Policy Roadmap
Deutsch-amerikanische Beziehungen strategisch denken
Der Status Quo im transatlantischen Verhältnis
Die Vereinigten Staaten sind Deutschlands wichtigster Handelspartner und militärischer Verbündeter, Garant der europäischen Sicherheit sowie ein bedeutender Partner in der Diplomatie. Umso mehr war die Tonlage der Trump-Administration in Bezug auf die deutsch-amerikanische Partnerschaft für viele auf deutscher Seite ein Schock. Trumps Kritik an der transatlantischen Partnerschaft war jedoch kein bizarres Produkt persönlicher Ansichten; sie stellte das Sinnbild einer zunehmend bedeutsamen Denkrichtung in der amerikanischen Politik dar – und zwar von Republikanern wie Demokraten.
Wie auch immer die US-Präsidentschaftswahlen 2024 ausgehen werden, wird die Bundesrepublik in jedem Fall mit streitigen transatlantischen Diskussionen rechnen müssen. Die Verhandlungsposition Berlins bleibt dabei vergleichsweise ungünstig: die Bundesrepublik hat schlicht weit mehr zu verlieren als die Vereinigten Staaten. Vor diesem Hintergrund – unabhängig davon, ob die Deutschen dies als gerecht empfinden oder nicht – ist es nur verantwortungsvoll, wenn deutsche Entscheidungsträger intensiv daran arbeiten, eine weitere Entfremdung zu verhindern und wieder stabilere Beziehungen herzustellen.
Deutschland wird dem allgemein zunehmenden Isolationismus in den USA entgegenwirken müssen, indem es sich als fähiger, souveräner Partner auf Augenhöhe erweist, sowohl das außenpolitische Engagement als auch die eigenen Fähigkeiten betreffend. Berlin muss seine Militär-, Handels- und Energiestrategien überdenken und besser an die aktuellen Herausforderungen anpassen. Durch diese Neuausrichtung kann Deutschland das Image des Trittbrettfahrers ablegen, zu einem glaubwürdigen Partner für die USA aufsteigen und seine Verhandlungsposition gegenüber Washington verbessern.
Worauf sich Deutschland einstellen muss: Auswirkungen der transatlantischen Entfremdung
Eine weiterhin zunehmende Isolation der USA könnte Europa vor drängende Sicherheitsanforderungen stellen, denen es kurz- bis mittelfristig schlichtweg nicht nachkommen kann, weder militärisch noch politisch. Ein Rückzug der US-Unterstützung für die Ukraine könnte Europa zwingen, die Waffenlieferungen und Finanzhilfen eigenständig zu tragen. Europa bleibt auf fragile maritime Lieferketten angewiesen, die bislang von den USA geschützt wurden. Ein Entzug amerikanischer Sicherheitsgarantien würde die geografischen Schwächen der NATO-Länder weiter verschärfen und das Risiko einer nuklearen Proliferation erhöhen.
Auch in den Handelsbeziehungen ist Deutschland im Falle eines Handelsrückgangs einem größeren wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt. Wenn die Vereinigten Staaten sich wirtschaftlich isolieren, drohen Deutschland erhebliche Handelsverluste und der Verlust einer Partnerschaft, die Zugang zu strategischen Ressourcen wie Energie, seltenen Erden, Finanzkapital und einem innovativen Technologiesektor bietet, die die Resilienz Deutschlands stärken könnten. Das ist vor allem angesichts der neuen Herausforderungen problematisch: eine zum Teil durch energiepolitische Entscheidungen bedingte Deindustrialisierung, der besorgniserregende Rückstand im Bereich der technologischen Innovation sowie die alternde Steuerbasis, die das Wirtschaftswachstum bremst, während die Kosten des Sozialstaats steigen.
In Anbetracht dieser außerordentlichen Risiken muss Deutschland Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ein Rückzug der USA unattraktiv bleibt und die amerikanischen Partner das Vertrauen in eine weitere Zusammenarbeit wiedergewinnen. Dazu braucht es einen strategischen Ansatz der darauf setzt, dass die nationalen Interessen der USA am besten dadurch geschützt werden, dass der Westen gemeinsam handelt. Eine Betonung gemeinsamer Werte wird nicht mehr ausreichen.
Bisherige Schritte in die richtige Richtung und verbleibende Mängel
Die europäischen Staaten erkennen – manche schneller als andere – dass sie lernen müssen, in Zukunft auf eigenen Füßen zu stehen.
