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Aktivismus mit nie versiegender Begeisterung
Vukosava Crnjanski über die Förderung der Faktenprüfung in Serbien und die Widerstandsfähigkeit gegenüber der komplizierten Politik des Landes
Serbien ist ein Land, das viel durchgemacht hat, und das haben auch die unermüdlichen Aktivisten in diesem Land. Allen Widrigkeiten zum Trotz haben die Jahre des langsamen Aufbaus eines gesünderen Dialogs über Politik, unabhängigen Journalismus und Menschenrechte keine Spuren in der Motivation von Vukosava Crnjanski hinterlassen.
Sie ist seit über 20 Jahren eine wichtige Figur in der serbischen Aktivistenszene und ist Gründerin und Leiterin des Zentrums für Forschung, Transparenz und Rechenschaftspflicht CRTA (Center for Research, Transparency and Accountability), einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation, die sich für die Entwicklung einer demokratischen Kultur und bürgerlichen Aktivismus einsetzt. Die Arbeit von Vukosava wurde auf internationaler Ebene gewürdigt: Sie erhielt den W. Averell Harriman Demokratiepreis in Anerkennung ihrer Innovation, ihres Engagements und ihrer Beiträge. Im Jahr 2018 erhielten Vukosava und ihr CRTA-Team den Democracy Defender Award der OSZE. Seit fast zwei Jahrzehnten arbeitet Vukosava als Trainerin und hilft Mitgliedern anderer Organisationen, der Medien und politischer Parteien bei der Entwicklung ihrer politischen Fähigkeiten, Strategien und Organisationen.
Alles begann in den späten 90er Jahren, als sie aktiv an der Jugendgruppe der Partei Bürgerallianz Serbiens teilnahm. Die 1992 gegründete Bürgerallianz wurde im Laufe des Jahrzehnts zur einzigen politischen Organisation des Landes, die von einer Frau – Vesna Pešić – geführt wurde.
“Wir waren verliebt in die Förderung der Bürgerrechte und die Durchsetzung demokratischer Werte”, erinnert sich Vukosava. Sie beschreibt die Bürgerallianz Serbiens als eine “NRO unter den Parteien” – sie engagierte sich in der Antikriegsrhetorik, förderte die Demokratie und kämpfte gegen die autoritäre Politik von Slobodan Milošević (1941-2006, Präsident Jugoslawiens von 1992-2000).
Anfang der 2000er Jahre erkannte sie, dass sie außerhalb der traditionellen Politik effektiver arbeiten konnte. „An einem bestimmten Punkt wurde mir klar, dass ich keine Kompromisse eingehen kann. Die politische Kultur unseres Landes ist geprägt von dem Grundsatz: „Wer nicht voll und ganz für mich ist, ist gegen mich.“ Wir wissen immer noch nicht, wie wir den Entscheidungsprozess diskutieren sollen. Wenn ich in einem Prozess kritisiere, heißt das nicht, dass ich dagegen bin, aber in der Regel wird das von der anderen Seite so gesehen. Das ist sozusagen die „männliche Art”, damit umzugehen.
Dies führte zur Gründung des Liberalen Netzwerks (Linet), einer Nichtregierungsorganisation, die sich auf die Freiheit der Medien, die Vorbeugung von Hassreden, die Aufdeckung von Interessenkonflikten, die Einführung der Idee der Einschränkung der Wehrpflicht und die Einbindung von Studenten an Fakultäten und Universitäten fokusiert, die sie als “Inseln der Freiheit” während der Milošević-Ära beschreibt. Sie erinnert sich an die frühren 2000er Jahre als eine Zeit der Hoffnung, deren Zeitfenster sich schnell schloss. Sie bezeichnet die Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Ðinđić im Jahr 2003 als traurigen Wendepunkt für die lokale Politik. “Er war ein Mensch mit einer Vision.”
Inspiriert von den Modellen der Faktenprüfung, die während der Präsidentschaftskampagne von John McCain und Barack Obama angewandt wurden, führte das Team 2008 seine eigene Plattform “Istinomer” (“Wahrheitsmeter”) ein und begann seinerseits mit der Faktenprüfung der Wahlen in Serbien. „Was soll ich sagen, wir haben eine Leidenschaft für Fakten!“, sagt sie.
Die Herausforderungen, vor denen Vukosava steht, und die Diskussionen, die sie anstoßen möchte, spiegeln sich auch in der Art und Weise wider, wie sie über bestimmte Wörter und Bedeutungen spricht – etwa, dass das serbische Wort “odgovornost” mit Verantwortung übersetzt werden kann, dass es aber schwierig ist, einen richtigen einheimischen Begriff für „Rechenschaftspflicht“ zu finden.
Im Jahr 2010 war sie auch an der Gründung des Offenen Parlaments beteiligt, einer neuen Initiative für transparente Politik, die eine Brücke zwischen den Bürgern und ihren Vertretern schlagen soll. „Wir haben ein System, in dem wir unsere Vertreter nicht direkt wählen – die führenden politischen Parteien bestimmen die Abgeordneten. Wie Sie sich denken können, muss kontrolliert werden, was versprochen und was getan wurde.”
