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Thailand
Thailands Move Forward Partei vor Auflösung - Kampf um Meinungsfreiheit und Demokratie

„Untergrabung der Monarchie"
MFP-Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat

MFP-Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Sakchai Lalit

Im Königreich Thailand gewann die progressive Move Forward Partei die Parlamentswahl. Trotzdem musste sie sich mit der Oppositionsrolle begnügen. Nun scheint ihre Auflösung bevorzustehen. Hintergrund ist das Bestreben der Partei, Majestätsbeleidigung milder zu bestrafen. Darin sieht Thailands Verfassungsgericht den Versuch, die Monarchie zu untergraben.

Thailands Wahlkommission hat das Verfassungsgericht aufgefordert, die größte Oppositionspartei des Landes, die Move Forward Partei (MFP), aufzulösen. Hintergrund ist das Bestreben der Partei, Majestätsbeleidigung milder zu bestrafen. Da die Verfassungsrichter der MFP bereits Ende Januar attestiert hatten, mit ihrer Politik die Monarchie zu untergraben, ist nun mit der Auflösung der Partei zu rechnen.

Bei der Parlamentswahl im Mai 2023 hatte die MFP 14,5 Millionen Stimmen gewonnen und wurde damit zur stärksten Partei Thailands. Ihre 151 Parlamentssitze entsprechen 38 Prozent. Weil das Wahlprogramm progressiv und die Kandidatinnen und Kandidaten jung waren, hatten sich vor allem junge Wählerinnen und Wähler für MFP entschieden. Zu den progressiven Forderungen der Partei zählte, Majestätsbeleidigung milder zu bestrafen.

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© FNF

Thailands Strafgesetzbuch, Paragraf 112, besagt, dass Beleidigungen des Königs oder der Königin sowie des Thronfolgers oder des Regenten mit mindestens 3 und höchstens 15 Jahren Haft pro Delikt bestraft werden. So können einem kritischen Facebook-Post oder dem Weiterleiten eines solchen Posts mehrere Jahre Haft folgen. Jüngst wurde ein 30-jähriger Verkäufer, der auf sozialen Medien 25 Links zu Inhalten weitergeleitet hatte, die als Majestätsbeleidigung angesehen wurden, zu insgesamt 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Das ist Rekord. Üblicher sind Strafen zwischen 5 und 20 Jahren.

Seit 2020 wurde laut „Thai Lawyers for Human Rights“ 287 Mal Anklage wegen Majestätsbeleidigung erhoben, meist gegen Demokratie-Aktivisten, die ab 2020 bei großen Demonstrationen oder online unter anderem eine Reform der Monarchie gefordert hatten. Knapp zwei Drittel der Verfahren laufen noch. Mit mehr als 100 Urteilen, die bereits gefällt sind, wurden 80 Prozent der Angeklagten zu Gefängnis verurteilt. Das schreckt ab. Nun gibt es keine großen Demokratie-Demonstrationen mehr.

Pita Limjaroenrat trifft sich mit Pressevertretern im thailändischen Parlamentskomplex, nachdem das Verfassungsgericht das Wahlkampfversprechen der Move Forward Party, den Majestätsbeleidigungs-Paragrafen 112 zu entschärfen, für verfassungswidrig erklärt hat.

Pita Limjaroenrat trifft sich mit Pressevertretern im thailändischen Parlamentskomplex, nachdem das Verfassungsgericht das Wahlkampfversprechen der Move Forward Party, den Majestätsbeleidigungs-Paragrafen 112 zu entschärfen, für verfassungswidrig erklärt hat.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andre Malerba

Opposition statt Regierungsübernahme

2021 hatte die Move Forward Partei, damals erstmals als Oppositionspartei im Parlament, einen Gesetzentwurf vorgestellt, der den Paragrafen 112 entschärfen sollte. Die Höchststrafe für Majestätsbeleidigung sollte auf 12 Monate reduziert werden. Außerdem sollte nur noch das Büro des Königlichen Hofes Beschwerde wegen Majestätsbeleidigung einreichen können. Bislang kann jede Bürgerin und jeder Bürger Anzeige erstatten. 44 Move Forward Politiker unterzeichneten den Gesetzentwurf, aus dem im Parlament nichts wurde. Allerdings waren die Forderungen Teil des MFP-Wahlprogramms, mit dem die Partei zwei Jahre später die Wahl gewann.

