Wahlen
Parlamentswahlen in Jordanien: Zeit für Veränderung?
Im Königreich Jordanien wird am 10. September gewählt. 5 Millionen Wahlberechtigte, davon 53% Frauen, entscheiden über die Zusammensetzung des künftigen Parlaments. Die bevorstehenden Wahlen finden unter neuen Rahmenbedingungen statt. Das weckt Hoffnung auf eine schrittweise demokratische Öffnung. Eine Analyse von Jörg Dehnert und Isabel Kreifels aus unserem Büro in Amman.
Im Haschemitischen Königreich Jordanien steht ein Urnengang vor der Tür: am 10. September entscheiden 5 Millionen Wahlberechtigte, davon 53% Frauen über die Zusammensetzung des künftigen Parlamentes.
Verschiebungen im Machtgefüge sind in Jordanien ein heikles Thema, basiert doch die interne Stabilität des Landes ganz wesentlich auf einer sensiblen Machtteilung zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen des Landes, vor allem zwischen den sog. ostjordanischen „Stämmen“ und Clans sowie der palästinensischstämmigen Bevölkerungsgruppe, die in mehreren Flucht- und Migrationswellen nach Jordanien kam und vor allem den Privatsektor des Landes dominiert.
Auch Christen und die Minderheit der Tscherkessen im Land verfügen traditionell über feste, Ihnen per Quote zustehende Sitze im Parlament.
Gemäß seiner Verfassung von 1952 ist das Haschemitische Königreich Jordanien eine konstitutionelle Monarchie, die König Abdullah II. weitgehende Macht zuspricht. So waltet der König nicht nur als letzte Entscheidungsinstanz der Legislative, Exekutive und Judikative, sondern ist zudem auch Oberbefehlshaber der jordanischen Streitkräfte. Unter anderem ist er befugt, Kabinettsmitglieder zu ernennen bzw. zu entlassen. Der Ministerpräsident führt in seinem Auftrag die Regierungsgeschäfte.
Verglichen mit anderen arabischen Staaten hat das jordanische Parlament dennoch relativ umfassende Kompetenzen. So kann es Gesetzesvorlagen blockieren und den Rücktritt der Regierung erzwingen, wobei der König bei allen Gesetzen ein Vetorecht genießt. Die Regierung bleibt dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Das jordanische Parlament setzt sich aus zwei Kammern zusammen, dem Oberhaus, dessen Senatoren vom König ernannt werden, und dem gewählten Unterhaus.
Die ersten freien Parlamentswahlen in Jordanien hatten im Jahre 1989 stattgefunden, was den Beginn eines langsamen Demokratisierungsprozesses markiert.
Die anstehenden Wahlen finden unter neuen Rahmenbedingungen statt, welche Hoffnungen auf eine vorsichtige demokratische Öffnung wecken.
Erstmals wird nach dem im Jahr 2022 verabschiedeten, neuen Wahlrecht gewählt, das auf die Demokratisierungsinitiative des Königs zurückgeht. Während die 65 Senatoren weiterhin vom König ernannt werden, können die Jordanierinnen und Jordanier die Mitglieder des Repräsentantenhauses, deren Anzahl auf 138 angewachsen ist, wählen. Von den 138 Sitzen sind 41 Sitze fest für politische Parteien reserviert. In künftigen Wahlen soll dieses Kontingent bis auf 50% anwachsen. Ziel dieser Neuerung ist es, den politischen Parteien graduell mehr Bedeutung und Gewicht zukommen zu lassen und somit die Bedeutung von Einzelkandidaturen und Stammeszugehörigkeiten zu reduzieren.
Neu ist auch die Einführung einer Sperrklausel, die für lokale Listen bei 7% und für nationale Parteilisten bei 2,5% liegt, um auch in dieser Beziehung eine größere Stabilität und Kontinuität zu erreichen.
Ähnlich wie in der Bundesrepublik hat jeder Wähler zwei Stimmen. Mit der Erststimme entscheidet der Wähler über Kandidaten in seinem Wahlkreis. Er kann dabei entweder eine Einzelperson aus einer Liste auswählen oder eine der Listen insgesamt ankreuzen, dann wird diese Stimme dem Erstplatzierten auf der Liste zugerechnet. Die Zweitstimme ist dann ausschließlich für nationale Parteien oder Parteilisten oder Parteibündnisse vorgesehen.