- Auf deutscher und europäischer Ebene war in den letzten anderthalb Jahren eine bemerkenswerte Konsolidierung des NATO-Konsenses zu beobachten. Mehr als zwei Drittel der Mitglieder erfüllen nun das 2 %-Ziel. Die wachsende Zustimmung in der öffentlichen Meinung zur NATO ist mit der geografischen Erweiterung des Bündnisses um Schweden und Finnland einhergegangen. Die Ostflanke des Bündnisses ist durch erhöhte Truppenstärke weiter gestärkt worden. Nach jahrelangen gravierenden technischen Defiziten hat die Bundesregierung für 2022 ein Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt, was erhebliche Investitionen in kooperative Verteidigungsprojekte, die Beschaffung von modernisierter Hardware und die beschleunigte Bereitstellung von militärischer Ausrüstung für die Ukraine ermöglicht hat.
- Berlin erkennt auch zunehmend die geopolitischen Risiken einer Abhängigkeit von China. Die im Juli 2023 veröffentlichte China-Strategie fordert, China auch als Konkurrenten und Systemrivalen zu sehen, chinesische Investitionen strenger zu prüfen und Anreize für deutsche Unternehmen zu schaffen, sich aus China zurückzuziehen. Zudem zeigt Berlin allgemein mehr Selbstbewusstsein gegenüber Peking, etwa durch die Durchquerung der Straße von Taiwan mit zwei Kriegsschiffen.
- Im Energiesektor hat Deutschland seit dem russischen Angriffskrieg seine Abhängigkeit von russischer Kohle, Öl und Gas drastisch verringert. Die transatlantische Energiepartnerschaft mit den USA wurde durch den Bau neuer Flüssigerdgas-Terminals und erhöhte LNG-Importe gestärkt. Um die Defizite von 2022 auszugleichen, setzte Deutschland verstärkt auf heimische Kohle und verlängerte die Laufzeiten der Kernkraftwerke bis 2023. Zudem wird weiterhin in erneuerbare Energien investiert, um die Klimaneutralität zu erreichen.
Auch wenn dies Schritte in die richtige Richtung sind, besteht im Rahmen der Zeitenwende noch weiterer Handlungsbedarf.
- Trotz Fortschritten in der Verteidigungspolitik mangelt es Berlin an der nötigen Entschlossenheit, den Versprechen der Zeitenwende gerecht zu werden. Obwohl Deutschland mehr als 14 Milliarden Euro für die Ukraine ausgegeben hat, liegt es mit seinen anteiligen Ausgaben auf Platz 15 unter den westlichen Verbündeten. Der neue Haushalt der Ampelkoalition sieht eine Halbierung der Ukraine-Unterstützung für das nächste Haushaltsjahr vor und peilt nur ein Fünftel der vom Verteidigungsminister geforderten Mittelaufstockung an. Besonders besorgniserregend ist, dass Berlin noch keine nachhaltige Finanzierungsstrategie für seine erneuerten Verteidigungszusagen entwickelt hat: Die Mittel im Sondervermögen werden bis 2027-2028 vollständig aufgebraucht sein.
- Im Handel könnte Deutschlands typische Risikoaversion, trotz anerkennenswerter Anpassungen des Regierungsansatzes, die notwendigen Schritte zur langfristigen Risikominderung behindern. China bleibt Deutschlands zweitgrößter Handelspartner und der größte Markt für die Automobil- und Chemieindustrie. Berichten zufolge wurde Berlins China-Strategie im Vergleich zu einem früheren Entwurf abgeschwächt. Deutschland gehörte auch zu den wenigen Ländern, die sich gegen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Zölle auf chinesische E-Fahrzeug-Importe wehrten.
- Im Bereich der Energiepolitik bleibt Deutschland aufgrund abgeschalteter Kernkraftwerke und des langwierigen Prozesses der Energiewende zurzeit ohne eine praktikable autonome Energielösung. Gleichzeitig fließt, obwohl sich die Bundesrepublik von den russischen Direktlieferungen abgekoppelt hat, weiterhin deutsches Geld in die russische Wirtschaft, da Energie aus Russland über Drittstaaten bezogen wird.
