Naher Osten
Syrien vor der Präsidentschaftswahl – Ein Theater nach außen und innen
Am Anfang stand ein Rekord. 51 Syrer hatten sich ursprünglich als Bewerber des Amtsinhabers Bashar Al-Assad für die heutige Wahl zum syrischen Staatspräsidenten aufstellen lassen. Zugelassen hat das Verfassungsgericht dann aber nur zwei von ihnen: den ehemaligen Staatsminister Abdullah Salloum Abdullah und den vermeintlichen Oppositionellen Mahmoud Ahmed Marei. Beide Kandidaten sind der syrischen Bevölkerung und sogar Experten weitgehend unbekannt. Doch selbst diese Form des Politiktheaters hatte das Regime des seit 2000 amtierenden Diktators nicht für notwendig erachtet. Ursprünglich wollte man nur einen einzigen Gegenkandidaten akzeptieren. Nur der Druck des wichtigsten Bündnispartners in Moskau führte dazu, dass nun ein weiterer Bewerber ins vorab entschiedene Rennen geht – um den Anschein legitimer Wahlen zumindest etwas glaubhafter erscheinen zu lassen. Dass Mahmoud Ahmed Marei kein echter Widersacher sein wird, war freilich ausgemacht: Er betreibt in Damaskus eine NGO, die vom Regime zugelassen und kontrolliert wird.
Mit nun zwei Zählkandidaten folgt der diesjährige Urnengang dem Muster der letzten Präsidentschaftswahl vor sieben Jahren. Der Show-Charakter des Prozederes war 2014 etwa daran zu erkennen, dass einer der Gegenkandidaten sein Programm vor einem riesigen Assad-Poster vorstellte. Was von der Wahl 2021 zu erwarten ist, lässt sich bereits an den Hürden für die syrischen Wähler ablesen: Alle geflüchteten Syrer und Syrerinnen, die keinen gültigen syrischen Ausreisestempel vorweisen können, sind davon ausgeschlossen – mithin schätzungsweise 5,5 Millionen. Weitere 6,6 Millionen leben in der Region Idlib, in den Kurdengebieten im Nordosten oder in Teilen des Staates, die von anderen Mächten kontrolliert werden. Auch sie dürfen dort nicht wählen. Linda Thomas-Greenfield, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, sprach sich auch deshalb vor wenigen Tagen im Sicherheitsrat unmissverständlich gegen diese „illegitime“ Wahl aus. Auch die EU hat den Urnengang von vornerein als das „Gegenteil von freien und fairen Wahlen“ bezeichnet.
Das Politiktheater soll Syrien aus der diplomatischen Isolation führen
Tatsächlich könnte sich Bashar Al-Assad auch einfach wie sein Vater Hafez per Referendum bestätigen lassen. Warum aber macht sich sein Regime nun die Mühe, dieses Politiktheater aufzuführen? Es gibt im Prinzip zwei Gründe: internen und externen Druck.
Syrien liegt zehn Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs am Boden. Weite Teile des Landes gleichen einer Trümmerlandschaft. Über die Hälfte der Bevölkerung wurde vertrieben, die humanitäre Lage ist auch in Regimegebieten katastrophal. In den vergangenen Monaten schritt der Kollaps der Wirtschaft immer schneller voran, was insbesondere am Verfall des syrischen Pfunds und der damit enormen Verteuerung der Lebensmittelpreise liegt. Viele Väter und Mütter wissen nicht mehr, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Über 80% der Bevölkerung leben laut Schätzungen der Vereinten Nationen unter der Armutsgrenze. Die wirtschaftliche Lage ist derart verheerend, dass das Regime als Hauptmittel der Devisenbeschaffung nunmehr immer stärker in den staatlichen Drogenhandel investiert. Laut einer Studie des „Center for Operational Analysis und Research“ vom April 2021, steht das Geschäft mit Cannabis und vor allem mit dem Aufputschmittel Captagon seit 2018 – also dem Jahr, in dem Assad seine Macht konsolidierte – unter Kontrolle des Regimes bzw. ihm nahestehender Drogenbarone. Besonders der Handel mit dem im Bürgerkrieg als Droge der Jihadisten zu zweifelhafter Bekanntheit gelangten Aufputschmittel dient der Regierung, an Dollars und Euros zu kommen. Diese werden wiederum dringend benötigt, um die Gefolgschaft unter Kontrolle zu halten. Immer weitere Schmuggelrouten, insbesondere auch über den Libanon und teils weit entfernte europäische Häfen sowie nicht zuletzt durch die jordanische Wüste, werden dabei bekannt, dadurch steigt nicht zuletzt auch der Druck auf die Nachbarländer.
