EN

Rechtsstaat
Polen: Die Pressefreiheit ist in Gefahr

Regierungsnaher Konzern kauft unabhängige Medien auf
Orlen Konzern Tankstelle
© picture alliance / NurPhoto | Maciej Luczniewski

Offiziell handelt es sich um eine rein wirtschaftliche Transaktion ohne Hinterabsicht. Aber es gibt genügend Gründe zu befürchten, dass der Aufkauf eines großen Anteils der polnischen Regionalzeitungen durch den Energiekonzern Orlen der Beginn einer Politikoffensive ist, an deren Ende die Medienlandschaft im Lande deutlich regierungsfreundlicher aussehen wird. Wie schon zuvor Ungarn droht Polen ein Land ohne namhafte Oppositionsmedien zu werden.

Es war ein Paukenschlag mit Ankündigung: Als die national-konservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) 2015 an die Regierung kam, sorgte sie umgehend dafür, dass das Programm und das Personal staatlicher Medien (Rundfunk, Fernsehen) möglichst strikt regierungstreu wurde. Die privaten Medien ließen sich jedoch schon aus rechtlichen Gründen nicht so leicht auf den erwünschten gemeinsamen politischen Nenner bringen. Zwar gibt es Zeitungen wie die Gazeta Polska Codziennie (verkaufte Auflage 12.400), die die nationalistische Ausrichtung der Regierung gerne unterstützen, aber die sind nicht so auflagenstark wie etwa die Boulevardszeitung Fakt (verkaufte Auflage 215.508), die sich durchaus kritische Meinungen gegenüber der PiS-Partei erlaubt. Einer der Gründe, warum etwa Fakt sehr eigenständig agiert, ist, dass sie einer Tochterfirma der deutschen Springer-Gruppe gehört.

"Die Medien in Polen sollten polnisch sein"

Das war der Regierung von Anbeginn ein Dorn im Auge. Der Vorsitzende der PiS und „graue Eminenz“ der Regierung, Jarosław Kaczyński, hatte immer wieder erklärt: "Die Medien in Polen sollten polnisch sein." Die Strategie der „Polonisierung“ der Medien (verbunden mit dem Hinweis, dass in Frankreich auch alle Medien in französischer Hand seien) passte auch in die tendenziell anti-deutsche Agitation der Regierung in außenpolitischen Fragen. Das Problem bei der „Polonisierung“ der Medien war jedoch immer das „Wie“. Direkte oder auch nur kaschierte Enteignung würde gegen die Verfassung und gegen EU-Rechtsstandards in solch einer eklatanten Weise verstoßen, dass man der Regierung nicht unterstellen darf, dass sie dies je ernstlich erwogen hätte. Zudem hätte ein solches Vorgehen die Regierung in eine geopolitische Zwickmühle geführt. Da die polnische Außenpolitik sowohl die EU, Deutschland und Russland gerne als Feindbild pflegt, baute sie immer auf eine Art Sonderallianz mit den USA, was unter dem gleichgesinnten Präsidenten Trump (nach dem man sogar den Stützpunkt für neu nach Polen verlegte US-Truppen  Fort Trump nennen wollte) auch leicht fiel. So ist zum Beispiel einer der wichtigsten privaten Fernsehsender, TVN, in der Hand der amerikanischen Mediengruppe Discovery. Obwohl TVN gerade in Regierungskreisen als ausgesprochener Oppositionssender verschrien ist, konnte man sich keinen irgendwie gearteten Angriff auf den Sender leisten. Entsprechende Ansagen der recht angriffslustigen amerikanischen Botschafterin Georgette Mosbacher nahm sich die Regierung extrem zu Herzen. Unter einem Präsidenten Biden dürfte die Regierung noch mehr Gegenwind bekommen. Und auf legislativem Weg hätte jeder Angriff auf deutsche Medien auch die amerikanischen betroffen.

