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Slowakei
Ende der Demokratie in der Slowakei?

Liberale Präsidentin Čaputová wird nicht mehr kandidieren
Zuzana Caputova

Lawyer and civic activist Zuzana Caputova, 45, clearly won the Slovak presidential election's second round on Saturday, March 30, 2019. On the photo Caputova is seen during a waiting for final results in Bratislava, Slovakia (CTK Photo/Vaclav Salek) 

 

© picture alliance/dpa/CTK | Vaclav Salek

Die Freiheitspreisträgerin Čaputová kündigte an, dass sie keine Kraft mehr habe, bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr erneut zu kandidieren. Die Slowakei erlebt zurzeit eine schwierige Phase innenpolitischer Krisen, des Chaos und der Spaltung der Gesellschaft aufgrund der Verbreitung prorussischer Desinformationen. Außerdem musste sich die Präsidentin in letzter Zeit wiederholt vulgären Angriffen von slowakischen Populisten und Extremisten stellen. Die Slowaken sind besorgt über die Zukunft der Demokratie in ihrem Land.

„Ich musste meine Kräfte für die nächsten, möglicherweise sechs Jahre, einschätzen. Und nach sehr ehrlicher Überlegung weiß ich heute, dass diese Kräfte für ein weiteres Mandat nicht ausreichen würden“, erklärte die derzeitige slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová am vergangenen Dienstag, dem 20. Juni. Nach langer Überlegung beschloss Čaputová, bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in der Slowakei im nächsten Jahr nicht wieder zu kandidieren. Viele Menschen waren von dieser Entscheidung nicht überrascht, was angesichts der derzeitigen Situation in der Slowakei nicht verwundert. Obwohl aktuelle Umfragen ihren Wahlsieg prognostizierten, muss sich die Präsidentin seit langem harschen Kritiken, bisweilen sogar bösartigen und vulgären Angriffen von Spitzenpolitikern wie den Ex-Premierministern Matovič (Oľano), Fico (SMER-SD), Pellegrini (Hlas) und auch von einigen Abgeordneten anderer Parteien stellen.  Zuletzt sah sie sich sogar wiederholten, anonymen Morddrohungen ausgesetzt. Diese Gründe sind nicht die einzigen, aber sie trugen wesentlich zu Čaputovás Entscheidung bei.

Die Präsidentin als Licht der Hoffnung in unsicheren Zeiten

In der Präsidentschaftswahl im März 2019 besiegte die Juristin und ehemalige Vize-Präsidentin der liberalen Partei Progressive Slowakei Zuzana Čaputová in einer Stichwahl mit mehr als 58 Prozent aller Stimmen den sozialdemokratischen SMER-Kandidaten und Vize-Präsidenten der Europäischen Kommission Maroš Ševčovič. Sie ist die erste Frau und die erste liberale Politikerin überhaupt in diesem Amt in in der Geschichte des kleinen, eher konservativen Landes. Es war genau ein Jahr nach dem tragischen Mord an dem Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten: die korrupten und mafiösen Praktiken der zu der Zeit regierenden SMER-Partei führten zum Mord des Paares sowie zum schleichenden Verlust der demokratischen Werte des Landes. Und so war die Wahl von Čaputová - obwohl die politischen Kompetenzen des slowakischen Präsidenten sehr gering sind und seine Rolle, wie in Deutschland, eher repräsentativ, ein symbolischer Akt der Ablehnung gegen die SMER-Partei. Daraus ergab sich die Ursache für spätere Probleme und Meinungsverschiedenheiten zwischen der Präsidentin und mehreren Politikern (vor allem den Rechtsextremisten, Sozialdemokraten und Konservativen) über ihre Ansichten und den von ihr vertretenen Werten. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung wählte Čaputová nicht, weil sie eine liberale Politikerin war und ist, sondern weil sie für eine Ablehnung der SMER-Partei stand, und weil die bisher in der breiten Öffentlichkeit Unbekannte ein neues Gesicht in der Politik war, das für Veränderung und Hoffnung auf eine anständigere Zukunft stand.

