Lindner-Wirtschaftspapier
Agenda der Angebotspolitik
Zurück zur bewährten sozialen Marktwirtschaft, weg von der gescheiteren staatlichen Lenkung! So lautet die Kernbotschaft des 18-seitigen regierungsinternen Papiers des Bundesfinanzministers, das am Freitag in der Öffentlichkeit auftauchte – über welche Kanäle auch immer. Es liefert ein Plädoyer für eine grundsätzliche Neu-Orientierung der Wirtschaftspolitik.
Das Papier hat es in sich. Es diagnostiziert eine längst chronische Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft, die langfristig zu einem ökonomischen und geopolitischen Bedeutungsverlust des zweitwichtigsten Industrielandes der westlichen Welt zu führen droht. Christian Lindner ist nicht bereit, dies hinzunehmen. Er setzt auf eine umfassende Therapie – in den achtziger Jahren hätte man von einer „Agenda der Angebotspolitik“ gesprochen. Zur Stärkung des Wachstums des Produktionspotenzials fordert er eine Senkung der Unternehmenssteuern (inkl. Abschaffung des Solidaritätszuschlags), einen Bürokratie-Abbau durch ein Regulierungsmoratorium, zum Teil bei bereits beschlossenen Vorhaben wie dem Lieferkettengesetz, sowie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Spitzenforschung. Er fordert ein Ende des (überambitionierten) deutschen Sonderwegs in der Klimapolitik, der vor allem die Energie unnötig verteuert, auch im Vergleich zu europäischen Nachbarländern. Er fordert schließlich mehr Mobilisierung und Motivation am Arbeitsmarkt, um der Alterung und Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials entgegenzuwirken. Dazu gehört auch eine Wende in der Asyl- und Arbeitsmarktpolitik – hin zu mehr Anreizen für Zugewanderte zur schnellen Annahme von Arbeit.
Das 18-seitige Papier ist in seinen Vorschlägen umfassend. Und es ist in seinen finanziellen Folgen zumindest grob durchgerechnet, so dass die Hinwendung zur Wachstumspolitik ohne Verletzung der deutschen Schuldenbremse und der Regeln des Europäischen Fiskalpakts auskommt. Allerdings steht die Haushaltspolitik nicht im Vordergrund, denn das eigentliche Ziel der Strategie Lindners ist die Entfesselung einer neuen Wachstumsdynamik für die deutsche Wirtschaft, die es erst möglich macht, eine lange Liste gesellschaftlicher Ziele zu erreichen – von der geopolitisch nötigen Stärkung der Bundeswehr über die militärische Unterstützung der Ukraine bis zur klimapolitischen Transformation ohne unnötige gesellschaftliche Spaltungen. Also in der Tat eine klassische Agenda der Angebotspolitik, nicht ein „Sparprogramm“, aber durchaus ein Programm der Umschichtung von Konsum zu Investitionen.
Von der Wissenschaft kam prompt inhaltliche Zustimmung zu dem Papier, genauso wie von der Opposition der Unionsparteien. Von grün und sozialdemokratisch geneigter Seite rund um die Ampelkoalition dagegen gab es schnelle und zum Teil scharfe Kritik. Die SPD-Politikerin Philippa Sigl-Glöckner ging sogar in einem langen Thread auf X so weit zu behaupten, Christian Lindner löse mit seinem Papier nicht mehr als ein Haushaltsproblem, das er erst selbst schafft – durch die geforderte Senkung der Unternehmenssteuern und Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Rein formal stimmt das sogar, denn natürlich gehen dem Staat durch eine Senkung der Abgabenlast zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe verloren. Aber diese Entlastung ist ja in dem angebotspolitischen Konzept eine der notwendigen Bedingungen dafür, dass die private Wirtschaft jene Dynamik entfalten kann, die dann auf mittlere und lange Sicht die Finanzierung der staatlichen Aufgaben durch zusätzliche Steuereinnahmen erleichtert. Wachstum ist eben der Schlüssel für gesunde Finanzen. Lindners Hauptziel ist nicht das Einhalten der Schuldenbremse und des Europäischen Fiskalpakts – dies ist eher eine (allerdings unabdingbare) Nebenbedingung. Sein Hauptziel ist: mehr Wachstum – nach deprimierenden Jahren der Stagnation der deutschen Volkswirtschaft mit allen Folgeproblemen, die sich daraus ergeben.
Ganz ähnlich war die Lage, als 1982 der liberale Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in der damaligen sozialliberalen Koalition ein Papier vorlegte. Er forderte damals eine Wirtschaftswende samt Konsolidierung des Bundeshaushalts. Damals führte das „Lambsdorff-Papier“ zum Ende der Koalition, weil sich die SPD nicht bewegte. Die heutigen Partner der FDP in der Ampel-Koalition sollten klüger handeln. Mit dem Lindner-Papier liegt jedenfalls endlich eine Blaupause vor, wie man hierzulande die Wachstumsschwäche hinter sich lassen kann. Diese Chance sollte nicht ungenutzt bleiben – im Interesse Deutschlands.
Lambsdorff-Papier: Trendwende in der Wirtschaftspolitik
Anlässlich des 10. Todestags von Otto Graf Lambsdorff blicken wir auf das Wirken des liberalen Wirtschaftspolitikers zurück. Das berühmte „Lambsdorff-Papier", das 1982 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, wurde vor allem als Scheidebrief der sozial-liberalen Koalition angesehen, was den Absichten seiner Urheber jedoch nicht gerecht wird.