Female Forward
Wie Gründerinnen die gläserne Decke durchbrechen
Schon als Kind wollte sie Unternehmerin werden, verfolgte fasziniert die Arbeit ihres Vaters, eines Geschäftsmannes. Doch die entscheidenden Worte kamen von der Mutter. „Du kannst werden, was Du möchtest. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob Du ein Mädchen oder ein Junge bist“, erzählt Shikha Shah. Im Jahr 2019 gründete die heute 26-Jährige im indischen Bundesstaat Gujarat ihr Startup AltMat, das in einer eigenen Fabrik in ihrer Heimatstadt Ahmedabad Abfälle aus der Landwirtschaft in Materialien für nachhaltige Textilien verwandelt. Binnen der nächsten drei Jahre wolle AltMat eine weitere Produktion in Deutschland aufbauen, um lokale landwirtschaftliche Abfälle zu verarbeiten, so die Gewinnerin des “Women Transforming India Awards by UN & Government of India”, die vor allem mit Selbstbewusstsein und Hartnäckigkeit den Vorurteilen trotzt, denen sie immer wieder ausgesetzt ist.
Immer noch wird die indische und deutsche Startup-Szene von Männern dominiert, obwohl junge Unternehmerinnen und Unternehmer gleichermaßen gut ausgebildet an den Start gehen. Auf die große Bedeutung von Startups für das künftige Wachstum der indischen Wirtschaft verwies der indische Generalkonsul John H. Ruolngul auf einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung Südasien. Schon heute sei Indien das drittgrößte Startup-Ökosystem der Welt, in diesem Jahr seien Rekorde bei den Gründungen und bei Finanzierungen erzielt worden. In den nächsten vier Jahren rechnet Ruolngul mit 150 neuen Unicorns, also Startups, die am Markt mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Zehn Prozent davon seien von Frauen gegründet worden. Die jungen Unternehmerinnen müssten beim Gründen und Aufstieg stärker unterstützt werden, während die Frauen bereit sein müssten, das Risiko auf sich zu nehmen, so der Generalkonsul. Im Rahmen der diesjährigen India Week Hamburg hatte die Friedrich-Naumann-Stiftung am 9. November 2021 zu einer Diskussionsrunde unter dem Motto „Women Startups: Breaking the glass ceiling“ in das indische Konsulat in Hamburg eingeladen. Indische und deutsche Unternehmerinnen erörterten, wie das Unternehmerinnentum gestärkt werden kann und welche Erfahrungen sie als Entrepreneurinnen machen.
Facts and figures zur Gründerinnenszene präsentierte Julian Zix, Moderator der Diskussionsrunde und Leiter des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten German Indian Startup Exchange Program (GINSEP), neben dem German Asia-Pacific Business Association (OAV) Kooperationspartner der Veranstaltung. Laut Female Founders Monitor liege der Anteil der Gründerinnen in Deutschland nur bei 15,7 Prozent (2020). Auch bei der Finanzierung durch Venture Capital Fonds und Business Angels hätten Gründerinnen oftmals das Nachsehen. Nur 5,2 Prozent der Frauen-Teams hätten bereits eine Million Euro oder mehr erhalten verglichen mit 27,8 Prozent bei den Männer-Teams. Gründerinnen seien am häufigsten im Gesundheitssektor vertreten und Treiber medizinischer Innovationen, während sie bei High Tech unterrepräsentiert seien. Sie verfügten über weniger stark ausgeprägte Netzwerke in einigen höchst geschäftsrelevanten Bereichen, insbesondere im Investment-Sektor und der etablierten Wirtschaft. Last but not least seien Gründerinnen stärker durch übergeordnete Ziele motiviert und in der Green Economy sowie im Bereich Social Entrepreneurship besonders aktiv. In Indien sehe die Lage mit einem Frauenanteil von weniger als 20 Prozent nicht viel besser aus, so Zix.
