Polen
Kommunalwahlen in Polen: Stadtluft bleibt frei
Ein halbes Jahr nach den Wahlen zum Sejm, der größeren der beiden Kammern des Parlaments in Warschau, waren die Polinnen und Polen am Sonntag erneut zur Stimmabgabe aufgerufen. Am 7. April fanden Kommunalwahlen statt in Deutschlands östlichem Nachbarland. Abgestimmt wurde über die Zusammensetzung der Kommunalparlamente und die Besetzung der Bürgermeisterposten.
Wie schon im Oktober landete die PiS, die populistisch-traditionalistische Partei Recht und Gerechtigkeit von Jarosław Kaczyński, mit gut 34 Prozent auf Platz eins. Die liberal-konservative Bürgerkoalition des vor knapp vier Monaten als Ministerpräsident vereidigten Donald Tusk erzielte gut dreißig Prozent. Sie konnte das Ergebnis, das sie im Oktober verbucht hatte, damit ungefähr halten. Die Koalitionspartner des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rats indes blieben hinter den Erwartungen zurück. Auf das moderat konservative Parteienbündnis Dritter Weg entfielen immerhin noch gut 14, auf die Linke – auch sie eine Allianz zweier Parteien – allerdings nur noch gut sechs Prozent, ungefähr genauso viel wie auf die rechtspopulistische Oppositionspartei Konföderation.
Wochenlange juristische Winkelzügen
Die Wahl galt als wichtiger Stimmungstest für Tusks seit Mitte Dezember amtierende Koalitionsregierung. Nach den Sejm-Wahlen am 15. Oktober hatte die PiS keinen für die Bildung einer weiteren Regierung unter ihrer Führung notwendigen Koalitionspartner mehr finden können. Nach acht Jahren an den Trögen der Macht galt es, den Gang in die Opposition anzutreten. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte sein Amt nach wochenlangen juristischen Winkelzügen kurz vor Weihnachten an Donald Tusk abgeben müssen, dem es gelungen war, ein weltanschaulich heterogenes Bündnis zwischen seiner Bürgerkoalition und dem Dritten Weg und der Linken zu schmieden.
Wie auch bei Kommunalwahlen in Deutschland sind landesweite Ergebnisse wie die oben genannten nur bedingt aussagekräftig. Die politische, wirtschaftliche und soziale Situation sowie die Popularität des Kandidatentableaus ist von Ort zu Ort verschieden. Das führt in der Regel zu höchst unterschiedlichen Resultaten. Auch im Falle der Abstimmung am 7. April lohnt sich daher der Blick auf ein paar markante Einzelergebnisse.
Magere 34 Prozent in Wrocław
Die PiS hat ihre Hochburgen vor allem auf dem Land. Sie ist in den östlichen Woiwodschaften, den 16 regionalen Verwaltungseinheiten in Polen, stärker als in den westlichen. Die Bürgerkoalition indes hat ihre Domänen in mittleren und großen Städten sowie in den westlichen Woiwodschaften. In neun lag sie diesmal auf Platz eins, in zwei mehr als bei den letzten Wahlen 2018.
In den Großstädten Łódź, Gdańsk, Szczecin, Bydgoszcz, Białystok setzte sich die Bürgerkoalition erwartungsgemäß gleich im ersten Wahlgang am Sonntag durch. In Kraków, der traditionsreichen zweitgrößten Stadt des Landes, kam es für die Tusk-Mannschaft zu einer positiven Überraschung. Dort kommt es zwar zur Stichwahl in zwei Wochen. Aleksander Miszalski, Kandidat der Bürgerkoalition, lag am Sonntag allerdings mit rund 37 Prozent in Führung und verwies den eigentlichen Favoriten, einen unabhängigen Kandidaten, auf die Plätze.
Immer wieder publikumswirksam aneinandergeraten
Souverän verteidigen konnte die Bürgerkoalition dagegen die Hauptstadt Warschau. Amtsinhaber Rafał Trzaskowski erreichte mit satten 57 Prozent deutlich mehr als doppelt so viel an Zuspruch wie sein Herausforderer von der PiS. Sein Amt als Bürgermeister – die polnische Amtsbezeichnung lässt sich auch als Stadtpräsident übersetzen – könnte er allerdings schon bald an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger übergeben. Trzaskowski wird Interesse an der Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten nachgesagt. Gewählt wird das Staatsoberhaupt im kommenden Jahr.
Trotz aller Etappensiege: Die Tusk-Regierung ist nach einem kurzen Honeymoon längst in den Niederungen des Regierungsalltags angekommen. Dritter Weg und Linke sind in familienpolitischen Fragen in letzter Zeit immer wieder publikumswirksam aneinandergeraten. Auch im Wettstreit um Bürgermeister- und Gemeinderatsposten hat das in den zurückliegenden Wochen eine Rolle gespielt. Gerade weibliche Wähler, deren Abstimmungsverhalten im Herbst wesentlich zum Sieg der jetzigen Regierung beigetragen hat, sind den Urnen aus Frust über die Verschleppung der avisierten Reformen diesmal ferngeblieben.
Von Polen ging eine Verheißung in die Welt
Bei einem Bündnis bestehend aus drei Partnern, die ihrerseits aus mehreren Einzelparteien bestehen, sind weitere Konflikte absehbar. Stärker als bislang könnte es zumindest in der verbleibenden Zeit bis zu den Europa-Wahlen am 9. Juni heißen: Arbeiten an der eigenen Profilschärfung, und wenn auch der Haussegen am Kabinettstisch in eine noch stärkere Schieflage gerät. Freuen dürfte sich dann vor allem die PiS. Von Donals Tusk ist deshalb nun professionelles Regierungsmanagement verlangt. Von Polen ging Ende 2023 eine Verheißung aus in die Welt: Der Populismus ist besiegbar, ganz klassisch, auf dem Weg einer demokratischen Abstimmung. Diese Verheißung darf ihre Leuchtkraft nicht so schnell wieder verlieren.