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Slowakei
Schicksalswahl in der Slowakei: Wird sich das gespaltene Land von der europäischen Familie trennen?

Die Flagge der EU und die slowakische Flagge

The flag of the EU and the Slovakian flag.

© picture alliance / dpa | Rainer Jensen

Im September hatte die Partei SMER-SD (deutsch: „Richtung – Sozialdemokratie“) des linkspopulistischen und russlandfreundlichen Robert Fico die slowakischen Parlamentswahlen für sich entschieden. Im Oktober wurde Fico als Ministerpräsident vereidigt. Er ist die große personelle Konstante der slowakischen Politik der letzten drei Jahrzehnte. Bereits dreimal hatte er den Posten des Regierungschefs inne, mit Unterbrechungen. Gleich zu Beginn seiner vierten Amtszeit brachte er nun ein Paket von Maßnahmen auf den Weg, das vor allem dem Ziel der Festigung seiner Macht dienen sollten.

Robert Fico Ministerpräsident der Slowakei

Robert Fico, Ministerpräsident der Slowakei.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Jakob Ratz

Im Weg stand ihm dabei eine Frau: die über ein verfassungsrechtlich verankertes Vetorecht verfügende liberale Staatschefin Zuzana Čaputová. Deren Amtszeit endet im Juni dieses Jahres. Über ihre Nachfolge wird derzeit entschieden. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 23. März erzielte keiner der elf Kandidaten – darunter diesmal keine einzige Frau – die erforderliche absolute Mehrheit. Ficos Kandidat Peter Pellegrini war eigentlich als Favorit in die Abstimmung gegangen. Mit gut 37 Prozent landete er überraschend nur auf Platz zwei. Mit 42,5 Prozent als erster durchs Ziel ging der von der Opposition, darunter auch die liberale Partei Progressive Slowakei, unterstützte pro-westliche Ivan Korčok. Beide treffen nun in der Stichwahl am 6. April aufeinander. Sie müssen jetzt die Wähler der ausgeschiedenen neun Kandidaten auf ihre Seite ziehen. Einfach wird das für keinen von ihnen. Auch in die zweite Runde geht Pellegrini allerdings als Favorit.

Hat die Slowakei noch die Chance, ein pro-europäisches und demokratisches Land zu bleiben?

Déjà-vu vom Herbst: wieder eine Wahl zwischen Populismus und Liberalismus

Mit Pellegrini und Korčok treten zwei Kandidaten gegeneinander an, die die tiefe Gespaltenheit der Slowakei symbolisieren: Pellegrini, vormals Premierminister, ist Parlamentspräsident und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Hlas (auf Deutsch „Die Stimme“). In Sachen Vertrauenswürdigkeit lag er in den Umfragen meistens vorn. Als Kandidat des Regierungslagers steht er hinter den Zielen und Maßnahmen von Premier Fico. Dazu gehört vor allem die pro-russische Rhetorik im Kontext des Kriegs gegen die Ukraine. Pellegrini spricht sich klar gegen die Lieferung weiterer Waffen und für die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Russland aus. Seinem Konkurrenten Korčok wirft er vor, die Slowakei in den Krieg hineinziehen zu wollen. Pellegrinis Wahlkampf durchziehen Desinformationskampagnen und Verschwörungsnarrative. Auch Transparency International hat Alarm geschlagen.

Peter Pellegrini, Parlamentspräsident und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei

Peter Pellegrini, Parlamentspräsident und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Hlas.

© picture alliance / Jakub Dospiva/CTK/dpa | Jakub Dospiva

Korčok ist Karrierediplomat und ehemaliger Außenminister. Er tritt als unabhängiger Kandidat an, der von der gesamten Opposition mit Ausnahme der rechtskonservativen Bewegung Slowakei (früher Oľano) des ehemaligen Ministerpräsidenten Igot Matovič unterstützt wird. Korčok hält die Fahne des Liberalismus und der Demokratie hoch, er macht sich für eine pro-europäische und pro-westliche Ausrichtung seines Landes stark. Die Angriffe auf Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit durch die Regierung Fico hat er klar benannt und verurteilt. Immer wieder musste er sich im Wahlkampf gegen Desinformationskampagnen zur Wehr setzen. Die eigene Kampagne hat er dabei mit fairen Mitteln bestritten. In der Stichwahl hat Korčok nur dann eine Chance, wenn er sein Profil als überparteilicher Kandidat schärft und vor allem die Wähler des ausgeschiedenen Štefan Harabín gewinnt.

