Nahost-Konflikt
Thailändische Journalistin in Israel: „Es war sehr ruhig und traurig“
Der Terrorangriff der Hamas in Israel hat viele Thailänder bestürzt. 39 ihrer Landsleute wurden bei dem Angriff getötet. Unter den mehr als 240 Geiseln, die von der Hamas an dem Tag verschleppt worden waren, befanden sich 32 Thailänder. Sie waren damit die größte nicht-israelische Gruppe. Inzwischen hat die Hamas 23 thailändische Geiseln freigelassen. 17 von ihnen kamen bereits am Bangkoker Flughafen Suvarnabhumi an und konnten dort von ihren Familien in die Arme genommen werden.
Warum traf es so viele Thailänder? Etwa 30.000 Bürger des Königreichs arbeiteten zum Zeitpunkt der Hamas-Attacke in Israel in landwirtschaftlichen Betrieben, etwa in Hühnerfarmen oder im Gemüseanbau. Thailändische Arbeiter sind in Israel seit der ersten Intifada (1987-1993) vor allem im Landwirtschaftssektor nahe der Grenze zum Gazastreifen sehr gefragt, um palästinensische Arbeiter zu ersetzen. Sie sind eine der größten Gruppen ausländischer Staatsangehöriger im Land. 2012 schlossen Israel und Thailand ein bilaterales Abkommen, das die Einreise für thailändische Landarbeiter erleichtern sollte.
Die Journalistin Thapanee Eadsrichai von „The Reporters“ ist nach Israel und an die Grenze zu Gaza gereist. Sie traf dort viele Landsleute, die trotz des Terrors in Israel bleiben wollen.
FNF: Frau Eadsrichai, Sie sind nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober nach Israel gereist, um mit Thailändern vor Ort zu sprechen. Was haben Sie erlebt?
Eadsrichai: Zehn Tage nach der Attacke flog ich nach Israel. Ich bin auch zu dem Gelände des Kibbuz Re’im gereist, wo das Musikfestival stattgefunden hat, bei dem 364 Menschen ermordet wurden. Am Boden lag noch Munition. Es war sehr ruhig und traurig. Zum Gazastreifen hat man mich nicht vorgelassen. Die Grenze ist von israelischen Soldaten abgeriegelt. Aber ich habe mit thailändischen Arbeitern gesprochen, die in der Nähe leben. Sie arbeiten dort in der Landwirtschaft. Ich habe sie gefragt, warum sie noch hier sind, obwohl es doch so gefährlich ist.
Und was war die Antwort?
Sie sagten mir, dass sie in Israel so gut verdienen, etwa 100.000 Thai Baht im Monat [umgerechnet etwa 2600 Euro, Anm. d. Red.]. In Thailand würden sie nur einen Bruchteil davon bekommen, vielleicht 10.000 Thai Baht im Monat. Die thailändische Regierung hat die Arbeiter in Israel aufgefordert, wieder zurückzukommen. Teilweise wurde sogar Druck auf die Familien ausgeübt, um die thailändischen Arbeiter zur Heimkehr zu bewegen. Aber nur etwa 8.000 von ihnen sind tatsächlich ausgeflogen. Ich habe gehört, einige von ihnen seien schon wieder zurück in Israel. Ihnen macht die Situation keine Angst. Sie wissen von den Gefahren. Erst vor zwei Jahren waren zwei Thailänder bei einer Bombenexplosion verletzt worden. Aber die Arbeiter sagten mir, sie wollen das Geld. Sie wollen das gute Leben.
Sie haben auch mit den Familien einiger thailändischer Geiseln gesprochen, die inzwischen freigekommen sind. Das muss sehr emotional gewesen sein.
