G20-Vorsitz
Indonesien – zwischen Superlativen und Konsens
Bali ist vielen Europäern als beliebte Urlaubsinsel bekannt – der Rest Indonesiens hingegen weniger. Nun hat das Land den G20-Vorsitz inne und rückt damit auch im Westen in den Fokus. Was macht die drittgrößte Demokratie der Welt aus? Ein Überblick.
Politik
Indonesien wurde 1945 von den Niederlanden unabhängig, die dessen Unabhängigkeit allerdings erst 1949 akzeptierten. Seitdem ist Indonesien eine Präsidialdemokratie: Der Präsident ist nicht nur das Staatsoberhaupt, sondern auch Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Von 1945 bis 1966 wird unter der Regierung Sukarnos (Präsident bis 1967) von einer „gelenkten Demokratie“ gesprochen. Hiermit sollte die nach unterschiedlichen Ideologien des Kalten Krieges gespaltene indonesische Gesellschaft zusammengehalten werden. Unter Präsident Suhartos „Neuer Ordnung“ (1966 bis 1998) wurden Menschenrechtsverletzungen und Massaker vom Militär begangen, gleichzeitig gab es einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Mit dem Rücktritt Suhartos begann die „Reformation“: Demokratische Reformen wurden eingeleitet und vor allem auch die Einschränkungen für die Presse gelockert. Seit 2008 etwa kann von einer Phase der „Post-Reformation“ gesprochen werden. Einen alternativen Begriff gibt es nicht, da nicht klar auszumachen ist, in welche Richtung sich das Land bewegt. Professor Lindsey von der University of Melbourne hielt 2018 mehrere Szenarien für möglich: Eine Rücknahme des liberalen Charakters der indonesischen Demokratie, eine schleichende Übernahme der Regierung durch Oligarchen oder eine weitaus stärkere Islamisierung. Auch drei Jahre später kann das noch nicht eindeutig beantwortet werden. Doch haben die Präsidentenwahlen von 2019 immerhin deutlich gezeigt, dass die Mehrheit der Indonesier eine stärkere Islamisierung der Politik noch klar ablehnt. Seit 2014 hat Joko „Jokowi“ Widodo das Amt des Präsidenten Indonesiens inne.
Wirtschaft
Indonesiens Wirtschaft basiert auf marktwirtschaftlichen Prinzipien. Etliche große Unternehmen sind in Staatsbesitz, und auch darüber hinaus übt die Regierung Einfluss auf den Markt aus. Die Wirtschaft wächst allerdings seit Jahren. Ausländische Investitionen sind offiziell willkommen, doch ist der Staat dennoch sehr protektionistisch. Die wettbewerbsschwache Wirtschaft wird von einer Gruppe politisch mächtiger Oligarchen beherrscht. Bis 2030 sollen sich die Exporte verdoppeln, und unter den aufsteigenden Märkten gehört Indonesien zu den am schnellsten wachsenden.
Hier schlägt insbesondere der wachsende innerindonesische Konsum zu Buche sowie die sich um die Bodenschätze entwickelnde Industrie. Jahrzehntelang wurden Bodenschätze unverarbeitet exportiert. Das ändert sich nun. Damit werden Rohstoffabbau, Landwirtschaft und die Textilindustrie zu den Hauptfaktoren für das indonesische Exportwachstum.
ASEAN
Das einigende Band Südostasiens stellt ASEAN, der Verband Südostasiatischer Nationen mit Sitz in Jakarta, dar. Er wurde 1967 zur Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zusammenarbeit gegründet. Die Gründerstaaten waren neben Indonesien und Malaysia Singapur, die Philippinen und Thailand. Später kamen fünf weitere Staaten sowie als zusätzliche Kernthemen Sicherheit, Kultur und Umwelt hinzu. 2009 beschlossen die ASEAN-Mitglieder, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum nach EU-Vorbild zu schaffen. Dieser umfasst mit über 600 Millionen Einwohnern (8 Prozent der Weltbevölkerung) auf einer Fläche von rd. 4,5 Millionen km2 (rd. 1 Prozent der Erdoberfläche) der EU vergleichbare Ausmaße, wenngleich das Bruttoregionalprodukt von 2013 von 2,4 Billionen US-Dollar nur einen Bruchteil des EU-Bruttoregionalproduktes ausmacht. Indonesien ist mit Abstand das stärkste ASEAN-Land (40 Prozent der ASEAN-Bevölkerung, 70 Prozent Anteil am Bruttoregionalprodukt).
