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Move Forward
Thailands Justiz löst Oppositionspartei auf – die gründet sich kurzerhand neu

Pita Limjaroenrat

Pita Limjaroenrat, Ex-Spitzenkandidat der nun aufgelösten MFP.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Seksan Rochanametakul

Das thailändische Verfassungsgericht hat entschieden, dass sich die größte Oppositionspartei des Landes - die „Move Forward Party“ - auflösen muss. Elf führende Parteimitglieder sind mit einem zehnjährigen Politik-Bann belegt worden, darunter auch der Spitzenkandidat der letzten Wahl, Pita Limjaroenrat. Seine Parteikollegen zeigen sich enttäuscht, aber kampfeslustig – und haben schon eine neue Partei gegründet.

Mehr als 14 Millionen Thailänderinnen und Thailänder hatten bei der letzten Wahl für sie gestimmt: Die progressive „Move Forward Party“ galt vielen als Hoffnungsträger für eine neue politische Ära in dem südostasiatischen Land. Doch erst wurde der Partei trotz Wahlsieg die Regierungsbildung versagt, nun muss sie ganz aufgelöst werden. Das hat das Verfassungsgericht des Landes am Mittwoch entschieden. Zudem dürfen der ehemalige MFP-Spitzenkandidat Pita Limjaroenrat und zehn weitere führende Parteimitglieder zehn Jahre lang keine politischen Ämter ausüben. In einem weiteren Verfahren drohen 44 MFP-Politikern, darunter auch Pita, sogar ein lebenslanger Politik-Bann.

Die neun Richter des Verfassungsgerichts folgten mit ihrem Urteil dem Antrag der Wahlkommission, die die Auflösung der MFP gefordert hatte. Sie warf der Partei vor, verfassungswidrig gehandelt zu haben, weil sie sich für eine Entschärfung des Majestätsbeleidigungsparagrafen eingesetzt hatte. Demnach stellt diese Forderung den Versuch dar, die Monarchie zu untergraben. Thailands Strafgesetzbuch, Paragraf 112, besagt, dass Beleidigungen des Königs oder der Königin sowie des Thronfolgers oder des Regenten mit mindestens 3 und höchstens 15 Jahren Haft pro Delikt bestraft werden.

Die Verfassungsrichter hatten der MFP bereits Ende Januar attestiert, mit ihrer Politik die Monarchie zu untergraben – daher kam das Urteil zur Parteiauflösung nun nicht überraschend. 2021 hatte die Move Forward Partei, damals erstmals als Oppositionspartei im Parlament, einen Gesetzentwurf vorgestellt, der den Paragrafen 112 entschärfen sollte. Die Höchststrafe für Majestätsbeleidigung sollte auf 12 Monate reduziert werden. Außerdem sollte nur noch das Büro des Königlichen Hofes Beschwerde wegen Majestätsbeleidigung einreichen können. Die Forderungen waren auch Teil des MFP-Wahlprogramms zwei Jahre später.

In der Urteilsbegründung vom Mittwoch hieß es, die Politik der MFP und ihre Kampagne zur Änderung des Paragrafen 112 hätten den Schutz der königlichen Institution untergraben. Zudem sei so die Institution ausgenutzt worden, um bei den Wahlen Stimmen zu gewinnen. Der Versuch, die königliche Institution in Konflikt mit dem Volk zu bringen, habe das Vertrauen der Menschen in die Institution erschüttert, so das Gericht.

 

„Ideale kann man nicht ins Gefängnis stecken“

Erste Reaktionen aus dem Ausland auf das Urteil fielen deutlich aus. Das US-Außenministerium erklärte, die Entscheidung gefährde den demokratischen Fortschritt Thailands und stehe im Widerspruch zu den Bestrebungen des thailändischen Volkes nach einer starken, demokratischen Zukunft. Die Europäische Union bezeichnete das Gerichtsurteil als "Rückschlag für den politischen Pluralismus in Thailand". "Kein demokratisches System kann ohne eine Pluralität von Parteien und Kandidaten funktionieren", heißt es in einer Presseerklärung des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Premierminister Srettha Thavisin wies die Kommentierung aus dem Ausland harsch als „bedeutungslos“ zurück und verwies auf die Souveränität Thailands.

