Nahost-Konflikt
"Zum Glück sind die Waffen vorerst zum Schweigen gekommen"
Freiheit.org: Sie waren gerade in Tel Aviv als der erste Raketenalarm am vergangenen Freitag begann. Was für eine Stimmung haben Sie erlebt?
Julius von Freytag: Ich war zum Familienabendessen bei israelischen Freunden. Erst als deren Kinder im Bett waren, fingen wir an, darüber zu reden. Denn der 8-jährige Sohn hatte schon vor ein paar Tagen gefragt, wann es wieder Raketenbeschuss aus Gaza geben würde und die Eltern machten sich Sorgen, dass er vom Beschuss vom letzten Jahr traumatisiert sein könnte. Die Mutter meinte nur, dass man sich immer wieder „wünsche man lebe in einem normalen friedlichen Land“, aber dass es nie lange dauern würde, die „Illusion wieder platzen zu lassen.“ Und natürlich bewegt das unser ganzes Büro mit unserem einmalig gemischt israelisch-palästinensischen Team. Denn während der israelischen Luftangriffe sind in Gaza auch wieder unschuldige Zivilisten und Kinder gestorben. Wir haben dann besprochen, dass wir eine kurze Nachricht von unserem Jerusalemer Team absetzen, um den Waffenstillstand zu begrüßen und darauf hinzuweisen, dass es langfristigen Frieden nur durch eine Wiederaufnahme ernsthafter und lösungsorientierter Verhandlungen geben kann.
Können Sie kurz erklären, wie es zu diesem Ausbruch der Gewalt gekommen ist?
Die israelische Regierung unter dem liberalen Premier Yair Lapid hatte nach eigenen Angaben präventive Luftangriffe als „Operation Breaking Dawn” gegen Stellungen des Islamischen Jihad im Gazastreifen geflogen, nachdem sie Geheimdienstinformationen über bevorstehende Raketenwerferangriffe auf israelische Fahrzeuge von Seiten des Islamischen Jihad erhalten hatten. Im Anschluss begannen Raketenangriffe des Islamischen Jihad in Richtung israelischer Städte an der Grenze, die größtenteils vom Abwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen werden konnten. Operation Breaking Dawn dauerte 66 Stunden, in denen die israelische Luftwaffe 170 Ziele bombardierte, mehrere hochrangige Mitglieder des Islamic Jihad tötete und militärische Infrastruktur der Terrororganisation zerstörte. Der Islamische Jihad schoss dabei über tausend Raketen ab, von denen ein Fünftel noch im Gazastreifen selbst explodierten. Deswegen gibt es auch unterschiedliche Auslegungen über die Schuld an den zivilen Opfern im Gazastreifen. Aber zum Glück sind die Waffen jetzt vorerst zum Schweigen gekommen.
Der Gazakrieg im vergangenen Jahr dauerte elf Tage und forderte eine viel größere Zahl an Opfern. Und im vergangenen Jahr hatte die islamistische Hamas den Krieg mit Raketenbeschuss nach Israel begonnen. Was war in dieser Auseinandersetzung anders?
Das grundlegend andere war die Rolle der Hamas. Anders als im Mai 2021 hatte sie sich aus den Kampfhandlungen versucht rauszuhalten. Damit war der israelische Einsatz auf die Bekämpfung von Stellungen der sehr viel kleineren Terrororganisation Islamischer Jihad begrenzt. Premier Lapid zeigte dann Führungsstärke, die Operation sofort zu beenden, nachdem taktische Ziele als erfolgreich bekämpft gezählt werden konnten. Der größte Teil der israelischen Bevölkerung erwartet von ihrer politischen Führung Härte in der Durchsetzung der eigenen Sicherheitsinteressen. Leider zählt da oft mehr die Härte im Moment als der Versuch, langfristig für Sicherheit durch einen Frieden mit den Palästinensern zu sorgen. Lapid hat aber genau das auf der Agenda, auch wenn er seine politische Priorität darauf legt, das arabische Israel für sich zu gewinnen. Durch diesen sehr begrenzten Einsatz manövriert er also relativ erfolgreich zwischen den Zugkräften der Innenpolitik. Aber alle können sich glücklich schätzen, dass sich die Hamas im Krieg nicht mit dem Islamischen Jihad solidarisierten. Dadurch konnte einiges Blutvergießen verhindert werden. Jetzt müssen wir hoffen, dass der Waffenstillstand hält und man endlich wieder versucht, auf dem Verhandlungstisch weiterzukommen.
Julius von Freytag-Loringhoven ist Leiter des Büros in Jerusalem der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.