Als reine Interessengemeinschaft trifft ASEAN seine Entscheidungen im Konsens. Der jährliche ASEAN-Gipfel ist dabei das höchste Gremium. Wie bei G20 wechselt der Vorsitz des Gipfels jährlich unter den Mitgliedsstaaten. 2023 ist die Reihe wieder an Indonesien. Bislang nahm sich Indonesien in der Vergangenheit zurück, wenn es um internationale Politik ging. Das liegt zum einen daran, dass sich Indonesien lieber auf innere Belange konzentriert als außenpolitisch insbesondere seine ökonomische Stärke auszuspielen. Zum anderen entspricht es auch nicht der zurückhaltenden, auf Ausgleich bedachten Natur des von der Insel Java stammenden Präsidenten Joko „Jokowi“ Widodo. Deutlich zu sehen war das in der jüngeren Geschichte an der nur zögerlichen Stellungnahme zu dem Putsch der Streitkräfte in Myanmar. Hier dauerte es Monate, bis Indonesien sich zu einer Haltung durchringen konnte und – zusammen mit Malaysia, Singapur und Brunei – durchsetzte, den Vorsitzenden des Staatsverwaltungsrates Min Aung Hlaing nicht am ASEAN-China-Gipfel am 22. November teilnehmen zu lassen.
Insgesamt hat jedoch Präsident „Jokowi“ im Zuge von COP26 und dem G20-Gipfel in Rom in den vergangenen Wochen bewiesen, dass er sich auch auf internationalem Parkett behaupten kann. Das wird ihm auch innenpolitisch zugutekommen, wenn er weltmännisch hochrangige internationale Politiker im Oktober 2022 in Indonesien anlässlich des G20-Gipfels in Bali willkommen heißt.
Geographie
Indonesien ist im Vergleich zu Deutschland ein Land vieler Superlative: Flächenmäßig liegt es weltweit auf Rang 14, bevölkerungsmäßig auf Rang 4, es setzt sich aus etwa 17.500 Inseln (Deutschland: 77) mit insgesamt knapp zwei Millionen Quadratkilometern zusammen, die von geschätzt 270 Millionen Menschen bewohnt werden. Allein 145 Millionen davon leben auf der administrativ und ökonomisch wichtigsten Insel Java (rd. 127.000 km2). Java gehört zu den Großen Sundainseln, die wiederum nach Grönland die zweitgrößte Inselgruppe der Welt darstellen.
Sprache
In Indonesien werden rund 700 Sprachen gesprochen. Amtssprache ist dabei Bahasa Indonesia, also Indonesisch. Für rund 44 Millionen Indonesier ist es die Erstsprache, weitere rund 156 Millionen verwenden es als Zweit- oder auch Verkehrssprache. Nähme man das Malaysische hinzu, eine sich nur geringfügig unterscheidende Sprachversion, wäre die Anzahl noch höher. Die malaiische Sprache ist die Makrosprache für 36 regional gesprochene Sprachen, unter denen Bahasa Indonesia (Indonesisch) und Bahasa Malaysia (Malaysisch) die bedeutendsten sind.
Religion
Indonesien ist ein mehrheitlich muslimisches Land und in Hinblick auf die bloße Anzahl der Gläubigen das mit Abstand größte muslimische Land. Der Islam ist dabei nicht in der Verfassung festgeschrieben. Neben dem Islam sind weitere staatlich anerkannte Religionen der Katholizismus, Protestantismus, Hinduismus, Konfuzianismus sowie der Buddhismus. Manche Inseln sind religiös zu einem Großteil homogen, viele sind es insbesondere wegen Binnenmigration („Transmigration“) längst nicht mehr. So wird die ursprünglich rein hinduistische Insel Bali heute auch von vielen Muslimen bewohnt. Das religiöse Miteinander klappt meistens reibungslos, doch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, die in der Regel jedoch lokal begrenzt bleiben. Das war von 1999 bis 2005 auf den Molukken („Gewürzinseln“) anders: Die einheimischen Christen und zugewanderten islamischen Indonesier bekämpften sich blutig und erbittert. Die derzeitige Lage ist stabil.
Pancasila
Die „fünf Prinzipien“, Pancasila auf Indonesisch, sind in der Präambel der indonesischen Verfassung festgeschrieben und sind bis heute identitätsbildend im Vielvölkerstaat Indonesien. Um einer Sezession indonesischer Regionen mit nichtislamischer Bevölkerungsmehrheit zuvorzukommen, befürwortete der erste Staatspräsident, Sukarno, eine nationale Ideologie, die sich das Prinzip der All-Einen göttlichen Herrschaft, des Humanismus, der nationalen Einheit, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit auf die Fahnen schrieb. Diese Rechnung ging auf. Bis heute ist die Pancasila das einigende Band Indonesiens und ist somit die Basis des Wohlstandes der aufstrebenden Nation.
Dr. Almut Besold leitet seit 2018 das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Jakarta.