Initiativen wie encourageventures e.V. wollen gegensteuern. Zu den Mitgründerinnen des Im Juni 2021 gestarteten größten deutschen Investorinnen-Netzwerks gehört Elly Oldenbourg, die in Teilzeit bei Google als Diversity, Equity & Inclusion Manager arbeitet und als Sidepreneurin (Teilzeit-Unternehmerin) tätig ist. „Mit encourageventures wollen wir Start-ups von der Gründung bis zum Börsengang mit Kapital, Kontakten und Know-how begleiten, um Gründerinnen zu mehr Erfolg und Sichtbarkeit zu verhelfen sowie für mehr Diversität in der deutschen Investment-Landschaft zu sorgen.“ Mitglied in dem als Verein organisierten Netzwerk dürfen deshalb nur Start-ups werden, zu deren Gründerteams mindestens eine Frau gehört. Die Branche spielt keine Rolle. An Know-how dürfte es im Netzwerk nicht mangeln. Die Mitglieder kommen aus den Bereichen Tech, Finanzen, Investmentbanking, Health, Personalwesen und Software, darunter Douglas-CEO Tina Müller, DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta, die ehemalige CFO von Lufthansa und heutige Multi-Aufsichtsrätin Simone Menne, Facebooks Europa-Chefin Angelika Gifford oder auch Alexa Gorman, die die globalen Start-up-Aktivitäten bei SAP leitet. Für Kapital soll ein 100 bis 200 Millionen schwerer All-Female-Growth-Fonds sorgen, den das Netzwerk mit weiteren erfahrenen Investorinnen auflegen will.
Im Rahmen eines Praktikums kam die gebürtige Inderin Sowmya Thyagarajan 2014 erstmals nach Hamburg, kehrte 2016 in die Hansestadt zurück, arbeitete gut zwei Jahre als Forscherin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, bevor sich die studierte Luftfahrttechnologin mit einem Partner 2018 in der Elbmetropole selbstständig machte. Mit ihrem Startup Foviatech hat sie sich darauf spezialisiert, die Transport- und Schwermaschinenindustrie durch das Material Graphen sowie durch Künstliche Intelligenz zu digitalisieren. Ihre Rolle als Unternehmerin sieht sie ganz pragmatisch. „Ich mache da keinen Unterschied zwischen Mann und Frau.“ Wenn sie mit Kunden spreche, stehe nicht das Geschlecht im Vordergrund, sondern der USP ihres Produktes.
Es müsse viel mehr Vorbilder wie Shikha Shah und Sowmya Thyagarajan geben, um zu zeigen, wie wichtig junge Unternehmerinnen auch für das Vorantreiben von Innovationen seien, unterstrich Oldenbourg. Eine elementare Herausforderung ist aus ihrer Sicht der Zugang zu Wagniskapital. Die meisten VC-Fonds würden von Männern dominiert und bei Pitches würden immer noch Frauen und Männer sehr unterschiedlich behandelt, was sich vor allem bei den Fragen zum Unternehmen bemerkbar mache, wie auch die beiden aus Ahmedabad und Chennai zugeschalteten indischen Unternehmerinnen bestätigten. Bei den Männern geht es laut Oldenbourg um das Geschäftsmodell, bei Frauen z.B. um das Risiko- oder Kostenmanagement. Der Prozess müsse objektiviert werden.
Was den Gründerinnen am meisten geholfen habe, wollte Moderator Zix zum Abschluss wissen. Für Sowmya Thyagarajan war es die Unterstützung der Familie und zum Beispiel auch die öffentliche Förderung durch Hamburg Invest, die aber nicht speziell auf Frauen ausgerichtet sei. Zu ihrem Investorenkreis zähle sie Geldgeber und Geldgeberinnen gleichermaßen, wobei die Männer dominierten. Shikha Shah unterstrich, wie wichtig die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sowie das Trainieren von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl seien. Schließlich müsse man sich sein eigenes Ökosystem mit Unterstützern aufbauen. Dem stimmte auch Oldenbourg zu und ergänzte ein nigerianisches Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Wegen der bestehenden strukturellen Probleme ist es aus ihrer Sicht unbedingt erforderlich, dass Gründerinnen gezielt gefördert werden wie durch encourageventures.
Shikha Shah mahnt zur Geduld: „Du musst die Welt nicht an einem Tag erobern.“
Die Veranstaltung kann abgerufen werden auf Facebook unter:
https://www.facebook.com/FNFSouthAsia/videos/436852967852192