Wahlen
Kanadas Nordstern steht noch, aber ist gedimmt
Kanadas Parlamentswahlen waren alles, was die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr sicher nicht sein werden: Sie waren glanzlos, höflich, außergewöhnlich statisch und von Zurückhaltung geprägt. Aber Amerikas Nachbarn im Norden haben sich den beispiellosen „endorsement“-Tweet des früheren US-Präsidenten Barack Obama zu Herzen genommen und gaben Kanadas Premierminister Justin Trudeau, trotz seines schwer angekratzten „golden boy“-Image, die Unterstützung für eine zweite Amtszeit.
Dem ehemaligen Idol der Progressiven, der vor vier Jahren auf einer Welle der Hoffnung ins Amt getragen wurde, gelang es letztendlich trotz Verlusten, die Kanadier davon zu überzeugen, bei einer der engsten Wahlen des Landes für seine Partei zu stimmen.
Trudeaus Liberale Partei wird nach Prognosen der Wahlkommission ihre absolute Mehrheit im kanadischen Unterhaus verlieren. Dafür wären 170 Sitze im 338-köpfigen House of Commons nötig gewesen. Sie erhielt aber genügend Sitze (156), mit der Unterstützung von kleineren Parteien eine Regierung bilden zu können. Die konservative Partei unter dem Parteivorsitzenden Andrew Scheer erreichte 122 Sitze.
Diese Ergebnisse bedeuten, dass Trudeau entweder eine Koalition formen muss (was in Kanada selten ist) oder mit einer Minderheitsregierung antreten und je nach Thema aktiv Mehrheiten suchen muss um Vereinbrarungen zu treffen. Dennoch fällt es dem liberalen Führer möglicherweise relativ leicht, zu regieren, da seine Partei über genügend Sitze verfügt, um mit Unterstützung von nur einer der zwei kleineren Oppositionsparteien – dem Bloc Québécois, der für die Unabhängigkeit der östlichen Provinz Québec kämpft und zu Beginn des Jahres kurz vor der Bedeutungslosigkeit stand, oder den Neuen Demokraten – genug Stimmen im Unterhaus zu erhalten.
Der 47-jährige Trudeau kanalisierte die Star-Power seines Vaters, des verstorbenen Premierministers Pierre Trudeau, einer liberalen Ikone, als er 2015 gewann. Eine Kombination aus Skandalen und nur schwer zu erfüllenden hohen Erwartungen hatte seine Aussichten auf eine weitere Amtszeit beeinträchtigt. Sein Wahlkampf wurde so zu einer Entschuldigungstour, nachdem zusätzlich Rassismusvorwürfe sein Image erschütterten.
Nicht eingehaltene Versprechungen und Skandale schuld an den Ergebnissen
Trudeau ist vor vier Jahren durch einen überraschenden Sieg an die Macht gekommen, nachdem fast zehn Jahren die Konservative Partei regiert hatte. Dieser Sieg machte den charismatischen und fotogenen Trudeau zu einem Rockstar unter Linksliberal auf der ganzen Welt und brachte ihm sogar ein Rolling Stone-Cover unter der Überschrift: „Warum kann er nicht unser Präsident sein?“
Seine Partei die „Liberale Partei Kanadas“ erreichte damals 39,5 Prozent aller Stimmen. Das Ergebnis reflektierte die Stimmung der kanadischen Wählerschaft. Die letzten Umfragen vor der vier Jahre zurückliegenden Wahl zeigten, dass sich 70 Prozent der Wähler einen Regierungswechsel wünschten. Trudeau gelang es im Wahlkampf, diese Stimmung für sich und seine Partei zu nutzen. Er führte einen fehlerlosen und perfekten Wahlkampf. Lagen die Liberalen zu Beginn des Wahlkampfes in den Umfragen noch an dritter Stelle hinter den Konservativen (Conservative Party of Canada) und den Sozialdemokraten (New Democratic Party), gelang es Trudeau, die Wähler mit seiner Prioritätensetzung umzustimmen.