In der öffentlichen Wahrnehmung begann Čaputová gleich nach ihrer Wahl, diese Erwartungen zu erfüllen. In erster Linie baute ihr Team aktive und transparente soziale Netzwerke auf, in denen die Bürger die Aktivitäten der Präsidentin verfolgen konnten, und die Präsidentin selbst sprach mit den Bürgern über diese Medien. Beliebt wurden ihre Videovorträge zu wichtigen offiziellen Feiertagen, wie dem Internationalen Tag der Roma, dem Tag der Lehrer, dem Tag des Wassers, dem Tag gegen Homophobie und sogar auch dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, in denen sie auf aktuelle Alltagsprobleme hinwies und Lösungen forderte. Auch in der Außenpolitik scheute sie nicht davor, klare Positionen zu beziehen, womit sie einen pro-europäischen und pro-westlichen Kurs der Slowakei stärkte. Bereits am Anfang ihres Mandats kritisierte und  verurteilte sie die autoritären Regime in Belarus, Russland und vor allem China. Obwohl Čaputová zuvor kaum politische Erfahrung hatte, was ihr neben ihren liberalen Werten von ihren Gegnern am meisten vorgeworfen wurde, repräsentierte sie die Republik im Ausland auf einem noch nie dagewesenen professionellen Niveau. Auf ihren Auslandsreisen gewann die Präsidentin durch ihre ruhige und charmante Art und ihre hohe politische Kultur Respekt und Wertschätzung.

Nach einem halben Jahr im Amt wurde Čaputová als einzige mitteleuropäische Frau von der Zeitschrift Forbes unter die 100 einflussreichsten Frauen der Welt gewählt und ist bis heute Teil dieser Liste. Für ihren entschlossenen Kampf gegen Populismus und Korruption, und für eine anständige Demokratie erhielt die Präsidentin zahlreiche Ehrungen und internationale Auszeichnungen, wie z.B. den Madeleine-Albright-Demokratiepreis des US-amerikanischen National Democratic Institute und mehrere deutsche Preise, darunter den Schwarzkopf-Europapreis, den Kaiser-Otto-Preis sowie den Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftungfür die Freiheit. Die Präsidentin wurde international nicht nur wegen ihrer politischen Leistungen, sondern auch wegen ihrer menschlichen Art und ihres Charmes zu einer herausragenden Persönlichkeit und einem politischen Idol.

In der Welt bewundert, zu Hause beschimpft

Innenpolitisch spiegelte sich die internationale Wahrnehmung der Präsidentin jedoch von Anfang an nicht so wieder. Erstens ist die Slowakei immer noch ein eher konservatives Land mit großem Einfluss der Kirche auf die Gesellschaft, und zweitens begann ihr Mandat zu einer Zeit, in der die Slowakei und die ganze Welt von präzedenzlosen Krisen erschüttert wurden. Es begann mit der langwierigen Covid-19-Pandemie und gipfelte in der russischen Aggression in der Ukraine. Darüber hinaus leidet die Slowakei aufgrund des chaotischen und populistischen Vorgehens der neuen Regierungskoalition ab Frühjahr 2020 unter einer innenpolitischen Krise. Ob es sich um die SMER-Regierung unter Petr Pellegrini oder die neue Vierer-Koalitions-Regierung mit Igor Matovič (OĽANO) an der Spitze handelte, die Präsidentin zögerte nicht, Kritik an ihren Kollegen zu äußern, unabhängig von politischen Ausrichtungen und Positionen. Die slowakischen Politiker konnten die Kritik des Staatsoberhauptes nur schwer ertragen und schlugen hart zurück, insbesondere die Oppositionsparteien SMER-SD, Hlas (beide populistische Sozialdemokraten) und Republika (Rechtsextremisten).

Vertreter dieser Parteien sind gleichzeitig die größten Verbreiter prorussischer Desinformationen in der Slowakei, die seit der Covid-19-Pandemie im Lande weit verbreitet sind und die Gesellschaft spalten. Insbesondere die SMER-Partei, geführt von Robert Fico, greift die Präsidentin mit ihren Äußerungen immer wieder an und hetzt die Wähler (derzeit knapp 20 %) gegen sie auf. Im Frühjahr 2022 ging ein Video  viral, in dem Mitglieder der SMER-Partei auf der Bühne während einer öffentlichen Versammlung die Menge dazu auffordern, zu schreien: "Die Präsidentin ist eine amerikanische Hure". Die SMER-Partei verschärfte in den letzten Monaten ihre Angriffe. Der größte Vorwurf der Populisten lautet, dass die Präsidentin mit ihrer Unterstützung für die Ukraine nicht ihren eigenen Bürgern, sondern den Interessen des Westens diene und dass sie dafür vom Westen, den USA und dem ungarischen Millionär George Soros bezahlt werde. Čaputová erhielt dafür den Spitznamen "amerikanische Agentin" oder "Soros' Kind“.  SMER-Chef Fico wiederholte diese Behauptungen mehrmals auf jeder Pressekonferenz.