Insgesamt stellen sich 34 Parteien zur Wahl, einige davon in Wahlbündnissen oder Parteizusammenschlüssen. Die einem liberalen Gedankengut am nächsten stehende Civil Alliance ist dementsprechend ein Wahlbündnis mit der Social Democratic Party eingegangen. Dieses Bündnis tritt für „persönliche Freiheit“, „Diversität“ und stärkeres staatliches Engagement in den Bereichen „Bildung“, Gesundheit“ und „Öffentliche Transportsysteme“ ein.
Auch der Eradeh Political Party, nach europäischen Maßstäben im liberal-konservativen politischen Spektrum verortet, wird zugetraut, ein größeres Wählerpotential anzusprechen. In beiden Parteien hat die Stiftung gute Kontakte zu Einzelpersönlichkeiten, die in den Listen auf vorderen Plätzen kandidieren.
In Anbetracht der gegenwärtigen politischen Situation, vor allem aber des Konflikts in Gaza und zunehmend auch in der Westbank, gehen politische Experten von einem starken Stimmenzuwachs der islamistischen Parteien bei den Wahlen aus, der sich folglich in der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses widerspiegeln wird.
Vor allem die Muslimbruderschaft ist seit Jahrzehnten sehr gut im Land vernetzt und findet ihre Anhänger vor allem in urbanen Milieus, oftmals aus ökonomisch ärmeren Bevölkerungsmilieus sowie der unteren Mittelklasse. Auch in Moscheen, und bei kommunalen Festveranstaltungen haben sie großen Zulauf.
Bisher stellen die „Muslimbrüder“ quasi die einzige machtpolitisch relevante ideologische und über landesweite Strukturen verfügende (Partei-)Organisation dar. Anders als viele Parteien im Land, die in der Regel tribale oder regionale Interessen vertreten, haben die Muslimbrüder eine eindeutige ideologische Basis und enge ideologische Verbindungen zu Parteien des politischen Islam in der Region. Zwar sind ihre Inhalte und Werte weder fortschrittlich noch demokratie-freundlich, doch hinsichtlich Durchhaltevermögen, Parteistruktur und Wählermobilisierung sind sie ihren politischen Mitkonkurrenten bisher noch weit überlegen.
Insgesamt wird das neue Wahlrecht aber den Einfluss und die Gestaltungsoptionen von Politischen Parteien insgesamt gegenüber den unabhängigen Kandidaten und Stammeszugehörigkeit als Nutznießer der bisherigen Regelungen stärken.
Neu sind bei dieser Wahl die im Öffentlichen Fernsehen übertragenen Debatten zwischen den antretenden Parteien. Diese Art der medialen und vor allem öffentliche n politischen Diskussion unterschiedlicher, kontroverser politischer Konzepte stößt in der Bevölkerung auf große Resonanz und Neugier.
Erstmals eingeführt wurde auch ein digitaler „political compass“, der mit dem Wahl-O-Mat in Deutschland verglichen werden kann. Initiiert und unterstützt wird der „political compass“ von der EU und NIMT (Netherland Institute for Multiparty Democracy). Anhand von 34 Fragen zu unterschiedlichen Themen können die Nutzer ihre Affinität zu politischen Parteien erfahren und sie erhalten so eine wertvolle Entscheidungshilfe für ihre Parteipräferenz. Inwieweit dieses Instrument letztendlich zur Entscheidungsfindung der Wähler beiträgt, wird sicherlich Gegenstand folgender Untersuchungen sein.
Die am 10. September stattfindenden Wahlen betreten also in vielerlei Hinsicht Neuland und dürften das Demokratieverständnis und Engagement der Bevölkerung steigern. Mit Interesse und Spannung bleibt zu beobachten, ob sich ein derzeit bei Wahlen in anderen Weltregionen abzeichnender Trend, die Stärkung der politischen Ränder, auch in Jordanien feststellen lässt.