Ivan Korčok

Der unabhängige Kandidat Ivan Korčok. Er macht sich für eine pro-europäische und pro-westliche Ausrichtung seines Landes stark.

© picture alliance / CTK | Vaclav Salek

Harabín, ehemaliger Vorsitzender des Verfassungsgerichts, hatte sich als Vertreter eines dritten Wegs inszeniert und war auf Äquidistanz sowohl zu Pellegrini als auch zu Korčok geblieben. Er war bereits 2019 angetreten, bei den Wahlen, aus denen Čaputová als Siegerin hervorgegangen war. Das Ergebnis hatte er in Zweifel gezogen, was für allgemeines Kopfschütteln gesorgt hatte. Diesmal, fünf Jahre später, hatte er angekündigt, die Slowakei im Falle eines Wahlsiegs zu einem neutralen Staat nach Schweizer Vorbild zu machen. Mit rund zwölf Prozent landete der Topjurist auf Platz drei. Mit seinen Neutralitätsphantasien stand er nicht allein da. Die Hälfte der Kandidaten hatte den Austritt des Landes aus NATO und EU sowie den Stopp der militärischen Unterstützung für die Ukraine im Forderungskatalog. Für die Stimmung im Land ist das repräsentativ – fast jeder zweite Slowake wünscht sich Ähnliches.

Štefan Harabín

Štefan Harabín, ehemaliger Vorsitzender des Verfassungsgerichts.

© picture alliance/AP Photo | Petr David Josek

Wahlkampf im Schatten einer Vereinnahmung des Staates

Die im Eiltempo vorgenommenen Maßnahmen der Regierung Fico waren das prägende Thema des Wahlkampfs. In den fünf Monaten seiner Amtszeit ist es dem Premier gelungen, die Slowakei in eine gefährliche Nähe zu Ungarn zu manövrieren. Dessen autoritärer Premier Viktor Orbán ist Ficos Vorbild und Verbündeter. Ziel ist es, die absolute Macht zu erlangen, sich selbst und seine Mitarbeiter von vergangenen Skandalen und Strafverfolgungen zu entkoppeln, alle Schlüsselpositionen im Land zu kontrollieren und sicherzustellen, dass dieser Zustand so lange wie möglich anhält.

Unmittelbar nach der Vereidigung der Regierung Fico im Oktober wurde zunächst die Führung der slowakischen Polizei ausgetauscht. Es folgte eine Reform des Strafrechts, die mit einer Absenkung des Strafmaßes für Korruptionsdelikte und mit der Abschaffung der für entsprechende Fälle zuständigen Sonderstaatsanwaltschaft begann. Ein Teil der Novelle wurde vom slowakischen Verfassungsgericht auf Initiative von Präsidentin Čaputová ausgesetzt. Trotzdem wurde die Sonderstaatsanwaltschaft abgeschafft, was nach Ansicht der EU einen Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit darstellt, weshalb die Europäische Kommission der Slowakei mit der Aussetzung von Mitteln aus dem Kohäsionsfons droht. Aber auch aus der Zivilgesellschaft gab es Widerstand; wochenlang protestierten zehntausende Menschen im ganzen Land gegen die Maßnahme. Geholfen hat beides nicht. Ficos Aktivismus ist derweil ungebremst. Kürzlich änderte die Regierung in einer Sitzung den Status des slowakischen Geheimdienstes und setzte Pavol Gašpar, den Sohn des ehemaligen, wegen Korruption strafrechtlich verfolgten Polizeipräsidenten, an die Spitze. Durch die Statusänderung war die Bestätigung der Personalie durch die Präsidentin nicht mehr nötig – ein klarer Punktsieg für Fico im Duell mit der liberalen Staatschefin.