In den Fußspuren seines Vaters, wurde Trudeau schnell zu einem globalen Symbol des Liberalismus, auch als der Rechtspopulismus in vielen anderen Demokratien Einzug gehalten hat. Im Dezember 2016, nach dem Sieg von Trump, sagte US-Vizepräsident Joe Biden zu Trudeau, einem der wenigen verbleibenden fortschrittlichen Führer der Welt, dass „die Welt viel Zeit damit verbringen wird, auf Sie zu schauen, Herr Premierminister“.
Trudeau, als Leuchtturm für Liberale angesehen, hat versucht, dieser Prophezeiung gerecht zu werden, indem er daran arbeitete, eine linksliberale Agenda durchzusetzen. Er zog junge Anhänger an, indem er sich als Verfechter von Frauen und Indigenen präsentierte und als engagierter Kämpfer gegen den Klimawandel und Befürworter einer liberalen Einwanderungspolitik auftstellte. Auch konnte Trudeau mit der Legalisierung von Marihuana und der Aufnahme von mehr als 25.000 syrischen Flüchtlingen im Land bei der Basis punkten. Aber viele seiner Versprechen wurden nie eingelöst, sehr zur Enttäuschung seiner Anhänger.
Im Gegensatz zu seinem äußerst effektiven Wahlkampf in 2015 waren die letzen vier Jahre für Trudeau nicht so sonnig. Trudeau musste sich während seiner Amtszeit einigen schwierigen politischen Herausforderungen stellen: Der Widerstand gegen seine geplante Steuerreform war unerwartet groß. Seine Umweltschutzpolitik ging den einen Kanadiern nicht weit genug und den anderen, die in den ölreichen Provinzen leben, zu weit. Auch der versprochene Aussöhnungsprozess mit der indigenen Bevölkerung wurde nie Wirklichkeit. Die schwierigen Verhandlungen mit den USA und Mexiko über das neue und umstrittene Freihandelsabkommen USMCA, eine Priorität für Kanada, belastete Trudeaus liberale Regierungspartei. Weitere Rückschläge waren eine Verschlechterung der Beziehungen zu China und ein gebrochenes Versprechen, das Wahlrecht der Kanadier zu ändern.
Diese Herausforderungen, zusammen mit einer Reihe von Skandalen und Krisen, darunter eine Korruptions- und Schmiergeldaffäre, die die Liberalen bis heute verfolgt, hatten messbare und anhaltende Auswirkungen auf Trudeaus Reputation und Beliebtheitswerte.
Zuletzt hatten Rassismusvorwürfe das Image des einst international gefeierten Regierungschefs geschadet. Im September erschienen Bilder aus dem Jahr 2001, die den damals 29- jährige Lehrer auf einer Kostümparty unter dem Motto „Arabische Nächte“ zeigten mit dunkelbraun geschminktem Gesicht.
Wie geht es weiter?
Für Trudeau ist seine Niederlage, die eben auch ein Sieg ist, ein Neuanfang und eine Chance. Trudeaus größte Herausforderung besteht nun darin, seinen Kritikern zu beweisen, dass sein liberales Image keine politische Verkleidung ist, sondern dass er der richtige Mann ist, um Kanada in die Zukunft zu führen.
Der erste Test für eine Minderheitsregierung ist die sogenannte „Speech from the Throne“, oder Thronrede, in der die Prioritäten der neuen Regierung vorgestellt werden, über die abgestimmt wird. Wenn Trudeau verliert, bricht seine Regierung zusammen und der Generalgouverneur könnte dann die Konservativen auffordern, eine Regierung zu bilden, um eine erneute Wahl zu vermeiden.
Derzeit ist keine Partei an schnellen Neuwahlen interessiert, da alle Parteikassen leer sind. Angesichts dieser Einschränkung wird erwartet, dass eine Minderheitsregierung mindestens für die nächsten zwei Jahre existiert.