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Indonesien
Das Comeback des Generals

Am 14. Februar wählt Indonesien. Mit dem ehemaligen General Prabowo Subianto könnte ein Vertreter der alten Elite aus der Suharto-Zeit an die Macht gelangen.
Der Favorit Prabowo Subianto hatte bereits 2014 und 2019 versucht, Präsident zu werden

Der Favorit Prabowo Subianto hatte bereits 2014 und 2019 versucht, Präsident zu werden

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Trisnadi

Die anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in dem Inselstaat Indonesien sind ein frühes demokratisches Highlight des Jahres 2024. Mehr als 204 Millionen Bürger des Landes mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die letzten Wochen vor der Wahl haben den Eindruck eines lebendigen demokratischen Wettstreits um die Nachfolge des äußerst beliebten Joko Widodos (im Volksmund: „Jokowi“) vermittelt. Er darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Drei Kandidaten konkurrieren um die Nachfolge: der amtierende Verteidigungsminister Prabowo Subianto, der Gouverneur der Provinz Zentraljava, Ganjar Pranowo, und der ehemalige Gouverneur von Jakarta, Anies Baswedan. Der neue Präsident wird im Oktober vereidigt.

Der Wahlkampf intensiviert sich derzeit insbesondere auf den Social-Media-Plattformen. Zudem verfolgte die mehrheitlich junge Bevölkerung – ein Drittel der Wahlberechtigten ist unter 30 –zuletzt gespannt die insgesamt fünf TV-Debatten, bei denen sowohl Kandidaten als auch Vizekandidaten um die Gunst der Wähler warben. Es ist mit einer hohen Wahlbeteiligung zu rechnen. Zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen finden auch National- und Provinzparlamentswahlen statt – eine logistische Mammutaufgabe angesichts der mehr als 16.000 Inseln des weitläufigen Archipels.

Prabowo Subianto ante portas?

Der Favorit Prabowo Subianto, hinter dem ein Parteienbündnis angeführt von der Gerindra Party steht, hatte bereits 2014 und 2019 versucht, Präsident zu werden. Zweimal unterlag er Joko Widodo. Dieses Mal stehen seine Chancen gut. Subianto gilt als Mann des Militärs und der Sicherheitskräfte. Dort hatte er im Regime Suhartos Karriere gemacht. Seine Familie ist eine der reichsten in Indonesien. Subianto steht für eine alte Elite und für eine autoritäre Politik in Inhalt und Stil. Als er im Wahlkampf mit dem Vorwurf der Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen konfrontiert wurde, reagierte er ausweichend und machte sich nicht einmal die Mühe, die Vorwürfe glaubwürdig zu entkräften. Viele seiner jüngeren Sympathisanten, die die Zeit der Diktatur von 1967-1998 nicht selbst erlebt haben, scheint dies nicht abzuschrecken. Subianto ist sowohl in Indonesien als auch international sehr gut vernetzt und gilt als außen- und sicherheitspolitisch versiert. Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass er einen klaren Vorsprung vor seinen Mitbewerbern hat. Ob er die absolute Mehrheit erreichen wird, ist noch offen. Falls nicht, würde es zu einer Stichwahl am 26. Juni kommen.

Wahlurnen in Tangerang Selatan werden zwei Wochen vor den indonesischen Wahlen an die Wahllokale verteilt

Wahlurnen in Tangerang Selatan werden zwei Wochen vor den indonesischen Wahlen an die Wahllokale verteilt

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Donal Husni

Der Gibran-Faktor

Prabowo Subiantos Favoritenrolle hat zunächst schlicht mit seinem hohen Bekanntheitsgrad zu tun. Die ‚Marke Prabowo‘ ist nach Jahrzehnten in der politischen Öffentlichkeit allseits ein Begriff. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Teilweise wird er gefürchtet; in jedem Fall wird er als starker Anführer wahrgenommen. Doch einen besonderen Schub hat seine Kandidatur erst durch die Nominierung des Sohnes des aktuellen Präsidenten Joko Widodos, Gibran Rakabuming Raka, als Vizekandidat bekommen. Mit diesem Running Mate erbt die Kampagne quasi die Popularität des Vaters und vermittelt damit Kontinuität sowie ein jugendlicheres Image. 

Die größte Partei Indonesiens, die Indonesian Democratic Party of Struggle PDI-P, hatte dem scheidenden Präsidenten Widodo noch 2014 als Vehikel für seine erfolgreiche Wahl gedient. Die Partei hat ihre Wurzeln im Widerstand gegen das autoritäre Regime Suhartos – daher der Zusatz „P“ im Parteinamen, der für Perjuangan – „Kampf“ steht. Ursprünglich war es das Kalkül der PDI-P, dass das Charisma Widodos auf ihren Spitzenkandidaten Ganjar Pranowo abstrahlen und ihm im Wahlkampf helfen würde. Die Nominierung Gibran Rakabuming Rakas steht aber für eine Entfremdung zwischen Widodo und der PDI-P. Das wird Ganjar Pranowo viele Stimmen kosten.

