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Wahl in Indien
Narendra Modi kämpft mit aggressiver Rhetorik um dritte Amtszeit

Premierminister Narendra Modi

Premierminister Narendra Modi.

© picture alliance / Pacific Press | Amlan Biswas

Indiens Regierungschef Narendra Modi will von seinem Volk nicht als gewöhnlicher Wahlkämpfer gesehen werden. Er präsentiert sich kurz vor dem Ende der sechswöchigen Parlamentswahl in seinem Land als Mann mit einem göttlichen Auftrag. "Ich bin überzeugt, dass Paramatma mich zu einem bestimmten Zweck geschickt hat", sagte er vor wenigen Tagen in einem Interview mit Blick auf die höchste Gottheit im Hinduismus. "Er zeigt seine Pläne nicht offen, aber bringt mich immer wieder dazu, bestimmte Dinge zu tun", fügte Modi hinzu.

Dabei will der Politiker, der Indien seit einem Jahrzehnt regiert, keine Zweifel aufkommen lassen, dass eine dritte Amtszeit als Premierminister Teil seiner Vorsehung ist. Vor Beginn des Wahlmarathons, der Mitte April begann, gab Modi das ambitionierte Ziel vor, seinen Wahlsieg von 2019 noch einmal zu übertrumpfen. Mehr als 400 der insgesamt 543 Parlamentssitze will er gemeinsam mit Koalitionspartnern erobern.

Premierminister Narendra Modi meditiert am Vivekananda Rock Memorial

Premierminister Narendra Modi meditiert am Vivekananda Rock Memorial.

© picture alliance / Sipa USA | Hindustan Times

Kann Modi in Bihar, Westbengalen und Maharashtra triumphieren?

Ob der Premier den selbst gesetzten hohen Erwartungen gerecht werden kann, wird sich am 4. Juni zeigen: Dann beginnt die Auszählung der Stimmen in der größten demokratischen Wahl der Menschheitsgeschichte. Knapp eine Milliarde Inderinnen und Inder waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Der letzte von insgesamt sieben Wahltagen findet am Samstag statt – abgestimmt wird dann unter anderem in Teilen der Bundesstaaten Bihar und Westbengalen.

Während landesweite Meinungsumfragen Modi mit seiner Bharatiya Janata Party (BJP) als klare Favoriten für den Wahlsieg sehen, gilt das Rennen in den beiden nordindischen Bundesstaaten als relativ offen. Zusammen mit dem westindischen Staat Maharashtra, in dem sich Meinungsforscher vor der Wahl ebenfalls nicht eindeutig festlegen wollten, sind sie entscheidend für die Frage, ob Modi der angepeilte Erdrutschsieg gelingt. Gemeinsam stellen die drei indischen "Swing States" Bihar, Westbengalen und Maharashtra immerhin rund ein Viertel aller Parlamentssitze.

Für Unsicherheit sorgt auch die Wahlbeteiligung, die an mehreren Wahltagen im Vergleich zur letzten Parlamentswahl im Jahr 2019 zum Teil um mehrere Prozentpunkte gesunken ist. Unklar ist, welcher Seite das am meisten schadet. Modi behauptet, der oppositionellen Kongresspartei und ihren Verbündeten gelinge es nicht, ihre Anhänger zur Stimmabgabe zu motivieren. Die Opposition wiederum interpretiert die Zahlen als Ausdruck einer Modi-Müdigkeit unter Wählern und erhofft sich davon Rückenwind.

Ganz von der Hand zu weisen ist diese Sichtweise nicht: Der Regierungschef gilt zwar nach wie vor als einer der beliebtesten Politiker des Landes – auch weil er Sozialprogramme wie die kostenlose Ausgabe von Reis und Getreide eng mit seinem Namen verknüpft. Doch nach zehn Jahren im Amt kann er sich nicht darauf verlassen, bei den Wählern automatisch ähnlich große Begeisterung auszulösen wie in den Jahren 2014 und 2019.

Modi setzt im Wahlkampf auf eine aggressive Rhetorik

Im Wahlkampf setzte Modi in der Folge auf eine auffallend aggressive Rhetorik, um seine Kernwählerschaft zu mobilisieren. Statt primär die Erfolge der vergangenen Jahre herauszustreichen – etwa das im internationalen Vergleich starke Wirtschaftswachstum und den zügigen Ausbau der Infrastruktur – machte der Regierungschef in seinen Reden Stimmung gegen die muslimische Minderheit in dem mehrheitlich hinduistischen Land. Er warf der Kongresspartei vor, Indiens Wohlstand von Hindus an Muslime umverteilen zu wollen, sprach im Zusammenhang mit Muslimen von "Eindringlingen" und warnte vor einem "Wahl-Dschihad".

