Kolumne Prof. Karl-Heinz Paqué
Bitte kein politischer Mindestlohn!
Seit 2015 gibt es in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn. Gegen seine Einführung gab es damals heftigen Widerstand – und zwar vor allem von jenen Ökonomen (wie dem Verfasser dieser Zeilen), die Anhänger der Tarifautonomie in der sozialen Marktwirtschaft sind. Sie befürchteten eine Politisierung der Lohnsetzung mit schädlichen Wirkungen für den Arbeitsmarkt.
Es ist erfreulich, dass diese Befürchtungen sich lange Zeit als übertrieben herausstellten. Der Grund: Es gibt eine sogenannte „Mindestlohnkommission“, die einigermaßen unbehelligt von der Politik arbeitet – als gemeinsames Gremium von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, angereichert mit Wissenschaftlern. Das Ganze hat tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Tarifverhandlung –natürlich mit dem Unterschied, dass ein Ergebnis herauskommt, das dann gesetzlich festgelegt wird, mit stufenweiser Anpassung alle zwei Jahre.
Das hat einige Zeit recht reibungslos funktioniert, bis durch die Ampelkoalition auf Drängen der SPD nach der Regierungsbildung für das Jahr 2022 eine besonders starke Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro durchgesetzt wurde, mit einem einmaligen Zuwachs von +14,8 Prozent zum 1. Oktober 2022, nachdem vorher schon zum 1. Januar 2022 +2,1 Prozent und zum 1. Juli 2022 +6,4 Prozent zu Buche schlugen. All dies summierte sich trotz scharfer Beschleunigung der Inflation zu einem realen Zuwachs von fast 15 Prozent, wohl weit über der Zunahme der Arbeitsproduktivität von Hilfskräften im gleichen Zeitraum.
Wenn man so will, war dies der erste politische Sündenfall – im Nachgang zu Wahlkampf, Bundestagswahl und Regierungsbildung 2021. Ein zweiter Sündenfall droht mit der lauten Bekundung des Bundeskanzlers, er befürworte nachdrücklich eine zügige schrittweise Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro – von derzeit 12,41 Euro und beschlossenen 12,82 Euro 2025, also ein Plus von 17 bis 20 Prozent je nach Bezugsgröße. Käme es durch eine politische Entscheidung der Bundesregierung dazu, wäre dies ein Schlag ins Gesicht der Mindestlohnkommisssion und letztlich auch ihrer Grundphilosophie, die sich an der Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden orientiert. Es würde die Findungs- und Entscheidungmacht des Gremiums komplett aushöhlen, wenn nicht endgültig beenden. Denn wie kann ein Gremium sich selbst weiter ernst nehmen, wenn ihm innerhalb weniger Jahre seine Steuerungskompetenz fast komplett von der Politik aus der Hand genommen wird?
Die Folgen wären gewaltig, ordungspolitisch und wirtschaftlich. Die vielgerühmte Arbeitsmarktverfassung der Bundesrepublik mit ihrer wohlbegründeten Politikferne würde massiv geschwächt. Fast könnte man dann von einer Rückkehr zu den Verhältnissen der Weimarer Republik sprechen. Und ökonomisch würde sich die Arbeitskraft scharf verteuern – und zwar nicht nur für minderqualifizierte Hilfskräfte, sondern für alle Arbeitnehmer, denn der neue gesetzliche Mindestlohn hätte natürlich Rückwirkungen auf die eigentlichen Tarifverhandlungen für höher Qualifizierte, die einen angemessenen Lohnabstand gewahrt sehen wollen. Ohne Übertreibung kann man sagen: Jene Befürchtungen der Skeptiker gegenüber dem gesetzlichen Mindestlohn, die vor dessen Einführung 2015 geäußert wurden, würden doch noch wahr. Die Skeptiker – einschließlich des Verfassers dieser Zeilen – würden Recht behalten, aber ohne jedes Vergnügen. Der scharfe Widerspruch des Finanzministers ist berechtigt.