The road ahead: Was Deutschland jetzt tun sollte
1. Sicherheit
Deutschland muss seine militärische Fähigkeit und Bereitschaft verbessern, um das Versprechen der Zeitenwende einzulösen. Dabei muss ehrgeizig bei der Reform der Bundeswehr, vorausschauend bei Fragen der Industriepolitik und klug bei der Finanzierung vorgegangen werden.
- Zum einen muss Deutschland bereit sein, langfristig in die Modernisierung der Streitkräfte zu investieren und seine Verpflichtungen gegenüber der NATO einzuhalten. Zum anderen sollte die derzeit vorhandene Ineffizienz in der Verwaltung abgebaut werden, sowohl aus finanzpolitischer Vorsicht als auch zur Wahrung des demokratischen Mandats.
- Zudem muss die Bundesregierung einen Finanzierungsplan entwerfen, um den notwendigen Umbau der Bundeswehr zu finanzieren, ohne dabei die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse abzuschaffen oder Sozialausgaben als losgelöst von den Sicherheitsbedürfnissen zu betrachten.
- Um Ineffizienz zu reduzieren, sollte ein nationaler Sicherheitsrat oder ein zentrales Entscheidungsgremium im Verteidigungsministerium eingerichtet werden, an Stelle der drei aktuell miteinander konkurrierenden Machtzentren. Das würde zu einer proaktiven Führung beitragen, die Beschaffung in Friedenszeiten effizienter gestalten lassen und Deutschland im Ernstfall handlungsfähiger machen. In diesem Sinne sollten auch die drei Ämter der Bundeswehr für Personal, Beschaffung und Infrastruktur gestrafft bzw. abgeschafft werden.
- Die Regierung sollte Bemühungen, das Heer kurzfristig mobilisierungsfähig zu machen, unterstützen. Um die Einsatzbereitschaft und die Führungsstrukturen der Bundeswehr unter realen Bedingungen zu testen und militärische Beziehungen zu Verbündeten zu festigen, sollte Deutschland seine Teilnahme an gemeinsamen Ausbildungsübungen bzw. an ausgewählten NATO-Missionen, wie z.B. Operationen zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika, verstärken.
- Deutschlands nationale Sicherheitsstrategie muss das Bewusstsein für strategische Ressourcen und Produktionskapazitäten einbeziehen. Zu diesem Zweck sollte Berlin weiterhin langfristige Strategien entwickeln, um seine industriellen Kapazitäten zu stärken und kritische Lieferketten sorgfältig überdenken und ggf. umstrukturieren, um sicherzustellen, dass Berlin im Falle eines Konflikts vorbereitet ist.
- Schließlich sollte die deutsche Zivilgesellschaft sich bemühen, ein neues Paradigma für selbstbewusste und verantwortungsvolle militärische Führung und Wehrdienst zu schaffen. Nur so kann die Bundeswehr ihre Rekrutierungsdefizite überwinden und ihre Einsatzbereitschaft ernsthaft stärken.
2. Handel
Auch im Handel sollte Deutschland einige seiner bisherigen Praktiken überdenken, wenn es seine transatlantischen Beziehungen aufrechterhalten oder verbessern will.
- Die Abhängigkeit von China ist ethisch fragwürdig, strategisch riskant und sendet ein falsches Signal an die USA. Sie macht die deutsche Wirtschaft anfällig für geopolitische Spannungen, gefährdet die Vertraulichkeit von Militär- und Industriegeheimnissen und könnte Deutschland im Konfliktfall zwingen, zwischen internationalen Bündnissen und wirtschaftlicher Stabilität zu wählen.
- Berlin muss bei einer Neuauflage der China-Strategie einen klaren Kurswechsel festigen und sich von kurzfristigen politischen oder wirtschaftlichen Vorteilen nicht ablenken lassen. Deutschland muss anfangen, proaktiv und nicht reaktiv zu handeln.
- Um sich gegen potenzielle Gefahren abzusichern, wäre Deutschland außerdem gut beraten, seine Partnerschaften so weit wie möglich zu diversifizieren. Im Umkehrschluss könnte diese Art von proaktiver Notfallplanung Berlins Verhandlungsposition gegenüber Washington stärken und somit für stabilere transatlantische Beziehungen sorgen.
- Deutschland sollte z.B. langfristig den Aufbau eines südatlantischen Wirtschaftsnetzes in Betracht ziehen, da Lateinamerika trotz seiner 656 Millionen Menschen und über 7 Billionen Dollar BIP nur drei Prozent der deutschen Exporte ausmacht.