Zur katastrophalen wirtschaftlichen Lage in den Regimegebieten kommt die mangelnde Perspektive, das Land wieder zu vereinen. Die Region Idlib im Nordwesten sowie Landesteile an der nördlichen Staatsgrenze werden vor allem von der Türkei und der Islamistenmiliz HTS kontrolliert. Im Nordosten herrschen die von den USA unterstützten Demokratischen Kräfte Syriens, die sich vor allem aus kurdischen Milizen rekrutieren. Lange wurde die Gefahr einer Wiederkehr des Islamischen Staates – auch und besonders von der internationalen Gemeinschaft – vernachlässigt, so dass die Islamisten nunmehr im Osten des Landes wieder Schutzgelder kassieren und sogar gezielte Anschläge auf die Sicherheitsstruktur des Regimes verüben.
Aus all diesen Gründen werden selbst einstige Loyalisten immer unzufriedener. Laut Jihad Yazigi, Herausgeber des Wirtschaftsblogs The Syria Report, beschränkt sich die Kritik allerdings bislang auf die Ebene unterhalb des Präsidenten. Die Macht des Despoten wird nicht in Frage gestellt. Damit das so bleibt, werden nun also die Präsidentschaftswahlen aufgeführt. Bashar al-Assad – so die erwartete Botschaft – bleibt der einzige Führer, der das Land vereinen und Syrien aus der wirtschaftlichen Abwärtsspirale herausführen kann.
Zu den internen Faktoren kommt die Außenpolitik. Assad muss die Interessen seiner Verbündeten beachten. Sowohl das russische als auch das iranische Regime wollen nach jahrelangem Engagement zumindest eine Kompensation ihrer Kriegskosten. Das wäre aber nur zu erreichen, wenn Gelder für den Wiederaufbau aus dem Westen fließen. Denn sowohl Teheran als auch Moskau sind weder willens noch in der Lage, die enormen Summen aufzubringen, um das Land wieder auf die Beine zu bringen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind 50 Prozent der grundlegenden sozialen Infrastruktur des Landes wie Straßen, Wasserversorgung und Gebäude beschädigt oder zerstört, ein Wiederaufbau würde Milliarden kosten. Russland und der Iran wissen: All das kann nicht repariert oder ersetzt werden, wenn nicht das internationale Sanktionsregime zumindest aufgeweicht wird. Beide Verbündete hoffen dann auch darauf, von den Aufbauhilfen zu profitieren, denn russische und iranische Unternehmen beherrschen große Teile der syrischen Industrie.
Die Hoffnung der Assad-Unterstützer scheint tatsächlich nicht gänzlich unbegründet, denn die Arabische Liga und einzelne arabische Regierungen betreiben die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Damaskus. Auch aus Europa werden die Stimmen lauter, dass man doch nun die Realitäten in Syrien endlich anerkennen müsse. Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, hat bereits 2014 gefordert, dass man „Assad mal Assad sein lassen“ sollte. Auch der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen hat kürzlich laut über Abschiebungen nach Syrien nachgedacht, wohlwissend, dass Abschiebungen nach Syrien eine Kooperation mit dem Assad-Regime bedingen.
Deutschland und Europa sollten für einen transparenten Übergangsprozess einstehen
Deutschland und seine europäischen Partner müssen gerade jetzt deutlich machen, dass ohne einen transparenten politischen Übergangsprozess kein Entgegenkommen zu erwarten ist. Es braucht in dieser Lage vor allem weiteren Druck, etwa durch weitere gezielte Sanktionen gegen einzelne Oligarchen, die am Drogenhandel beteiligt sind. Wenn überhaupt über eine Lockerung der Strafmaßnahmen nachgedacht werden kann, dann um der einfachen Bevölkerungen zu helfen. Die beiden Ebenen – Volk und Regime – auseinanderzuhalten, ist freilich sowohl bei den Sanktionen als auch bei der Bereitstellung von Hilfsleistungen nur sehr schwer möglich. Die EU-Staaten können aber über eine verstärkte Konditionierung nachdenken, auch um dem UN-Prozess wieder Leben einzuhauchen. Assad hat das Verfassungskomitee, das eine politische Übergangslösung ausarbeiten sollte, von Anfang an torpediert. Hier muss über das Setzen einer Deadline und die Formulierung klarer Konsequenzen entschieden werden. Ein realpolitischer Umgang mit dem Assad-Regime kann nicht bedeuten, dass man sich den Bedingungen eines Diktators unterwirft, der den Tod seiner Landsleute durch Fassbomben und Giftgas, die Vertreibung von Millionen von Syrerinnen und Syrer sowie die Zerstörung und Spaltung seines Landes zu verantworten hat. Das Ziel muss die Ablösung von Präsident Assad bleiben.
Internationale Akteure wie auch die Friedrich-Naumann-Stiftung sollten in dieser komplizierten Lage weiter die Zivilgesellschaft unterstützen. In den zehn Kriegsjahren haben sich im Ausland umfangreiche Strukturen gebildet, auf die eine bessere freie Zukunft Syriens aufbauen könnte. Das gehört zu den wenigen Lichtblicken in dieser Katastrophe.