Die Abgeordneten der MFP zeigten sich vom Urteil bestürzt, aber dennoch kampfeslustig. Die fünf Parteifunktionäre und sechs Abgeordneten, die für eine Dekade nun nicht mehr politisch tätig sein dürfen, legten sofort nach Urteilsverkündung ihre Arbeit nieder. Chaithawat Tulathon, Oppositionsführer und einer der künftig von der Politik ausgeschlossenen Abgeordneten, stand im Plenarsaal auf und verabschiedete sich von seinen Kolleginnen und Kollegen mit den Worten, es sei eine „Ehre" gewesen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die anderen MFP-Abgeordneten versammelten sich und reckten die Faust in die Luft. Die 143 Abgeordneten, die nicht vom Politik-Bann betroffen sind, haben nun 60 Tage Zeit, sich einer anderen Partei anzuschließen.

Einer von ihnen ist Bhuntin Noumjern. Er habe im Anschluss an das Urteil viel Zuspruch von seinen Wählerinnen und Wählern bekommen, berichtet er. „Man kann die Menschen nicht vom Denken abhalten. Ideale können nicht ins Gefängnis gesteckt werden, das ist unmöglich.“ Das Urteil zeige den Menschen deutlich, dass die Partei nicht fair behandelt werde. Dennoch verspricht er sich davon sogar noch Aufwind. Die Auflösung der Partei mache deutlich: „Jetzt heißt es wir gegen die anderen“. Er werde sich, genauso wie seine Kolleginnen und Kollegen mit MFP-Mandat, der Nachfolgepartei anschließen und für sie weiter die Oppositionsrolle im thailändischen Parlament wahrnehmen, sagt Bhuntin.

Aus „Move Forward Party“ wird „People’s Party“

Keine 48 Stunden nach dem Urteil zur Parteiauflösung stehen dazu schon erste wichtige Details fest: Statt der „Move Forward Party“ wird es die „People’s Party“, auf Thailändisch „Prachachon Party“ geben. Das gaben ehemalige MFP-Politiker bei einer Pressekonferenz am Freitag bekannt.

Eine solche Neugründung war erwartet worden. Schon vorher hatte die Vize-Vorsitzende Sirikanya Tansakun verkündet, dass die neue Partei einiges anders machen werde, ihrer „Kernideologie“ aber treu bleibe. Ausdruck dessen ist auch das Logo der neuen Partei, das dem orangefarbenen Triangel-Logo der MFP zum Verwechseln ähnlich sieht. Sirikanya, eine Ökonomin, war auch als neue Vorsitzende gehandelt worden, jedoch ging der Posten letztlich an jemand anderen: Nattapong Ruangpanyawut. Er sieht dem Parteigründer der Vorgängerpartei, „Future Forward“, Thanathorn Juangroongruangkit, nicht nur sehr ähnlich, die beiden sollen auch gute Freunde sein.

Für viele Beobachter thailändischer Politik sind diese Vorgänge ein Déjà-vu. Seit dem Militärputsch von 2006 gab es in Thailand bereits 34 Parteiauflösungen. Unter ihnen war auch die „Future Forward Party“, der Vorgänger der „Move Forward Party“. Das Parteiverbot löste 2020 riesige Straßenproteste aus mit nie dagewesenen Forderungen nach einer Reform der Monarchie. Die Forderungen blieben unerfüllt, mehr als 280 Menschen wurden seitdem wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, unter ihnen viele Demokratieaktivistinnen und –Aktivisten. Auch deshalb gehen Beobachterinnen und Beobachter nun nicht davon aus, dass es erneut zu Massenprotesten kommen wird.

Die Wut der Menschen auf das alte System werde sich stattdessen bei den nächsten Wahlen in Wählerstimmen ausdrücken, das hoffen zumindest Bhutin und seine Mitstreiter. „Wir werden noch härter arbeiten. Wir sind stark und geben nicht auf“, sagt er. „Wir haben immer noch Hoffnung.“

Vanessa Steinmetz leitet die FNF-Büros in Thailand, Vietnam und Myanmar.