Thailands Konservative bekämpfen die MFP mit aller Macht. Trotz Wahlsieg durften die Partei und ihr Spitzenkandidat die Regierung nicht übernehmen. Zwar hatten die MFP und ihre Koalitionspartner eine breite Mehrheit im Parlament. Aber der Premier wurde nicht nur von den 500 neuen Parlamentariern gewählt. 250 Senatoren, die nicht vom Volk gewählt, sondern 2019 von Generälen ernannt worden waren, stimmten mit ab. Sie verhinderten die Regierungsübernahme der Wahlsiegerin. Die Move Forward Partei musste sich mit der Oppositionsrolle begnügen.

"Untergrabung der Monarchie"

Damit nicht genug. Es folgte ein Verfahren gegen den MFP-Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat wegen angeblicher Verstöße gegen die Wahlordnung, das allerdings scheiterte. Der nächste Angriff kam von einem Anwalt namens Theerayut Suwankesorn. Per Petition bat er das Verfassungsgericht, das Bestreben der MFP und ihres Spitzenkandidaten zu stoppen, den Majestätsbeleidigungs-Paragrafen 112 zu entschärfen. Dieses Bestreben, so Theerayut, käme einem Versuch gleich, die Monarchie zu stürzen. MFP-Spitzenkandidat Pita stellte klar, dass es um eine Änderung und nicht um die Aufhebung des Paragrafen gehe. Paragraf 112 sei gegen politische Gegner eingesetzt worden.

Die neun Verfassungsrichter folgten einstimmig der Petition des Anwalts. „Die Tatsache, dass Änderungen von Paragraf 112 des Strafgesetzbuchs vorgeschlagen und diese als Parteipolitik im Wahlkampf verwendet wurden, deutet auf die Absicht hin, die Institution der Monarchie zu untergraben und zu schwächen - was zu ihrer Aushöhlung, Verschlechterung oder Verwundbarkeit führen würde, was letztendlich zum Sturz der demokratischen Regierung mit dem König als Staatsoberhaupt führen würde", begründete Richter Udom Rat-Arthorn das Urteil. Das Gericht wies an, alle Aktivitäten einzustellen, die auf die Aufhebung von Paragraf 112 abzielen, „einschließlich Meinungsäußerungen, Reden, Schriften, Werbung und alle anderen Formen der Kommunikation.“ Der Spruch der Verfassungsrichter sowie ihr Maulkorb-Erlass machen den Majestätsbeleidungs-Paragrafen 112 unantastbar.

„Während das Gericht zu dem Schluss kommt, dass bestimmte Aktionen einen Versuch zum Sturz der Monarchie darstellen, bleibt unklar, ob dies bestätigt oder spekulativ ist. Diese Widersprüche untergraben Rechtsgrundsätze und lassen Zweifel an der wahren Begründung solcher Urteile aufkommen“, sagt Dr. Munin Pongsapan, ehemaliger Dekan der juristischen Fakultät der Thammasat-Universität. „In Thailand besteht die Tendenz, dem Gerichtshof weitreichende Befugnisse zu übertragen, was autoritär wirken kann und im Widerspruch zu demokratischen Grundsätzen steht.“

Langfristige Implikationen für Thailands Demokratie

Die MFP entfernte ihre Forderungen, den Paragrafen 112 zu entschärfen, von ihren Webseiten. Auch der Gesetzentwurf von 2021 ist online nicht mehr zu finden. „Was uns umgehauen hat ist, dass das Urteil nicht nur unmittelbare Folgen für die Partei und ihre Abgeordneten haben wird, sondern langfristige Implikationen für den Status, die Gesundheit und die Richtung von Thailands Demokratie und Thailands politischem System", sagte MFP-Sprecher Parit Wacharasindhu dem TV-Sender Thai PBS World.