- Am Persischen Golf könnte man potenzielle Partner in Bereichen wie High-Tech, Luft- und Raumfahrt und Finanzen gewinnen – vor allem unter Staaten, die sich derzeit um eine Liberalisierung und wirtschaftliche Diversifizierung bemühen.
- Auch mit den hochentwickelten Staaten der Asia-Pacific-Region sollte Deutschland die Handelsströme stärken. Japan ist bereits Deutschlands zweitgrößte Handelspartner in Asien und Deutschland ist Südkoreas größter europäischer Handelspartner. Zudem bieten Australien und Neuseeland eine starke Agrarwirtschaft und strategisch wichtige seltene Erden.
3. Energie
Auch in der Energiepolitik muss Deutschland selbstbewusst, eigenständig und pragmatisch sein, um von den USA als verlässlicher und vertrauenswürdiger Partner wahrgenommen zu werden.
- Deutschland bleibt ein großer Abnehmer von „gewaschenen“ russischen Energieexporten aus Aserbaidschan, der Türkei oder Indien. Wenn der Wandel in der Energiepolitik auf dem Kontinent – und in Deutschland – glaubwürdig sein soll, dürfen keine Hintertür-Kooperationen bestehen.
- Deutschland muss den Übergang zu Energiequellen anstreben, die sicher, strategisch sinnvoll und idealerweise erneuerbar sind. Aber die Regierung muss pragmatisch agieren: Solange der deutsche Energiebedarf noch nicht vollends durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann, müssen effektive Übergangslösungen gefunden werden.
- Deutschland sollte in Erwägung ziehen, stillgelegte Kernkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen. Zudem sollte es seine Position als Forscher- und Ingenieursnation nutzen, um bei der Entwicklung neuer Nukleartechnologien führend zu werden. Die Regierung sollte gezielt Innovationen fördern, u. A. durch den Abbau bürokratischer Hürden und die Schaffung steuerfreier Innovationsräume für privat finanzierte Forschung und Entwicklung.
- Solange Deutschland jedoch noch auf fossile Brennstoffe angewiesen ist, sollte es zumindest a) den Umstieg von Kohle zu Erdgas vorantreiben und b) sicherstellen, dass die Energieausgaben auch einen politischen Nutzen haben, z.B. durch den verstärkten Import von amerikanischem Gas als strategischen Anreiz gegenüber den USA.
- Zur Absicherung sollte Deutschland nach weiteren Partnern suchen, um Lücken zu schließen, falls der russische Energiezufluss endet. Kanada könnte dabei wertvoll sein: Das Land hat große Energiereserven, die es aufgrund fehlender Kapazitäten und Infrastruktur bislang nicht voll ausschöpft.
4. Rapprochement
Um das Vertrauen der Vereinigten Staaten zurückzugewinnen, muss sich Deutschland ehrlich mit seinen strategischen Fehlentscheidungen befassen und die außenpolitische Kultur kritisch hinterfragen.
- Die außenpolitischen Kreise in Berlin müssen aufhören, die wachsenden Spannungen zwischen beiden Seiten des Atlantiks einfach auf eine egozentrische Sichtweise des amerikanischen Provinzialismus zu schieben. Europa kann nicht länger die Mahnungen der Hälfte der amerikanischen politischen Führung und Bevölkerung ignorieren. Schon der Brexit hat gezeigt, dass es kontraproduktiv ist, skeptische Gruppen als hinterwäldlerisch abzustempeln, nur weil sie multilaterale Kooperationen hinterfragen.
- Deutschland und Europa müssen unbedingt das Image des Trittbrettfahrers ablegen. Bestimmte Entscheidungen aus Brüssel und Berlin haben besonders viel Unverständnis in den USA hervorgerufen: vor allem, dass Europa Warnungen, keine Abhängigkeiten mit Russland und China im Bereich Handel und Energie zu riskieren, aufgrund wirtschaftlicher Vorteile ignoriert hat. So kann es nicht weitergehen.
- Entscheidungsträger in der deutschen Außenpolitik sollten daran arbeiten, vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehungen sowohl zu Republikanischen, als auch Demokratischen Partnern in Washington zu knüpfen, um ideologische Denkmuster zu durchbrechen. Nur durch einen kontinuierlichen Austausch mit Politikern und außenpolitischen Beratern aller Richtungen kann gegenseitiges Verständnis und Vertrauen aufgebaut werden.