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Lust an der Zukunft: Warum Bildung Vorbilder braucht

Eine neue Studie des ifo-Instituts München gibt Hinweise, wie sich die Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen aus stark benachteiligten Verhältnisse verbessern lassen
Lust an der Zukunft: Warum Bildung Vorbilder braucht

“Wie unvermögend ist doch der gutwilligste Fleiss der Menschen gegen die Allmacht der ungetheilten Begeisterung”, heißt es in Hölderlins Hyperion, “wohl dem, wem auf diesem Wege ein edler Geist in früher Jugend begegnete!” Während im berühmten Briefroman der Protagonist durch seinen Lehrer Adamas in das Zauberland der griechischen Götter eingeführt wird, geht es in der heute vorgestellten Studie des Münchner ifo-Instituts etwas pragmatischer um die Hinführung zum deutschen Arbeitsmarkt. In beiden Fällen steht allerdings die Rolle des Mentors im Mittelpunkt, der das Potenzial des jungen Menschen erkennt und zur vollsten Entfaltung bringt. Die Forschergruppe um Sven Resnjanskij, Jens Ruhose, Simon Wiederhold und Ludger Wößmann untersuchte dabei eines der bedeutendsten Mentoring-Programme im deutschsprachigen Raum auf seine Wirksamkeit.

Für Liberale ist dieses Thema von höchster Bedeutung, denn die individuellen Bildungs- und Lebenschancen hängen gerade in Deutschland immer noch zu stark vom Elternhaus ab – auch die PISA-Studie hat dies zuletzt noch einmal deutlich gezeigt. Einer der Gründe liegt in der entscheidenden Rolle von Vorbildern. Haben die Eltern beispielsweise studiert, so richten sich auch die Kinder bewusst oder unbewusst an diesem Bildungsweg aus. Fehlen dagegen Vorbilder, beispielsweise weil in Wirtschaftsschulbüchern kaum Unternehmerinnen gezeigt werden, so hat dies große Auswirkungen auf die Lebenswege, die vorstellbar sind. Im Thesenpapier der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zur “besten Bildung bis 2030” nimmt die Begleitung von Bildungspfaden deshalb einen wichtigen Platz ein. “Bildungswege sind vielfältig und verschlungen – und mancher Pfad muss ganz neu entdeckt werden”, fordern wir, “dafür braucht es Mentorinnen und Mentoren, die dem oder der Einzelnen unterstützend zur Seite stehen und alternative Möglichkeiten aufzeigen.” Auch in Veranstaltungen wie “Fachkraft for Future” wurde die Bedeutung von Vorbildern und Mentoren ausführlich diskutiert – zu Wort kamen beispielsweise die Dachdeckerin und Influencerin Chiara Monteton und Vertreter der Hamburger MUT-Academy. Wer bisher dennoch Zweifel hegte, ob und wie Mentoring-Programme wirken, der wird nun in einer neuen Studie des Münchener ifo-Instituts eines Besseren belehrt. Die Ergebnisse der mehrjährigen Studie zu  “Rock your Life!” zeigen ausführlich, dass Mentoring wirkt – und wie.

“Rock your Life!” betreibt klassisches Mentoring. Das bedeutet, dass Jugendliche eine Eins-zu-Eins-Betreuung sowie spezielle Trainingsangebote erhalten, die ihnen dabei helfen, sich selbst und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Tipps von Studierenden und Einblicke in Unternehmen sollen Benachteiligungen ausgleichen und das Sichtfeld der Jugendlichen erweitern. Die Studie des ifo-Instituts ist besonders spannend, weil mit einer Kontrollgruppe gearbeitet werden konnte. Da es mehr Bewerberinnen und Bewerber gab, als “Rock your Life!” Plätze anbieten konnte, standen zwei verschiedene Datensätze zur Verfügung. Die zufällig ausgewählte Teilnahmegruppe (110 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der ersten Kohorte und 43 bei der zweiten) konnte direkt mit der Kontrollgruppe (111 bzw. 44) verglichen werden. Dabei wurde ein Index erstellt, der kognitive (Mathematiknote), nicht-kognitive (Geduld und Sozialkompetenzen) sowie motivationale Aspekte (Arbeitsmarktorientierung) beinhaltet.

Die Ergebnisse sind erstaunlich: so ließ sich für die Mathematiknote ein sogenannter „Treatmenteffekt“ von 0,29 bei stark benachteiligten Jugendlichen messen. Die Schulnote besserte sich also aufgrund des Mentorings um 0,29 Standardabweichungen, was laut den Autoren der Studie einer Verbesserung der Mathematiknote um 0,42 Notenschritten entspricht. Bei der Geduld und Sozialkompetenz zeigte sich eine Verbesserung von 0,44 Standardabweichungen und bei der Arbeitsmarktorientierung um 0,29. Insgesamt verbesserten sich die Arbeitsmarktaussichten um satte 0,56 Standardabweichungen. Mit anderen Worten: die Jugendlichen profitierten stark vom Mentoring, was sich nicht nur in den Kennziffern des Index, sondern auch in Angaben zur allgemeinen Lebenszufriedenheit niederschlug. Entscheidend, so die Autoren der Studie, seit dabei, dass das Programm „Ansprechpersonen bereitstellt, mit denen die Jugendlichen über ihre Zukunft sprechen können.“

Neben der Publikation der wichtigsten Ergebnisse im ifo-Schnelldienst können Interessierte auch auf das englischsprachige „Working Paper“ zugreifen, was auf 131 Seiten umfangreiches Datenmaterial aufbereitet. Deutlich unterhaltsamer ist allerdings die Februar-Ausgabe des „Impaktmagazins“ der Wübben-Stiftung, die sich des Themas ebenfalls annimmt und die Aufbereitung der Ergebnisse der Studie mit einem Interview mit Ludger Wößmann und Eindrücken von der August Martin High School in New York ergänzt. „Die Befunde, dass Mentoring die Arbeitsmarktaussichten von stark benachteiligten Jugendlich positiv beeinflussen kann“, so die Wissenschaftler des ifo-Instituts, sei „sehr ermutigend“, nicht zuletzt, weil auch die Kosten-Nutzen-Rechnung eindeutig ausfalle.

Bildungsforschern, insbesondere jenen mit einem dezidiert ökonomischen Ansatz, wird manchmal zum Vorwurf gemacht, die Bedeutung von Kennziffern zu überschätzen und die persönlichkeitsbildende Komponente von Bildung zu vernachlässigen. Wie ungerecht dieser Vorwurf ist, zeigt sich nicht zuletzt an dieser Studie. Indem herausgearbeitet wurde, wie wichtig die Rolle von „Vorbildern“ im Bildungsprozess ist, wurde gerade ein Bildungsverständnis gestützt, welches sich nicht auf die mechanistische Vermittlung von Wissen oder Fertigkeiten beschränkt, sondern den Formungsprozess des Individuums in den Mittelpunkt rückt. Mentorinnen und Mentoren schließen Zukunftsperspektiven auf und vermitteln Jugendlichen ein Gefühl für ihre eigenen Möglichkeiten, welches weit über Schulnoten hinausgeht. Oder, um es mit Hölderlin zu sagen: „Ich habe meine Lust an der Zukunft, begann er endlich wieder, und fasste feurig meine beeden Hände“.

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