Besonders schwer zu verdauen für die PDI-P und andere demokratische Kräfte war die Art und Weise, wie es zu dieser Nominierung kam. In einem durchsichtigen Manöver erlaubte das Verfassungsgericht, dass das Mindestalter für eine Vize-Kandidatur unter bestimmten Bedingungen auf unter 40 Jahre gesenkt werden kann, was dem 36-jährigen Jungpolitiker den Weg erst ebnete. Den Ausschlag gab der vorsitzende Richter, der mit Präsident Widodo verschwägert ist. Zurecht wird dieser Schachzug als Versuch Widodos kritisiert, entgegen früherer Versprechen eine Familiendynastie zu etablieren und dabei die Schwächung der demokratischen Kultur billigend in Kauf zu nehmen. Die PDI-P wird sprichwörtlich links liegen gelassen, nachdem sie als Vehikel zur Macht genutzt worden ist. Es bleibt die Erkenntnis, dass es letztlich Persönlichkeiten – nicht Parteien – sind, welche die Wahlen in Indonesien entscheiden.    

Gibran Rakabuming Raka

Der Vizepräsidentschaftskandidat und Sohn des indonesischen Präsidenten, Gibran Rakabuming Raka, begrüßt seine Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung in Denpasar am 27. Januar 2024

© picture alliance / Anadolu | Johannes Panji Christo

Zwei glaubwürdige Demokraten als Konkurrenten

Der bisherige Wahlkampf zeigt aber auch, dass glaubwürdige Alternativen zum Duo Prabowo Subianto und Gibran Rakabuming Raka bestehen. Beide Mitbewerber, Anies Baswedan und Ganjar Pranowo, setzen sich für demokratische Reformen und Rechtsstaatlichkeit ein. Anies Baswedan spricht dabei auch konservativ-islamisch orientierte Wähler an. Er führt eine Koalition aus NasDem Party, Prosperous Justice Party (PKS) und National Awakening Party (PKB) an. Ganjar Pranowo steht mit der PDI-P für demokratische, säkulare Werte und vertritt sozialliberal-progressive Politikinhalte. In der PDI-P gibt die Vorsitzende Megawati Sukarnoputri, die Tochter des Staatsgründers Sukarno, die strategische Richtung vor. Auch sie vertritt demokratische Werte. Sowohl Anies Baswedan als auch Ganjar Pranowo rangieren in Umfragen bei grob einem Viertel der Stimmen. Einer der beiden würde im Falle einer Stichwahl gegen Prabowo Subianto antreten und es könnte zu neuen Bündnissen kommen.

Orientierung zur Mitte und Einübung der Demokratie

Bei allen Problemen lässt die Wahl auch die Hoffnung auf das Fortbestehen eines stabilen, demokratischen und moderaten Indonesien zu. Seit dem Ende der Suharto-Diktatur im Jahr 1998 hat sich das Land auf einen demokratischen Reformprozess („Reformasi“) begeben. Seit 2004 können die Bürger ihren Präsidenten direkt wählen. Wahlen finden regelmäßig statt und die Bevölkerung, die Parteien und die Spitzenkandidaten akzeptieren im Großen und Ganzen die Spielregeln. Gewalt ist die Ausnahme. Die junge Bevölkerung gewöhnt sich währenddessen an den Akt des Wählens und nicht zuletzt auch an das Spektakel eines immer mehr digital ausgetragenen Wahlkampfs.

Zudem ist bemerkenswert, dass radikal-islamische Stimmen im Wahlkampf im Hintergrund bleiben, obwohl es einen gesellschaftlichen Trend zu einem konservativeren Islamverständnis gibt, der individuelle Freiheitsrechte bisweilen bedroht. Allerdings wurde das Thema Israel und Gaza bis jetzt nicht zur Wählermobilisierung instrumentalisiert. Die Tradition eines moderaten, weltoffenen Islam ist eine wichtige Stütze der indonesischen Demokratie. Große Verbände wie die NU (Nahdlatul Ulama), deren Wirken bis in die Kolonialzeit zurückreicht, und Gelehrte wie der ehemalige, mittlerweile verstorbene Präsident Abdurrahman Wahid („Gus Dur“) repräsentieren diese Tradition.

Von allen Kandidaten bemüht sich Anies Baswedan am meisten um religiös orientierte Wählergruppen, indem er neben moderaten Kräften mit der PKS auch eine konservative, islamistische Partei in seine Wahlkampfkoalition einbindet. Er trägt damit zumindest dazu bei, dass radikalere Wähler sich repräsentiert fühlen und Stakeholder innerhalb des demokratischen Systems bleiben. Währenddessen buhlt Ganjar Pranowo mit der Wahl seines Vizekandidaten, Mahfud MD, um moderat gesinnte muslimische Wähler. Allerdings wagt keiner der Kandidaten, sich explizit gegen den Trend einer konservativen Auslegung des Islam zu stellen. Alle wissen, dass man so keine Wahlen gewinnen kann.