Auch wenn die Partei den Paragrafen 112 nicht mehr antasten darf: MFP hat weitere, für Thailand außergewöhnliche Vorstellungen. Einnahmen und Ausgaben des Militärs, das auch Firmen kontrolliert, sollen transparenter werden. MFP will den Wehrdienst abschaffen und die Anzahl der Generäle reduzieren. Zudem schlug die Partei vor, ein paar der vielen Golfplätze, die das Militär besitzt, in öffentliche Parks umzuwandeln.

Laut Umfragen ist die MFP ein knappes Jahr nach der Wahl nicht nur weiterhin Thailands beliebteste Partei - ihr Vorsprung ist nun größer. Das konservative Establishment ist alarmiert, auch Anwalt Theerayut. Ihm reichte seine erfolgreiche Petition nicht aus. Er schickte das Urteil des Verfassungsgerichts der Wahlkommission zu und drängte auf weitere Schritte gegen die MFP. Laut Parteiengesetz können Parteien, welche versuchen, die Monarchie zu stürzen, aufgelöst werden. Genau das, die Auflösung der Move Forward Partei, fordert die Wahlkommission nun vom Verfassungsgericht. Dass die Richter die Partei tatsächlich auflösen, erscheint höchstwahrscheinlich.

Neuer Name, neue Führung – mehr Erfolg

Die Auflösung der MFP-Partei ginge möglicherweise einher mit einer 10-jährigen Politiksperre ihres Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat. Zudem könnten die Richter weitere MFP-Politikerinnen und Politiker eine Dekade lang politische Aktivitäten untersagen, zum Beispiel dem gesamten Vorstand und den 44 MFP-Abgeordneten, die 2021 den Gesetzentwurf unterzeichneten, mit dem Majestätsbeleidigung milder bestrafen werden sollte. Über den 44, die den Entwurf unterstützten, darunter Pita, hängt noch ein weiteres Damoklesschwert. Eine andere Petition, gerichtet an die Anti-Korruptionsbehörde, sieht in den Forderungen des Gesetzentwurfs einen ernsten Ethik-Verstoß, der lebenslange Politik-Sperren nach sich ziehen könnte.

“Unser Erfolg ist zu viel und zu schnell für sie“, sagte der MFP-Vorsitzende Chaithawat Tulathon der Zeitung Bangkok Post über die Gegner der MFP. „Thailands Politik und Gesellschaft ändern sich so schnell. Sie befürchten, dass es ihre Machtstrukturen tangiert. Also versuchen sie, was sie können, um uns loszuwerden.“

Die Auflösung unliebsamer Parteien hat in Thailand traurige Tradition. Das Schicksal wäre auch für Move Forward nicht neu. Die Partei hieß ursprünglich Future Forward Party. FFP wurde 2020 aufgelöst. 15 Spitzenpolitiker, darunter der Partei-Gründer, der Sprecher und die Generalsekretärin, erhielten 10-jährige Politiksperren. Doch die Partei machte mit neuer Führung und unter neuem Namen als Move Forward weiter. MFP wurde erfolgreicher als je zuvor und gewann die nächste Wahl. Für den Fall einer erneuten Auflösung in diesem Jahr könnte wieder ein neuer Parteiname gewählt werden. Eine neue Riege junger, progressiver MFP-Politiker soll bereitstehen.

So hatte zuvor auch die Partei von Thailands Ex-Premier Thaksin Shinawatra agiert. Als Thai Rak Thai gegründet und zwischenzeitlich aufgelöst, arbeitete die Partei mit neuem Namen, Pheu Thai, und mit neuer Führung weiter - und regiert heute wieder.

Vanessa Steinmetz leitet das Thailand-Büro, Moritz Kleine-Brockhoff das Regionalbüro Südost- und Ostasien der FNF in Bangkok. Ganyanat Phathithin ist Kommunikationsreferentin des FNF Thailand-Teams.