Kenia vor den Wahlen
Leuchtturm oder Schiffbruch der Demokratie?
In wenigen Wochen kann es schon ernst werden. Mitte April werden die Listen für die parteiinternen Vorwahlen veröffentlicht, spätestens am 22. April abgestimmt. Kurz darauf kennt man die ersten Gewinner und Verlierer dieses kenianischen Superwahljahrs.
Es sind nicht weniger als sechs Wahlen, die parallel vorbereitet und durchgeführt werden: Zeitgleich mit der alles überstrahlenden Präsidentschaftswahl werden auch der Senat, das nationale Parlament, die County Parlamente, die Gouverneure und die Frauenvertretungen in den Countys neu bestimmt.
Schon für die Zeit um die Vorwahlen warnen einige Beobachter vor Gewaltausbrüchen.
Kenia hat darin eine traurige Tradition. Im Umfeld der Wahlen 2017 und vor allem 2007 kam es zu heftigen Ausschreitungen mit zahlreichen Toten und Verletzten. Waren es aufgepeitschte und dann enttäuschte Anhänger von unterlegenen Kandidaten oder von oben gesteuerte Aktionen bezahlter Schlägertrupps – diese Frage wurde nie abschließend beantwortet.
Auch jetzt steigt die Temperatur der politischen Auseinandersetzung spürbar von Woche zu Woche. Insbesondere die beiden Hauptkontrahenten, Vizepräsident William Ruto und Oppositionsführer Raila Odinga heizen die Stimmung bei ihren Anhängern immer weiter auf.
Tribalismus und Korruption
Allein die Konstellation zwischen diesen beiden Kandidaten und Präsident Uhuru Kenyatta wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Demokratie im Land. Präsident Kenyatta, der selbst nach zwei Amtsperioden nicht wieder antreten darf, unterstützt offen Oppositionsführer Odinga. Die Zusage an Ruto, ihn im Gegenzug zur Hilfe beim eigenen Aufstieg als Nachfolger ins Präsidentenamt zu verhelfen, ist nichts mehr wert. The Standard, eine der großen nationalen Zeitungen, stellt diesen Wortbruch auf der Titelseite genüsslich in eine Reihe von vier, fünf in ähnlicher Weise gebrochenen Versprechen in der noch jungen Geschichte des Landes.
Bündnisse auf Zeit, die aufgekündigt werden, wenn es opportun ist, sind ein sichtbarer Beleg für ein grundlegendes Defizit. Es geht weniger um politische Programme als um den Erhalt von Macht. Parteien in Kenia stehen nicht für Inhalte und politische Grundüberzeugungen, sondern für ihren Kandidaten und die Ethnie, aus der dieser kommt.
Die größte Volksgruppe in Kenia, die Kikuyu, ist bei dieser Wahl nicht durch einen eigenen Kandidaten repräsentiert. Mit großer Spannung wird deshalb die Berufung der Kandidaten für die Vizepräsidentschaft erwartet. Schaffen es Ruto oder Odinga durch die geschickte Wahl ihrer „Running Mates“ ihre Wahlchancen zu optimieren? Auch diesbezüglich überschlagen sich die Spekulationen.
Neben dem Tribalismus ist Korruption die zweite große Herausforderung für die kenianische Demokratie. Bei 200 bis 500 Schilling – etwa 1,50 bis 4 Euro, für viele Kenianerinnen und Kenianer eine nicht unerhebliche Summe – liegt der aktuelle Kurs für die Teilnahme an einer Wahlkampfveranstaltung, offen ausgezahlt an Tischen am Rande der Veranstaltung. Auch das Kreuz an der richtigen Stelle des Wahlzettels wird ähnlich honoriert. Ein Handyfoto des Wahlzettels als Nachweis reicht aus.
Nur reiche Kandidaten können sich diese Art des politischen Wettbewerbs überhaupt leisten. Und wenn sie die Wahl gewonnen haben, müssen sie dafür sorgen, dass wieder Geld in die Kassen kommt, um die Position beim nächsten Urnengang verteidigen zu können. Die beiden Hauptkontrahenten Odinga und Ruto sind selbst Dollar-Multimillionäre. Odinga stammt aus den reichsten und einflussreichsten Familien des Landes, Ruto hat es während seiner politischen Karriere zu Reichtum gebracht.
Ein Leuchtturm der Demokratie
Ruto adressiert im Wahlkampf strategisch geschickt die armen, unterprivilegierten Teile der kenianischen Bevölkerung. Das Potenzial ist riesig. Mehr als 70 Prozent der Kenianer arbeiten im inoffiziellen Sektor, oft als kleine Händler oder Tagelöhner. Die Corona-Pandemie hat zusätzlich Millionen Kenianer in die Armut gestürzt. Der Kampf dieser „Hustler“ gegen die Elite – das ist Rutos Thema.
Noch ist es zu früh zu sagen, ob dieser auf soziale – und immerhin nicht ethnische –Zugehörigkeit abzielende Wahlkampf Erfolg haben wird. Er ist ein Spiel mit dem Feuer, fürchten manche Beobachter, weil sich die aufgepeitschten Emotionen dieser Gruppe kaum kontrollieren lassen – anders als ethnische Konflikte, bei denen die traditionellen Führer ihren Einfluss haben.
Trotz all der unbestreitbaren Defizite ist Kenia ein Leuchtturm der Demokratie in Ostafrika. Es gibt einen Wettstreit von Kandidaten, eine öffentliche, in den Medien breit ausgetragene Debatte und eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für politische Bildung und faire Wahlen starkmachen. Nicht zuletzt hat auch die kenianische Justiz ihre Unabhängigkeit bewiesen, indem Sie eine gemeinsam von Präsident Kenyatta und Oppositionsführer Odinga handstreichartig auf den Weg gebrachte Verfassungsreform für ungültig erklärt hat. Von keinem Nachbarland Kenias – Somalia, Südsudan, Äthiopien, Uganda, Ruanda oder Tansania – kann man das auch nur ansatzweise sagen.
Umso wichtiger ist der Erfolg der Wahlen in Kenia – nicht nur für das Land selbst, sondern für die ganze Region. Und Erfolg heißt in diesem Fall ganz einfach: Machtwechsel ohne Betrug und ohne Gewalt.
Stefan Schott ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Ostafrika mit Sitz in Nairobi.