Oh ja, sie sind sehr glücklich und haben sich bei allen bedankt, die sich für die Freilassung eingesetzt haben. Die Angehörigen einer Geisel aus Khon Kaen sagten, es sei, als ob ihr Sohn noch einmal neu geboren worden sei. Sie hatten so lange auf ihn gewartet und hatten große Angst um ihn. Als sie erfahren haben, dass es ihm gut geht, waren sie natürlich sehr froh. Von der Schwester einer der Geiseln habe ich gehört, dass sie zwischenzeitlich schon kurze Videoanrufe mit dem Bruder machen konnte. Ihm gehe es gut und er sei von den Hamas gut behandelt worden. Von anderen Familien weiß ich, dass die Opfer zu traumatisiert waren, um mit ihnen sprechen zu können.
Wie hat die thailändische Öffentlichkeit reagiert?
Thailänder erinnert die Situation am Gazastreifen an den Konflikt im tiefen Süden des Landes, wo vor allem Muslime leben [der äußerste Süden Thailands, nahe der Grenze zu Malaysia, ist seit den 1940er Jahren Ort separatistischer Aufstände und blutiger Anschläge, Anm. d. Red.]. Die Muslime im Süden hier unterstützen die Palästinenser. Ich berichte viel über die Situation im Süden, deshalb kenne ich mich mit dem Konflikt gut aus. Die Arbeiter, die nach Israel in die Landwirtschaft gehen, kommen hingegen aus den nördlichen, buddhistisch geprägten Regionen des Landes. Ich befürchte nun, dass die Anschläge in Israel dazu führen, dass in Thailand Hass gegen Muslime geschürt wird.
Sie waren zu der Zeit, in der Sie nach Israel gereist sind, die einzige thailändische Journalistin vor Ort. Warum?
Ich hielt es für sehr wichtig, von vor Ort zu berichten. Die thailändischen Medien haben einen Großteil ihrer Berichterstattung von ausländischen Medien übernommen, zum Beispiel von Reuters oder Al-Jazeera. Thailändische Journalisten haben wenig Erfahrung in Kriegsgebieten. Den Medienunternehmen ist es zu gefährlich, die eigenen Leute zu schicken. Ich berichte über den Konflikt im tiefen Süden Thailands, über Flüchtlinge aus Myanmar. Ich war im Libanon, in der Türkei und in Syrien. Als Freiberuflerin kann ich selbst entscheiden.
Wie hat sich die thailändische Regierung nach dem Attentat verhalten? Wie steht es um das Abkommen und die Zukunft der Arbeiter?
Die thailändische Regierung hat versucht, die Arbeiter wieder zurückzubringen. Sie hat Freiflüge organisiert und die Botschaft in Tel Aviv stellte für diejenigen, die ausreisen wollten, eine vorläufige Unterkunft bereit. Sie hat den Zurückgekehrten Geld angeboten [Die Regierung bietet den Arbeitern aus Israel 50.000 Baht Einmalzahlung sowie einen Kredit von bis zu 150.000 Baht, das Arbeitsministerium bietet 15.000 Baht zusätzlich, Anm. d. Red.]. Ich denke, die thailändische Politik wird dafür sorgen, dass die thailändischen Arbeiter nicht mehr unmittelbar in der Krisenregion nahe des Gazastreifens eingesetzt werden. Auch die Grenzregion zum Libanon sollte Tabu sein. Das wären annehmbare Konditionen, finde ich.
Und wie geht es politisch weiter?
Eine thailändische Delegation ist in den Iran gereist und hat sich dort im Gespräch mit einem Hamas-Repräsentanten für Freilassung der Geiseln eingesetzt. Das hat tatsächlich Wirkung gezeigt, wie wir nun wissen. Traditionell ist die thailändische Regierung sehr eng mit Israel verbunden. Sie bemüht sich aber auch um gute Beziehungen zu den arabischen Staaten. Es wird wohl weiterhin eine Balance angestrebt zwischen den arabischen Staaten und dem Westen.
Vanessa Steinmetz leitet die FNF-Büros Thailand und Myanmar.