Ins Visier des Premiers geriet schnell auch die Medienlandschaft. Die meisten unabhängigen Medien bezeichnet die Fico-Regierung als feindlich. Das Gespräch mit ihnen verweigert sie. Enormen Druck übt sie auf den einschaltstärksten Privatsender des Landes, auf TV Markiza, aus. Das Ziel: kritische Berichterstattung über die Regierungspolitik komplett zu unterbinden. Auch der öffentlich-rechtliche Sender des Landes, Radio und Fernsehen Slowakei (RTVS), soll abgeschafft werden. Ziel ist die Gründung eines neuen Senders, dessen Leitung, Programmgestaltung und politische Ausrichtung unter dem direkten Einfluss der Regierung steht. Darüber hinaus dämonisiert die Regierung immer wieder die Arbeit von NGOs und attackiert die LGBTIQ-Community.

Eine „souveräne Außenpolitik“ als Hauptthema

Schon vor den Parlamentswahlen im Herbst kündigte Fico an, dass er im Falle einer Wahl zum Regierungschef keine einzige Patrone mehr in die Ukraine schicken würde. Wohlmeinende vermuteten dahinter vor allem Wahlkampfrhetorik, mit der er seine Stammwähler bei Laune halten wollte. Man hoffte, dass er, einmal im Amt, wieder gemäßigte, die Notwendigkeiten der europäischen und nordatlantischen Bündnispolitik achtende Töne anschlagen würde. Das war ein Irrtum. Nicht nur, dass die offizielle staatliche Hilfe für die Ukraine gestoppt wurde (mit Ausnahme der Lieferung von Waffen durch private Unternehmen). Die Regierungsmitglieder mit ihrem Chef an der Spitze begannen, pro-russische Narrative zu verbreiten, sie schürten Kriegsängste und machten sich für eine Verbesserung der Beziehungen mit dem Kreml stark. Die Außenpolitik rückte in den Mittelpunkt des Wahlkampfes, als sich der slowakische Außenminister mit seinem russischen Kollegen Lavrov traf und eine engere Zusammenarbeit der beiden Ländern vereinbarte. Das Foto des Handschlags der beiden Chefdiplomaten ging um die Welt. Zeitgleich verbreitete Fico die Verschwörungstheorie, dass die NATO Truppen in die Ukraine schicken wolle, darunter auch slowakische Kontingente.

In der letzten Phase des Wahlkampfes tauchten im Stadtbild von Bratislava und an anderen Orten Plakate auf, über deren Auftraggeber nur gemutmaßt werden kann. Sie stellten Korčok als Kriegstreiber dar. Sein Widersacher Pellegrini warnte, dass die Slowakei mit einem Staatschef Korčok in einen von der NATO provozierten Dritten Weltkrieg verwickelt würde. Er selbst stehe für Frieden und Stabilität im Rahmen einer „souveräner Außenpolitik“. Mit diesem Begriff wehrte man sich gegen eine vermeintliche Vereinnahmung durch die EU. Der westliche Nachbar Tschechien reagierte und setzte die regelmäßig stattfindende gemeinsame Kabinettssitzungen auf unbestimmte Zeit aus; in Prag hält man die slowakische Regierung für ein Sicherheitsrisiko.

Vor der Stichwahl am ersten April-Samstag dürfte sich der Wahlkampf noch einmal zuspitzen. Pellegrini wird die Aggressivitätsschraube weiter anziehen, während Korčok auch weiterhin versuchen dürfte, mit diplomatischem Gespür und wohltemperiertem Tonfall die unentschiedenen Wähler für sich zu gewinnen. Die Wahlbeteiligung war mit rund 52 Prozent relativ niedrig. Das slowakische Staatsoberhaupt wird zwar direkt gewählt, hat aber eine eher repräsentative Funktion. Traditionell erreicht seine Inhaberin bzw. sein Inhaber aber hohe Popularitätswerte und hat daher einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Das stärkste Schwert ist das Vetorecht. In der Hand Korčoks könnte es die Slowakei davor bewahren, vollends in die Fänge des linkspopulistischen Premiers zu geraten. Falls jedoch Pellegrini gewinnt, dürfte er zum Handlanger eines Regierungschefs werden, der für sich die absolute Macht anstrebt.

Die Slowaken sind es gewohnt, ein Gegengewicht zur Regierung an die Staatsspitze zu wählen. Es wäre wünschenswert für die EU und den Westen insgesamt, wenn sie sich in diesem Punkt am Tag der Stichwahl treu bleiben.