Anies Baswedan

Der indonesische Präsidentschaftskandidat Anies Baswedan macht ein Selfie mit Anhängern während seiner Wahlkampfveranstaltung in Deli Serving

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Binsar Bakkara

Gute Wirtschaftsentwicklungen trotz altbekannter Probleme

Gemeinsam ist allen drei Kandidaten zudem, dass sie das Erfolgsrezept der Regierungszeit Widodos, den Fokus auf die wirtschaftliche Entwicklung Indonesiens, fortsetzen wollen. Niemand bricht mit dem Vorgänger, der am Ende seiner zwei Amtszeiten in Umfragen sensationelle 76% Zustimmung hat. Die Indonesier sind durchweg optimistisch, was ihre wirtschaftliche Zukunft anbelangt. Dabei sind die Herausforderungen altbekannt: Nepotismus und Korruption grassieren und unterminieren das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen. Intransparente Verflechtungen zwischen der mächtigen staatlichen Bürokratie und großen Unternehmen bleiben allgegenwärtig und verhindern eine faire Marktwirtschaft. Trotz einer beeindruckenden Armutsreduktion in den vergangenen Jahren bleibt es eine Herausforderung, die ärmere Bevölkerung vor Inflation zu schützen – insbesondere bei den Grundnahrungsmitteln. Ökologische Probleme sind allgegenwärtig, werden jedoch wenig konkret thematisiert.

In der Wahlkampfzeit bemühen sich die Kandidaten, einzelnen Wählergruppen Wohltaten zu versprechen. Die insgesamt positive Wirtschaftsentwicklung – vor allem basierend auf dem Ressourcenreichtum des Landes – erlaubt ihnen sogar gewisse Spielräume. Auch das teure Lieblingsprojekt Widodos, auf Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo, mit der Planstadt Nusantara eine neue Hauptstadt buchstäblich auf der grünen Wiese zu errichten, wird höchstwahrscheinlich zu Ende geführt. Positiv bleibt festzuhalten, dass der öffentlich ausgetragene demokratische Wettstreit die Parteien und die Präsidentschaftskandidaten zwingt, ihre Politikinhalte transparent zu machen und überzeugende Konzepte für die Zukunft vorzulegen. Ein Mindestmaß an Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht wird somit gewährleistet.

Außenpolitische Kontinuität und geopolitische Relevanz

Außenpolitisch ist von jedem der drei Kandidaten zu erwarten, dass Indonesien den Kurs fortsetzt, sich mit den großen Machtblöcken gut zu stellen, um primär nationale Interessen zu verfolgen. Das schließt auch einen regen wirtschaftlichen Austausch mit China ein, obwohl Territorialdispute im Südchinesischen Meer bestehen. Im Falle einer Zuspitzung eines Konflikts zwischen den USA und China könnte Indonesien nur verlieren. In der Tradition Sukarnos, der 1955 die Vertreter der Blockfreien Staaten nach Bandung einlud, lässt sich Indonesien von keiner Seite vereinnahmen. Präsident Widodo verstand es zuletzt geschickt, die geographische Lage, den Ressourcenreichtum und die Rolle Indonesiens als glaubwürdige Stimme des Globalen Südens zum eigenen Vorteil zu nutzen. Deutschland und Europa werden zwar als Partner grundsätzlich gerne gesehen – aber nur als ein Partner unter vielen.

Die geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung des G-20 Staates Indonesiens wächst. Schaut man sich die einschlägigen Demokratieindizes an, erzielen innerhalb des ASEAN-Raums nur die Philippinen ähnliche Werte. Alle anderen ASEAN-Länder sind weniger demokratisch. Daher führt an Indonesien als Ansprechpartner für Deutschland und Europa in Südostasien kein Weg vorbei. Erweitert man die Perspektive und führt sich den gesamten asiatisch-pazifischen Raum vor Augen, wird die Bedeutung Indonesiens als mögliche Brücke zwischen Indien, Australien und den demokratischen Hochburgen Ostasiens – Taiwan, Südkorea und Japan – noch deutlicher. Das Schwergewicht in Südostasien kann ein wichtiger wirtschaftlicher Partner für Deutschland und Europa werden. Egal, wer die Wahl gewinnt – man wird sich um Freundschaft und Partnerschaft mit dem aufstrebenden Indonesien zunehmend bemühen müssen. Bald wird klarer sein, mit wem man es als Ansprechpartner auf indonesischer Seite zu tun haben wird.

Dr. Stefan Diederich leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Jakarta, Indonesien