Orlen kauft Polska Press

Jetzt hat man anscheinend das Ei des Kolumbus gefunden. Vor einigen Tagen verkündete der polnische Energiekonzern Orlen, dass er die Mediengruppe Polska Press kaufen werde. Diese bringt 20 (von insgesamt 24) der führenden Regionalzeitungen Polens heraus. Dazu gehören rund 120 Wochenzeitschriften und, wichtiger noch, 500 Internetportale. Alleine die lokalen Websites sollen 17 Millionen Nutzer haben. Bisher war Polska Press im Besitz der deutschen Passauer Verlagsgruppe, die ihr Polen-Geschäft aber schon seit einiger Zeit abstoßen wollte. Nominell ist der Käufer Orlen ein privates Unternehmen. Allerdings ist der Staat ein Minderheitsaktionär. Seit die PiS 2015 an die Regierung kam, hat sie immer energisch in die Personalpolitik des Konzerns eingegriffen und u.a. dafür gesorgt, dass ein loyaler Parteianhänger der PiS Geschäftsführer wurde. 2015 übernahm zunächst Wojciech Jasiński, ein ehemaliger PiS-Abgeordneter und Minister für den Staatsschatz, diese Funktion. Seit 2018 leitet Daniel Obajtek, ein mit Kaczyński befreundeter PiS-Politiker und ehemaliger Bürgermeister der Landgemeinde Gmina Pcim, das Unternehmen.

Obajtek betonte nach Bekanntwerden der Übernahme von Polska Press, dass es sich hier um eine rein wirtschaftliche Transaktion handle, die in keiner Weise politische Hintergründe hätte. Orlen würde nur sein Unternehmensportfolio lukrativ erweitern. "Das ist das Gleiche, was große Unternehmen auf der ganzen Welt tun", sagte er auf einer anschließenden Pressekonferenz mit Hinweisen auf ähnliche Medienkäufe durch Amazon und Renault. Kritisch eingestellte Medien und die Opposition sehen das anders: Nur zu gut passe das Ganze in die „Polonisierungsstrategie“ der Regierung und man gebe wenig auf die Versprechen, dass die Unabhängigkeit der Redaktionen gewährleistet bliebe. Adam Szłapka, Vorsitzender der liberalen Partei Nowoczesna, rief umgehend zum Boykott von Orlen auf. Man solle dort im Namen der Pressefreiheit nicht mehr tanken.

Ob das hilft, ist zweifelhaft. Sollten sich die Befürchtungen bewahrheiten, wäre dem Ganzen juristisch – etwa in einem EU-Rechtsstaatsverfahren – schwer beizukommen, obwohl man darin eine schwere Gefährdung der Pressefreiheit vermuten muss. Auch Appelle unabhängiger polnischer Medien (so etwa der Kommentar des Publizisten Bartosz T. Wieliński in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza) an Bundeskanzlerin Merkel, den Verkauf auf deutscher Seite zu unterbinden, scheitern an der Rechtslage. Ein Energiekonzern darf ja prinzipiell Zeitungen kaufen. Eine solche - leider recht erfolgreiche - „Soft-Strategie“ der Vereinnahmung von Medien konnte man schon in Ungarn unter Viktor Orbán beobachten. Hier ging dem Verkauf unabhängiger Medien an regierungsnahe Unternehmer oft das Wegbrechen von Inserenten voraus, die um Staatsaufträge fürchteten – was den legalen Aufkauf in der Regeln einfacher und preisgünstiger machte. Das ist im Falle Polska Press nicht der Fall gewesen sein. Orlen ist eines der potentesten Unternehmen Polens und dürfte der Passauer Verlagsgruppe ein Angebot gemacht haben, das abzulehnen ökonomisch unklug gewesen wäre, wie Beobachter meinen. Der deutschen Verlagsgruppe kann man daher nur schwerlich einen Vorwurf machen.

Misstrauen wächst

Wie dem auch sei: Die Regierung dürfte die Transaktion durchaus mit Wohlwollen als einen großen Schritt hin zur gewünschten „Polonisierung“ betrachten. Ob sie in diesem Fall alles erreicht, was sie erreichen will, weiß man indes noch nicht. Die Umformung der Medien zu einem Sprachrohr der Regierung kommt nicht immer gut an: Man sieht das im Falles des öffentlichen Fernsehsenders TVP (Telewizja Polska), dem nicht nur oppositionsnahe Bürger (Künstler organisierten 2019 einen Boykott), sondern auch große Teile des PiS-Elektorats misstrauisch gegenüber stehen. Der Sender wird immer mehr als bloßes Propagandainstrument wahrgenommen und verliert Zuschauer. Auch die aufgekauften Regionalmedien könnten, so die Meinung vonseiten einiger Ökonomen, markant Leser verlieren. Einige müssten dann geschlossen oder subventioniert werden.

Wirtschaftlich ergebe der Kauf von Polska Press keinen Sinn, meinte kurz nach Bekanntgabe ein Kommentator der großen Tageszeitung Rzeczpospolita. Er wünsche sich ein Gesetz, dass staatsnahen Unternehmen den Kauf unabhängiger Medien untersage. Dass solch ein Gesetz von der gegenwärtigen Regierung käme, glaubt aber niemand.