Cross-Strait Relations
Xi Jinping hat eine friedliche Vereinigung mit Taiwan ausgeschlossen
Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die Kongressabgeordnete Nancy Pelosi, hat angekündigt im August nach Taiwan reisen zu wollen. Unabhängig davon, wie man den Zeitpunkt dieser geplanten Reise einschätzt, spiegelt die Reaktion der chinesischen Regierung auf diese Ankündigung eine gewisse Aggressivität wider: Peking hat sowohl inoffiziell als auch öffentlich damit gedroht, die Spannungen in der Taiwanstraße zu eskalieren und drohte unter anderem damit, das Flugzeug der Sprecherin abzufangen oder eine Flugverbotszone über der Insel einzurichten.
Der chinesische Botschafters Qin Gang wurde kürzlich in den USA zu einem Kamingespräch auf dem Aspen Security Forum eingeladen. Dies bot dem chinesischen Beamten eine zusätzliche Plattform, um die Parteipropaganda über Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und Xinjiang zu verbreiten und Xi Jinpings militärische Drohungen gegenüber Taiwan unwidersprochen und unhinterfragt herunterzuspielen. Der Interviewer, der US-Redakteur der Financial Times Edward Luce, war dem chinesischen Botschafter gegenüber geradezu ehrerbietig. In seinem jüngsten Meinungsartikel von vergangener Woche zitierte Luce ausführlich aus dem Gespräch der beiden und verurteilt die geplante Reise der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Kongressabgeordnete Nancy Pelosi, nach Taiwan als "kaum mehr als Gestenpolitik" und "rücksichtslos".
Chinesische Regierungsbeamte tun ihr Bestes, um westliche Kommentatoren davon zu überzeugen, dass sich Xi Jinpings Ansatz gegenüber Taiwan kaum von dem seiner Vorgänger unterscheidet. Mit diesem Denkmodell wird die Schuld an Chinas immer häufigeren Eindringen in Taiwans Luftabwehridentifikationszone und seinen militärischen Drohungen gegen Taiwan eindeutig den US-amerikanischen Entscheidungsträgern zugeschoben. Eine solch eingeschränkte Sichtweise lässt jedoch den wachsenden wirtschaftlichen Druck außer Acht, dem Xi Jinping im eigenen Land ausgesetzt ist. Sie ignoriert außerdem die veränderte Haltung der politischen Entscheidungsträger im Ausland als Reaktion auf die Zerstörung Hongkongs durch China.
Das Modell "Ein-Land - Zwei Systeme" ist nicht länger attraktiv
Schließlich war das Modell "Ein Land, zwei Systeme", das Hongkong für fünfzig Jahre Autonomie, demokratische Wahlen und Rechtsstaatlichkeit garantierte, Chinas angedachtes Modell für eine etwaige friedliche Vereinigung mit Taiwan. Xi Jinpings Entscheidung, in Hongkong ein nationales Sicherheitsgesetz durchzusetzen, das Wahlsystem zu reformieren um pro-demokratische Parteien von den Ämtern auszuschließen, sowie einen ehemaligen Polizeibeamten zum Regierungschef von Hongkong zu ernennen, hat Konsequenzen über die Grenzen Hongkongs hinaus.
Indem er "Ein Land, zwei Systeme" torpediert hat, hat Xi Jinping die Aussicht auf eine friedliche Vereinigung zwischen Taiwan und China ausgeschlossen, was im Widerspruch zur bisherigen Lehrmeinung der Kommunistischen Partei Chinas steht. Angesichts der Ereignisse in Hongkong lehnt die Mehrheit der Taiwanerinnen und Taiwaner dieses Angebot nun ganz offen ab. Das ist durchaus nachvollziehbar.
Und so vermuten nun viele, dass Xi Jinping die Aussicht auf eine militärische Vereinigung Taiwans mit dem Festland und die Sicherstellung der "nationalen Verjüngung" zunehmend als Preis dafür ansieht, dass er auf Lebenszeit regieren und sich sein Porträt auf dem Platz des Himmlischen Friedens neben Mao Zedong sichern kann.
Xi nutzt den Pelosi-Besuch, um die Entschlossenheit des Westens in der Taiwan-Frage zu testen
Chinas wirtschaftlicher Abschwung, der mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der weit reichenden COVID-lockdowns in Verbindung gebracht wird, könnte für Xi Jinping zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen: Die wenigen verbliebenen Rivalen in den oberen Rängen der Partei erwägen gerade jetzt, ob diese Situation ausreicht, um seine absolute Herrschaft über das Land auf dem 20. nationalen Kongress der Kommunistischen Partei Chinas im Herbst zu begrenzen.
Sehr zu Xis Leidwesen sind die COVID-Lockdowns aber nur die Spitze des Eisbergs von Chinas potenziellen finanziellen Problemen: Der Immobilienmarkt des Landes, der lange Zeit durch die Kreditvergabe von Schattenbanken gestützt wurde, ist in diesem Monat durch wilde Hypothekenboykotte in mehr als 90 Städten erneut unter Druck geraten. Dabei stehen über bei denen über 2 Billionen Yuan (etwa 290 Milliarden Euro) auf dem Spiel stehen. Gleichzeitig wird eine wachsende Zahl von Chinas Überseedarlehen im Rahmen der "One Belt One Road"-Initiative neu verhandelt, da die Länder vom Zahlungsausfall bedroht sind. Allein in den Jahren 2020-21 musste China Darlehen im Wert von über 52 Milliarden Dollar neu verhandeln.
Xis Probleme wurden von den internationalen Investoren nicht gerade gelindert: Bis anhin waren sie optimistisch und bereit, noch nie dagewesene Mengen an westlichem Kapital in Chinas Finanzmärkte zu pumpen. Nun scheinen die Anleger aus dem Ausland entweder erschrocken über Chinas "Zero Covid"-Ansatz zu sein oder haben endlich den autoritären Charakter des Regimes erkannt, und haben im ersten Quartal 2022 chinesische Aktien im Wert von mehr als 150 Mrd. USD abgestoßen.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht schwer zu verstehen, wie ein isolierter und von der realen Welt abgeschnittener Staatschef auf die Idee kommen könnte, die militärische Invasion eines benachbarten Territoriums als Mittel zu betrachten, um den Nationalismus im eigenen Land zu stärken, seine Rivalen zu isolieren und seine Regierungszeit zu verlängern.
In Wahrheit sind die zunehmenden Spannungen in der Taiwanstraße nicht das Ergebnis eines möglichen Besuchs einer bald in den Ruhestand tretenden hochrangigen US-Politikerin, sondern werden vielmehr durch Chinas wirtschaftlichen Abschwung und Xi Jinpings Kalkül angeheizt, dass eine gewaltsame Vereinigung Taiwans seine Macht auf Lebenszeit sichert. Xi nutzt den Pelosi-Besuch, um die Entschlossenheit des Westens in der Taiwan-Frage zu testen.
*Dennis Kwok, ehemaliger Abgeordneter in Hongkong (2012-2020), ist Senior Fellow an der Harvard Kennedy School.
Sam Goodman ist geschäftsführender Direktor des China Risks Institute.