Die Äußerungen brachten Modi und seinen Mitstreitern den Vorwurf ein, Hass zwischen den religiösen Gruppen zu schüren. Die Wahlkommission forderte die BJP daraufhin auf, auf Reden zu verzichten, die Indiens Gesellschaft spalten könnten. Getadelt wurde gleichzeitig aber auch die Kongresspartei – für Äußerungen, die laut der Wahlkommission den Eindruck erweckten, Indiens Verfassung drohe die Abschaffung.

BJP Rally in Delhi

BJP Rally in Delhi

© FNF South Asia

Kongresspartei kritisiert BJP und fordert Schutz der Demokratie

Der führende Wahlkämpfer der Kongresspartei, Rahul Gandhi, versuchte, sich im Wahlkampf als standfester Beschützer der indischen Verfassung zu inszenieren. Er warnt vor tiefgreifenden Änderungen, sollte die BJP bei der Parlamentswahl eine Zweidrittelmehrheit erzielen, mit der sie Verfassungsänderungen im Alleingang durchsetzen könnte. Die Opposition wirft der Regierung dabei insbesondere vor, kritische Stimmen auszugrenzen und die Demokratie damit einschränken zu wollen.

Als Belege führt sie dafür an, dass Konten der Kongresspartei von den Behörden eingefroren wurden, was deren Wahlkampf erschwerte. Geprägt war der Wahlkampf zudem von der Festnahme des regionalen Regierungschefs von Delhi, Arvind Kejriwal, der auch Anführer der Oppositionspartei AAP ist. Ihm wird von Ermittlungsbehörden Korruption vorgeworfen. Er selbst weist die Anschuldigungen zurück und beschuldigt die Regierung, das Justizsystem zu missbrauchen, um politische Gegner aus dem Weg zu räumen.

Kejriwal wurde am 21. März festgenommen – wenige Wochen vor Beginn der Wahl. Auf Anweisung des Obersten Gerichts kam er am 10. Mai wieder vorübergehend frei, um die Möglichkeit zu haben, am Wahlkampf teilzunehmen. Er nutzte die vergangenen Wochen für lautstarke Kritik an Modi: "Wir müssen alle zusammenkommen, um das Land vor der Diktatur zu retten", sagte er nach seiner Freilassung zu seinen Anhängern. "Ich bekämpfe diese Diktatur mit aller Kraft."

AAP und Kongress vereint gegen Modi: INDIA-Bündnis stärker als je zuvor im Wahlkampf

Kejriwals AAP ist Teil des Oppositionsbündnisses INDIA (Indian National Developmental Inclusive Alliance), dem auch die Kongresspartei angehört. Der Zusammenschluss war im vergangenen Jahr gegründet worden – mit dem Ziel, mit vereinten Kräften Modis mächtiger Wahlkampfmaschinerie entgegenzutreten. Monatelang bremste interner Streit das Bündnis jedoch aus. Zuletzt schienen die Konflikte aber weitgehend überwunden: Kejriwal machte in Wahlkreisen, in denen seine AAP nicht antrat, auch Wahlkampf für Kongresspolitiker.

Unter Druck setzte Kejriwal die Regierung dabei unter anderem mit einer Debatte über Modis Alter: Der Premierminister wird in diesem Jahr 74. Kejriwal legte nahe, dass Modi gemäß inoffizieller Ruhestandsregeln in der BJP mit 75 zurücktreten müsse. Innenminister Amit Shah, ein enger Vertrauter Modis, wies dies aber zurück und bekräftigte, dass Modi eine volle Amtszeit absolvieren werde. Ein klarer potenzieller Nachfolger für die Zeit danach zeichnet sich noch nicht ab. Chancen werden sowohl Shah eingeräumt als auch dem Regierungschef des Bundesstaats Uttar Pradesh, Yogi Adityanath. Ausgeschlossen ist aber auch nicht, dass Modi 2029 noch einmal kandidieren könnte. Er selbst äußerte sich unter Verweis auf seinen angeblichen göttlichen Auftrag kryptisch zu seiner Zukunft: Erst wenn Gottes Ziel für ihn erfüllt sei, sei seine Arbeit als Premierminister getan.

AAP Rally in Delhi with Chief Minister Arvind Kejriwal

AAP Rally in Delhi with Chief Minister Arvind Kejriwal

© FNF South Asia