabhängigkeit vom Dollar angestrebt, aber wie?

Das zweite wichtige Anliegen der russischen Präsidentschaft war das Vorantreiben und die Entwicklung von alternativen Finanzinstrumenten und Verrechnungssystemen, um die Abhängigkeit von westlichen Währungen, insbesondere dem Dollar, sowie dem SWIFT-System und den damit verbundenen Sanktionsrisiken zu minimieren. Die Schaffung einer BRICS-Gemeinschaftswährung hat sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Wirtschafts- und Finanzstrukturen sowie der monetären Interessenlagen der einzelnen BRICS-Mitglieder bisher als unrealistisch herausgestellt. Oder wie es Jhanvi Tripathi, Observer Research Foundation, bei einem BRICS-Webinar von FNF Südasien auf den Punkt brachte: „BRICS ist bisher nicht einmal ein Binnenmarkt.“

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Stattdessen wird nunmehr primär an der Schaffung von Zahlungs- und Verrechnungssystemen (BRICS Pay) für den Einsatz nationaler Währungen gearbeitet. Dafür wurde ein BRICS Pay Consortium gebildet, das Lösungen für die Bereiche Privatkunden/Einzelhandel (BRICS Pay QR), Geschäftskunden (BRICS Pay B2B) und BRICS Clear (zwischenstaatliches digitales, auf der Blockchain-Technologie basierendes Abrechnungssystem für grenzüberschreitende Wertpapiergeschäfte) erarbeitet. Russland und das BRICS-Neumitglied Iran, die beide strengen Sanktionen des Westens ausgesetzt sind, haben ein hohes Interesse an alternativen Zahlungs- und Verrechnungssystemen, die vom Westen nicht kontrolliert werden. Demgegenüber sind die anderen BRICS-Mitglieder, die aktive Handelsbeziehungen mit dem Westen betreiben, nur bedingt und nur insofern an einer gewissen De-Dollarisierung und den Einstieg in die Verrechnung mit nationalen und digitalen Währungen interessiert, als es Schutz vor Sanktionen und Sekundärsanktionen bietet und die Heranziehung zusätzlicher Investitionen ermöglichen kann. Daher ist aufgrund der verschiedenen Ausgangs- und Interessenlagen sowie der technischen Herausforderungen auch hier ein langer Abstimmungs- und Implementierungsprozess zu erwarten.

Breite Gipfelagenda, aber konkrete Beschlüsse unwahrscheinlich

Weitere Themen, die die russische Ratspräsidentschaft in diesem Jahr auf die Gipfelagenda gesetzt hat, sind:

  1. Zusammenarbeit im Bereich der Informationssicherheit und die Ausarbeitung eines Ethik-Kodex für die Anwendung Künstlicher Intelligenz.
  2. Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Korruption und Kapitalflucht, bei Steuern und Zoll
  3.  Zusammenarbeit für eine nachhaltige Entwicklung; Verfolgung eines Energieübergangskonzepts (von fossiler zu grüner Energie) unter Vorrangstellung nationaler wirtschaftlicher Interessen gegenüber Klimazielen
  4. Gründung einer BRICS-Medizin-Vereinigung, die ein Frühwarnsystem für Infektionsrisiken und Epidemien schaffen soll.

Sowohl die Breite und Reihenfolge in der Prioritätensetzung als auch die sehr unterschiedlichen Auffassungen und Herangehensweisen der einzelnen BRICS-Mitglieder in allen diesen Bereichen sprechen dafür, dass der Kasaner Gipfel keine unmittelbar umsetzbaren Beschlüsse dazu fassen wird.

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Fazit

Insgesamt ist zu erwarten, dass der Gipfel in Kasan im Wesentlichen eine Gelegenheit für Putin ist, sich der (BRICS-)Welt als internationaler Gastgeber zu präsentieren, nachdem sein Reiseradius seit dem Einfall Russlands in die Ukraine sanktionsbedingt auf China, Nordkorea und Vietnam begrenzt war. Auch wenn in Kasan noch nicht mit einer Aufnahme neuer Mitglieder zu rechnen ist (jenseits der neuen Kategorie des „Partnerstatus“) muss, wie im jüngsten FNF Policy Paper zur BRICS-Erweiterung dargelegt, das wachsende weltweite Interesse an einer BRICS-Mitgliedschaft Grund genug für den Westen sein, die weitere Entwicklung von BRICS strategisch zu verfolgen und von sich aus enger mit dem „Globalen Süden“ politisch und wirtschaftlich zusammenzuarbeiten, vor allem mit Staaten wie Brasilien und Indien, die nicht grundsätzlich antiwestlich orientiert sind.