EN

Südkorea
Südkoreas Staatskrise offenbart die Gefahren des Rechtspopulismus

Etwa 30 Anhänger des abgesetzten Präsidenten Yoon Suk Yeol protestieren mit einem Sitzstreik vor seinem Amtssitz, um seine Verhaftung durch die Polizei zu verhindern. Dabei kommt es zu Zusammenstößen mit Journalisten, die über die Szene berichten, und mit Polizeibeamten, die versuchen, den Protest in Seoul aufzulösen,

Etwa 30 Anhänger des abgesetzten Präsidenten Yoon Suk Yeol protestieren mit einem Sitzstreik vor seinem Amtssitz, um seine Verhaftung durch die Polizei zu verhindern. Dabei kommt es zu Zusammenstößen mit Journalisten, die über die Szene berichten, und mit Polizeibeamten, die versuchen, den Protest in Seoul aufzulösen.

© picture alliance / NurPhoto | Chris Jung

Der suspendierte Präsident Yoon Suk Yeol versucht mit radikalen Taktiken, demokratische Institutionen zu untergraben und das System zu destabilisieren. Sein Vorgehen zeigt, wie schnell aus einer radikalen Minderheit eine Bedrohung für demokratische Werte werden kann – eine Warnung für Demokratien weltweit.

Noch vor wenigen Wochen hätten die meisten Südkoreaner eine solche Konfrontation für unmöglich gehalten: Am Freitagmorgen standen sich in der Residenz des suspendierten Staatschefs Yoon Suk Yeol Beamte der Strafverfolgungsbehörden und Mitarbeiter des offiziellen Sicherheitsdienstes des suspendierten Präsidenten gegenüber.

Die Ermittler der Anti-Korruptionsbehörde wollten Yoon verhaften, um ihn wegen der kurzzeitigen Ausrufung des Kriegsrechts in der Nacht auf den 4. Dezember zu vernehmen. Doch der Sicherheitsdienst, und vorübergehend wohl auch Soldaten, verwehrten den Zugriff. Die Ermittler zogen sich zurück, doch die Konfrontation könnte sich schon bald wiederholen.

Der Showdown zwischen den Staatsorganen zeigt, wie fragil Südkoreas Demokratie derzeit ist. Präsident Yoon und seine Anhänger arbeiten daran, diese Risse zu vertiefen. Laut Umfragen unterstützen Yoon weniger als 20 Prozent der Südkoreaner. Dennoch gelingt es ihm und seiner Gefolgschaft, das politische System zu blockieren.

Die Entwicklungen in Seoul zeigen, wie aus einer rechtspopulistischen, radikalen Minderheit eine ernste Gefahr für demokratische Gepflogenheiten und die Grundrechte der Bürger werden kann. Das gilt besonders, weil sich erhebliche Parallelen zwischen Yoons Taktik und Strategie und anderen Rechtspopulisten rund um den Globus zeigen:

Alleinvertretungsanspruch: Wie viele andere Rechtspopulisten behaupten Yoon und seine Anhänger, dass sie die einzig wahren Vertreter des Volkes sind. Wer gegen sie ist, wird automatisch zum Feind erklärt. Dass in einer pluralistischen Gesellschaft Individuen unterschiedliche Interessen und Werte haben, können oder wollen sie nicht wahrhaben. Für Yoon besteht die Opposition aus staatsfeindlichen Kräften, die mit Nordkorea kooperieren.

Manipulation durch soziale Medien: Viele Südkoreaner vertrauen traditionellen Medien nicht mehr. Influencer auf YouTube sind zur wichtigen Informationsquelle geworden. Yoons Anhänger folgen erzkonservativen Influencern wie Pastor Jeon Gwang Hoon, der unter anderem zum Widerstand gegen Yoons Verhaftung aufrief.  Einige Beobachter glauben sogar, dass auch Yoon sich von den Inhalten der rechten Influencer hat beeinflussen lassen.

Angriff auf Institutionen: Rechtspopulisten weltweit untergraben das Vertrauen in Wahlen. Auch Yoon folgt diesem Muster. Auf Pro-Yoon-Kundgebungen zeigten Anhänger Banner mit der Aufschrift "Stop the Steal". Trotz fehlender Beweise nutzte Yoon Betrugsvorwürfe, um das Kriegsrecht zu rechtfertigen. Interessant ist, dass Yoon während seiner Präsidentschaft den vermeintlichen Wahlbetrug nicht thematisiert hat. Erst seitdem er politisch mit dem Rücken zur Wand steht, hat er dieses Narrativ des rechten Flügels seiner Partei aufgegriffen.

Die falschen Retter der Freiheit: In seinen Ansprachen vor und nach der Ausrufung des Kriegsrechts stilisiert sich Yoon immer wieder als der Retter und "Beschützer der liberalen Demokratie". 35-mal verwendete er das Wort "Freiheit" bei seinem Amtsantritt. Tatsächlich missachtet er jedoch grundlegende Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus. Die Ausrufung des Kriegsrechts mit fadenscheinigen Begründungen sowie die Weigerung, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, belegen dies eindrucksvoll. Auch Populisten wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sehen sich als Beschützer der Demokratie - unterwandern aber eigentlich ihre Institutionen.

Wölfe im Schafspelz: Yoon wurden schon länger autoritäre Tendenzen vorgeworfen. Er schränkte die Pressefreiheit ein und besetzte Schlüsselpositionen mit Hardlinern, die die Militärdiktatur von Park Chung Hee verharmlosten. Ein Großteil der Beobachter verortete ihn jedoch als Demokraten, wohl auch, weil er die Bedeutung der liberalen Demokratie stets hervorhob. Erst mit der Ausrufung des Kriegsrechts wurde sein zweifelhaftes Demokratieverständnis für alle deutlich. Der Fall Yoon zeigt, wie schnell sich Politiker, die eine gewisse Nähe zu Hardlinern haben, selbst ihr autoritäres Gesicht zeigen können.

Bisher haben sich Südkoreas demokratische Institutionen in Südkorea einigermaßen resilient gezeigt. Die politischen Gegner scheinen außerdem vor Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zurückzuschrecken. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, dass Gerichte und Ermittler die Ausrufung des Kriegsrechts fair aufarbeiten können. Die Wahrscheinlichkeit, dass Yoon letztendlich vom Verfassungsgericht des Amtes enthoben wird, ist groß.

Yoon und seine radikale Gefolgschaft haben es zwar geschafft, das System zu blockieren, aber nicht zu sprengen. Die Mehrheit der Südkoreanerinnen und Südkoreaner wünscht sich eine echte liberale Demokratie - diese werden sie in den kommenden Monaten weiter verteidigen müssen.

 

Frederic Spohr leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul.

Bei Medienanfragen kontaktieren Sie bitte:

Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
Telefon: + 4915202360119