Im Mai dieses Jahres vertraute Čaputová den Bürgern an, dass sie und ihre Familie seit langem mit Morddrohungen konfrontiert seien. Die Präsidentin selbst betrachtet dies als Folge von Ficos öffentlicher Jagd auf sie. Die meisten Amtsträger verurteilten dieses Verhalten, allerdings erntete Čaputová auch Kritik von sonst treuen Anhängern, als sie nach dem endgültigen Zusammenbruch der Regierung in Demission eine Beamtenregierung ernannte. Die Präsidentin berief eine komplett neue Expertenregierung ein, nachdem Ministerpräsident Eduard Heger, dessen Kabinett nach dem Vertrauensverlust des Parlaments im Dezember letzten Jahres auf Antrag der Präsidentin weiter in Demission regierte, zurücktrat. Die Abgeordneten hätten sich gewünscht, dass die Präsidentin sie im Vorfeld mehr über diesen Schritt und die Zusammensetzung der Regierung konsultiert hätte, wozu sie laut Verfassung aber nicht verpflichtet ist. Trotzdem verlor die Expertenregierung von Čaputová das Vertrauensvotum im Parlament und darf nun bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im September nur mit eingeschränkten Kompetenzen wirken.

Die Slowakei ohne Čaputová

Seit langem wird darüber spekuliert, ob Čaputová aufgrund der Angriffe auf ihre Person erneut kandidieren wird. Obwohl sie kurz vor der Bekanntgabe ihrer Entscheidung laut Umfragen noch die vertrauenswürdigste slowakische Politikerin war und die Wahlumfragen ihr einen weiteren Erfolg voraussagten, reichte es für die Präsidentin nicht aus, um genug Kraft für ein weiteres Mandat zu sammeln. Dennoch hofften viele, dass das Licht der Hoffnung, das die Präsidentin in die dunklen Tage der Slowakei brachte, weiter leuchten würde. Zur Enttäuschung vieler wird das nicht der Fall sein. Andererseits gibt es viele Stimmen, die in Anbetracht der Umstände die Entscheidung der Präsidentin voll und ganz verstehen können und unterstützen.

Mit ihrer Ankündigung begann der Kampf um den Sitz des Staatsoberhauptes, der im nächsten Jahr entschieden wird. Es ist damit zu rechnen, dass viele für das Präsidentenamt kandidieren werden, fast jede politische Bewegung wird einen Kandidaten aufstellen. Es wird höchst interessant sein, zu sehen, wen SMER auswählt. Dies wird sehr stark vom Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahlen im September abhängen. Wenn Fico nicht das Amt des Premierministers gewinnt, wie es ihm die Umfragen derzeit zuschreiben, ist es durchaus möglich, dass er für das Amt des Präsidenten kandidieren wird, wie er es bereits 2014 erfolglos tat. Auch die politische Zukunft von Čaputová ist fraglich. Es gibt Spekulationen über ihre weitere politische Karriere oder sogar als Kandidatin für den Posten der NATO-Generalsekretärin.

Viele befürchten, dass mit dem Abgang von Čaputová die demokratische Zukunft der Slowakei noch mehr gefährdet ist, da die Umfragewerte der prorussischen, fast extremistischen SMER-Partei weiter steigen. Die positivere Alternative ist die Hoffnung, dass die Entscheidung von Präsidentin Čaputová demokratisch gesinnte Wähler mobilisieren wird. Die Liberalen erreichten in den letzten Umfragen den zweiten Platz, sodass, falls der Extremist Fico keine Regierung bilden sollte, die Chance besteht, dass Martin Šimečka von der Progressiven Slowakei die Regierung anführen könnte. Da die Beauftragung mit der Regierungsbildung in den Kompetenzen der Präsidentin liegt, wird das der letzte und wohl mächtigste Schritt Čaputovas nach dieser Wahl sein, der über die Zukunft des Landes entscheiden wird, in der sie nicht mehr slowakische Präsidentin sein wird.