Impfstrategie
Corona-Impfung in Bulgarien – mit Schneckentempo ans Ziel
In Bulgarien kommt die Corona-Impfung nur schleppend voran. Soll bis September eine Herdenimmunität erreicht werden, muss sich die Regierung etwas einfallen lassen. Angesichts der im April bevorstehenden Parlamentswahlen schreckt die Regierung jedoch vor unpopulären Maßnahmen zurück.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen - wie bekannt - oftmals Welten. Das musste zuletzt auch der bulgarische Gesundheitsminister Kostadin Angelov erfahren. Am 27. Dezember des vergangenen Jahres wurde Angelov mit großem Brimborium als erster Bürger vor den laufenden Kameras des bulgarischen Staatsfernsehens mit dem Corona-Impfstoff von BioNTech-Pfizer geimpft - Bulgariens „Impfpatient“ Nummer 1.
„Ich denke, die Wissenschaftler haben ihre Arbeit getan, und ich bin überzeugt, dass wir bald Covid-19 überstanden haben werden“, sagte Angelov damals überzeugt in die Kameras. Ein frommer Wunsch, wie sich später herausstellte.
Impfquote - Bulgarien belegt im EU-Vergleich den letzten Platz
Denn ganz so bald, wie sich der Gesundheitsminister erhofft, wird Bulgarien die Pandemie nicht los – zumindest nicht, solange das Impftempo weiter im berühmten Schneckentempo vorangeht. Nach knapp einem Monat wurden bislang nur etwas mehr als 26.000 Bulgarinnen und Bulgaren geimpft – ungefähr jeder Dreihundertste. Mit dieser Statistik belegt Bulgarien im EU-Vergleich den letzten Platz.
Laut einer Kalkulation der in Brüssel ansässigen Politikzeitschrift Politico wird es bei diesem Tempo bis – Achtung! – zum Jahr 2040 dauern, bis Bulgarien die von der EU-Kommission empfohlene Impfquote von 70% der Bevölkerung erreicht haben wird. Brüssel hatte eigentlich den kommenden Sommer als Zeitpunkt avisiert, an dem dieser Richtwert erreicht sein sollte. Bislang wurden in Bulgarien pro Tag durchschnittlich aber nicht viel mehr als 1.100 Dosen des Impfstoffs verabreicht. Um jedoch bis September eine Herdenimmunität zu erreichen, so die Kalkulation der Autoren, müsste am Tag knapp dreißig Mal so viel geimpft werden.
Doch Premierminister Bojko Borissow lässt sich durch solche Zahlen nicht beeindrucken– geht es nach seiner Darstellung, werden bis Ende August knapp 2 Millionen Bulgarinnen und Bulgaren geimpft sein. Knapp zwei Monate vor den wichtigen Parlamentswahlen am 4. April darf sich einfach keine schlechte Stimmung breitmachen.
Dabei verläuft die Corona-Pandemie in Bulgarien alles andere als mild. Mit knapp 220.000 Infizierten und fast 9.000 Toten unter den ca. 7 Millionen Einwohnern liegt das Land EU-weit in der Statistik der Mortalitätsrate auf Platz drei. Mit knapp 3.000 neuen Covid-Fällen pro Tag waren die Krankenhäuser früh an ihre Grenzen gestoßen, es mangelte überall an medizinischem Personal – eine Folge der Abwanderung von Fachkräften, unter der das Land schon seit Langem leidet. Um einen völligen Kollaps des Gesundheitswesens zu vermeiden, wird seit Ende November ein sanfter Lockdown praktiziert: Restaurants, Einkaufzentren, Schulen sowie Unis bleiben vorerst geschlossen. Härtere Maßnahmen werden vermieden.
Bulgarische Bevölkerung ist misstrauisch gegenüber dem Corona-Impfstoff
Ein Grund für den schleppenden Impf-Fortschritt ist der Engpass auf dem globalen Impfmarkt, vor dem natürlich auch Bulgarien nicht geschützt war. Gesundheitsminister Angelov versuchte, die Gemüter zu beruhigen – Ende Januar sollen 14.000 Dosen des BioNTech-Pfizer Impfstoffs kommen, weitere 83.000 in Februar und nochmals weitere 104.000 im März. Auch Vakzine der Marke Moderna sollen demnächst zur Verfügung stehen. Die Kernschmelze konnte noch verhindert werden, so die Botschaft des Ministers.
Ein anderer Grund für die schlechten Impf-Statistiken ist die niedrige Impfbereitschaft der bulgarischen Bevölkerung. Der Oberste Gesundheitsinspektor ahnte schon die Zurückhaltung seiner Landsleute, als er vor einem Monat sagte: „Die Logistik und die Verfügbarkeit von Impfstoffen sehen wir nicht als das Hauptproblem. Eher die Überwindung von Ängsten“, so Angel Kunchev.
Das Misstrauen der bulgarischen Bevölkerung gegenüber Impfstoffen ist dabei nichts Neues – eine Studie der EU-Kommission von 2018 ergab, dass nur zwei Drittel der bulgarischen Bevölkerung glaubten, Vakzine seien sicher. Damit war Bulgarien in der EU das misstrauischste Land gegenüber Impfungen. Auch neuere Untersuchungen ergeben, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen will.
Eine mögliche Erklärung hierfür sind Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen, die in Bulgarien populär sind. Beunruhigend ist das Ergebnis einer Untersuchung der Alpha Research Agency, wonach 43% der Bulgarinnen und Bulgaren das Coronavirus für eine von Menschen gemachte, künstlich geschaffene Krankheit halten. Etwa ein Viertel der Befragten hat große internationale Unternehmen im Verdacht, die demnach enorme Gewinne aus der Pandemie erzielen.
Ein anderer Erklärungsversuch für die niedrige Impfbereitschaft ist das fehlende Vertrauen in die eigene Regierung. Eine Studie der wissenschaftlichen Zeitschrift nature medicine ergab, dass hier eine Korrelation besteht. „Impfungen sind hochregulierte Maßnahmen der Regierungen. Mancherorts sind Impfungen freiwillig, woanders obligatorisch. Wenn die Menschen dann ein Problem mit ihrer Regierung haben, überlegen sie sich zwei Mal bevor sie eine Impfung durchführen lassen“, so Dr. Heidi Larson, eine der Autorinnen des Beitrags.
Die regierende GERB-Partei von Premierminister Borissow ist unter enormen Druck geraten, als tausende Bulgarinnen und Bulgaren 2020 den ganzen Sommer lang auf die Straßen gingen und mehr Transparenz und Rechtsstaat einforderten. Die enge Beziehung der politischen Chefetage mit fragwürdigen Figuren und die Hinterzimmerpolitik ihres Premierministers haben zu einem Vertrauensbruch bei einem Großteil der Bevölkerung geführt – keine gute Ausgangslage für eine flächendeckende Impfung, so das Ergebnis der Studie.