Der Höhepunkt ihrer Arbeit und dieser Ideen war die Umwandlung von Linet in das Zentrum für Forschung, Transparenz und Rechenschaftspflicht (CRTA) im Jahr 2010. Die Abkürzung CRTA wird fast so ausgesprochen wie das Wort “tscherta” – eine serbische Redewendung, die “eine Herausforderung annehmen” oder “zusammenfassen” bedeutet. Gegenwärtig arbeiten mehr als 50 Personen für diese Organisation oder kooperieren mit ihr, und viele von ihnen sind Frauen. Vukosava sagt, dass obwohl sie sich nicht ausschließlich auf die Rechte der Frauen fokusiert, sie CRTA gerne als “Frauenorganisation” betrachtet. Im Rahmen dieser Plattform führt sie weiterhin Instrumente und Initiativen zur Faktenprüfung ein. Und was Vukosava als den inspirierendsten Teil ihrer Arbeit bezeichnet, ist die Durchführung von Schulungen mit Jugendorganisationen und angehenden Aktivisten, um diese mit einer Vision für eine bessere Zukunft zu stärken. „Es sind diese Aha-Momente in den Augen der Jüngeren, die für mich so entscheidend sind.“
Vukosava beschönigt nichts und spricht direkt über das politische Klima in Serbien. “Wir erleben Rückschläge. Wir haben nicht die Erfahrung, in einer funktionierenden Demokratie zu leben”, sagt sie. „Wir haben eine Menge ungelöster Probleme – unsere Rolle im Bosnienkrieg, unser Standpunkt zum Kosovo, die Vorstellung, dass Stabilität nur bedeutet, dass wir uns nicht gegenseitig umbringen. Diese Probleme hängen immer über uns. Wir sind im Grunde ein nicht reformiertes Land, denn wir haben nie Parteien entwickelt, die eine funktionierende Demokratie schaffen können.“
Crnjanski kritisiert auch die fehlende Verurteilung von Kriegsverbrechen und das Fehlen nennenswerter Schritte zur Ausmerzung krimineller Strukturen – Themen, die in unterschiedlichen Abwandlungen vielen Ländern der Region nur allzu vertraut sind.
„Wenn Sie mich Anfang der 2010er Jahre nach dem Stand der politischen Transparenz in Serbien gefragt hätten, würde ich sagen, dass wir die Prüfung, eine grundlegende Plattform für freie und faire Wahlen zu schaffen, bestanden haben. Heute haben wir einige ernsthafte Probleme.” Nach den letzten Parlamentswahlen im Juni 2020, aus denen Präsident Aleksandar Vučić und seine SNS-Koalition mit 60,65% als Sieger hervorgingen, hält Vukosava dies für einen weiteren großen Rückschlag, da in Serbien nun ein nahezu Einparteisystem herrscht. „Und in diesem Zustand einer absoluten Mehrheit der Regierungskoalition sind die Institutionen einfach unterlegen.“
Ein Jahr später kollidierte dieses System auf erwartete Weise mit der Tätigkeit von CRTA. Im März/April 2021 war CRTA zusammen mit der Organisation für investigative Berichterstattung KRIK, die die Anti-Desinformations-Website Raskrikavanje betreibt, Gegenstand einer, wie sie sagen, Verleumdungskampagne. Alles begann damit, dass mehrere Parlamentsabgeordnete CRTA verbal angriffen und ihr eine angebliche Beteiligung an einem versuchten Staatsstreich und einem Attentat auf Präsident Vučić vorwarfen – eine Reaktion darauf, dass die Organisation zuvor eine Beschwerde gegen mehrere Abgeordnete wegen Verstoßes gegen den Verhaltenskodex des Parlaments eingereicht hatte.
“Es ist üblich, dass Nichtregierungsorganisationen und Aktivistengruppen als “ausländische Agenten” abgestempelt werden, und in der Regel wird dies von den Medien im ganzen Land angeheizt, insbesondere in Wahlkampfzeiten – ein Mechanismus, der funktioniert. Aber diese Verleumdungskampagne kam überraschend“, sagt Vukosava. “Wir waren in den 90er Jahren mit einer ähnlichen Rhetorik konfrontiert, und diese Art von Hassrede kehrt nun zurück.“
Als eine Frau in Serbien, die sich gegen die regressive Rhetorik der Politiker wehrt, sieht Vukosava eher ein strukturelles Problem. „Im aktuellen politischen Klima spricht eine Frau an der Macht keine Frauenfragen an und eine LGBT-Politikerin spricht keine LGBT-Themen an“, sagt sie mit Verweis auf die offen homosexuelle, aber zwiespältig angenommene Premierministerin Ana Brnabić, die Teil des politischen Status quo ist. „Es gibt bei all dem willkommene Schritte, aber von außen betrachtet ist alles in Ordnung, während es von innen betrachtet nur Augenwischerei ist. Letzten Endes ist es ein System, von dem die Männer profitieren.“
Die MeToo-Ära hat sich auch auf Serbien ausgewirkt, aber Vukosava betont: “Wir haben keine starken Institutionen, um diese Dinge zu unterstützen und große Ergebnisse zu erzielen.“
Was motiviert sie am Ende des Tages? “Ich habe nicht das Recht aufzugeben, ich habe so viel in die Stärkung der Bürgerinnen und Bürger investiert.“
Wäre es richtig zu sagen, dass sie jetzt viel mehr Arbeit hat als zu Beginn? „Ja“, sagt sie mit einem ironischen Lächeln, „leider“.