Myanmar
“Aung San Suu Kyi soll politisch kaltgestellt werden”
Ein Gericht in Myanmar hat die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Richter werfen der Friedensnobelpreisträgerin vor, während des Wahlkampfes gegen Covid-19-Regeln verstoßen und außerdem zum Aufruhr aufgerufen zu haben. Beobachter kritisieren die Verfahren als politisch motiviert. Frederic Spohr, Projektleiter Thailand und Myanmar der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, analysiert das Urteil und seine Auswirkungen.
Für was genau wurde Aung San Suu Kyi verurteilt?
Zum einen dafür, dass ihre Partei, die National League for Democracy, einen Brief an internationale Organisationen verschickt hat, die Militärjunta nicht anzuerkennen. Die Richter werteten das als Aufruf zum Aufruhr. Zweitens soll sie während des Wahlkampfes 2020 gegen Corona-Auflagen verstoßen haben. In einem Video von dem vermeintlichen Verstoß steht sie mit einer doppelten Maske und mit deutlichem Abstand zu den umherstehenden Menschen am Straßenrand. Sie winkt einer vorbeifahrenden Fahrzeugkolonne.
Die Urteile sind die ersten in einer Reihe von Verfahren, die das Militär nach dem Putsch am 1. Februar gegen Aung San Suu Kyi eröffnet hat. Was wird Aung San Suu Kyi noch vorgeworfen?
Insgesamt hat die Junta rund ein Dutzend Anklagen gegen sie erhoben, darunter Korruption, Wahlfälschung oder einen Verstoß gegen das Telekommunikationsgesetz. Rechnet man alle Höchststrafen auf, könnte die 76-Jährige zu mehr als einem Jahrhundert Haft verurteilt werden.
Wie laufen die Prozesse ab?
Die Verfahren laufen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aung San Suu Kyi steht derzeit unter Hausarrest in der Hauptstadt Naypyidaw. Die Prozesse finden in einem umgebauten Wohnzimmer des Nachbarhauses statt. Die fünf Anwälte von Aung San Suu Kyl sind ihre einzigen Kontakte zur Außenwelt. Die Junta hat aber allen fünf Verteidigern untersagt, über das Verfahren öffentlich zu sprechen. Als Begründung wird angeführt, dass dies „das Land destabilisieren“ könnte. Auch ausländische Diplomaten durften sie nicht besuchen.
Für Beobachter sind die Vorwürfe politisch motiviert
Die Junta muss legitimieren, warum sie die populäre Politikerin entmachtete und nun weggesperrt. Aung San Suu Kyi genießt in weiten Teilen der Bevölkerung hohes Ansehen, insbesondere bei den Burmesen, also der ethnischen Mehrheit des Landes. Bei den Wahlen 2015 und 2020 konnte Aung San Suu Kyi und ihre Partei, die National League for Democracy (NLD), deutlich besser abschneiden als die Proxy-Parteien des Militärs. Aung San Suu Kyi soll nun politisch endgültig kaltgestellt werden. Bei ihrem 15-jährigen Hausarrest, der 2010 endete, durfte Aung San Suu Kyi sich noch ab und an die Außenwelt wenden. Es wäre überraschend, wenn die Junta ihr das künftig noch gestattet.
Welche Bedeutung hat Aung San Suu Kyi und ihre ehemalige Partei für die Opposition?
Mittlerweile hat sich eine Gegenregierung gebildet, die von den Vertretern ihrer Partei, also der NLD, dominiert wird. Dieser Schattenregierung gehören aber auch Vertreter einiger ethnischer Parteien an. Wie gut diese Allianz aus Vertrauten von Aung San Suu Kyi und Vertretern der Minderheiten funktioniert, dürfte maßgeblich über den Erfolg dieser Gegenregierung entscheiden. Die Schattenregierung hat sich allerdings von der Strategie von Aung San Suu Kyi verabschiedet. Die Volksheldin predigte stets Gewaltverzicht. Die Schattenregierung hat mittlerweile zum bewaffneten Kampf gegen das Militär aufgerufen.
Wie ist die Situation im Land?
Das Land hat sich seit dem Putsch extrem destabilisiert. Zehntausende Staatsangestellte, die sich dem zivilen Ungehorsam angeschlossen haben, wurden entlassen und fehlen nun in der staatlichen Verwaltung. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg ist abermals aufgeflammt. Einige ethnische Rebellen versuchen die turbulente Zeit zu nutzen, um ihren Einfluss auszubauen. Nach dem die friedlichen Proteste niedergeschlagen wurden, haben sich viele junge Menschen in den Untergrund begeben und kämpfen nun mit Waffen gegen das Militär. Im ganzen Land kommt es fast täglich zu Bombenanschlägen, Mordattentaten und Gefechten.
Ist nach dem Urteil eine Protestwelle zu erwarten?
Das Urteil dürfte die meisten Menschen in Myanmar nicht überraschen. Es kommt außerdem ohnehin fast täglich zu Protesten und zwar über das ganze Land verteilt. Es handelt sich dabei um kleine Flashmobs, die nur kurz zusammenkommen und sich dann wieder auflösen. Alles andere wäre zu gefährlich. Ich rechne deswegen nicht, dass es wieder zu Massenprotesten kommt, so wie kurz nach dem Putsch.
Seit dem Putsch wurden mehr als 1300 Menschen getötet. Laut dem myanmarischen Hilfsverein für politische Gefangene sind außerdem mehr als Zehntausend Menschen zwischenzeitlich festgenommen worden.
Wie brutal die Armee vorgeht, zeigte sich erst am Sonntag. Mit einem kleinen Truck rasten Sicherheitskräfte von hinten in einen kleinen Protestmarsch hinein. Anschließend sprangen die Sicherheitskräfte von dem Fahrzeug und schossen auf die Demonstranten. Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurden dabei fünf Menschen getötet und 15 festgenommen.