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Türkei
Israel und Türkei: Kleine Schritte in Richtung Frieden

Der israelische Staatspräsident Isaac Herzog und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan

Der israelische Staatspräsident Isaac Herzog und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Pressekonferenz nach ihrem Treffen in Ankara am 9. März 2022

© picture alliance / EPA | STR

Zwei Jahre der Koordination zwischen Vertretern der Außenministerien, Geheimdienste und Präsidialbüros beider Staaten mündeten im März 2022 endlich im Besuch des israelischen Präsidenten Yitzhak Herzog in Ankara. Nachdem die bilateralen Beziehungen seit 1948 von viel Auf und Ab geprägt waren, gegenseitige Anschuldigungen bis hin zu Bedrohungen erlebt haben, auch Zynismus und Identitätsdebatten, versucht die Türkei nach einer längeren Periode der außenpolitischen Nicht-Beachtung in den letzten Jahren wieder, einen kooperativen Ton mit ihrem Nachbarstaat zu finden.

Die Beziehungen zu Israel waren 2009 umgeschlagen, nachdem der damalige türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan nach einer Debatte über den Gazastreifen mit dem israelischen Präsidenten Shimon Perez das Weltwirtschaftsforum in Davos verlassen hatte. 2010 kam es dann zum Ship-to-Gaza-Zwischenfall, bei dem die israelische Marine eine Operation gegen das Schiff Mavi Marmara ausführte. Das Schiff war Teil der Organisation Gaza Freedom Flotilla und transportierte humanitäre Hilfe sowie Baumaterial. Neun Menschen wurden getötet, ein weiterer erlag später seinen Verletzungen.

Die Operation war ein Tiefpunkt in den türkisch-israelischen Beziehungen. Sie sorgte für einen Stillstand in der Kommunikation und leitete eine Reihe von Feindseligkeiten ein. Erst auf Druck des amerikanischen Präsidenten Obama kam es 2013 schließlich zu einem Anruf des israelischen Präsidenten Netanjahu bei Erdoğan, bei dem er sein Bedauern über die Operation auf der Mavi Marmara zum Ausdruck brachte. Drei weitere Jahre vergingen, bis Reparationszahlungen von insgesamt 20 Millionen US-Dollar an die Angehörigen derer erfolgten, die auf dem Schiff ihr Leben gelassen hatten.

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 veränderte die Dynamik im Nahen Osten grundlegend. Seine Entscheidung, Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anzuerkennen, stieß in Ankara auf Widerstand. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der damaligen britischen Premierministerin Theresa May sagte Erdoğan: „Wir werden den Versuch der USA, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen, niemals akzeptieren.“ Tausende Menschen in der ganzen Türkei organisierten Proteste und Kundgebungen gegen Trumps Entscheidung. 2018 entfachte der Große Marsch der Rückkehr in Gaza erneuten Streit. Ankara rief türkische Diplomaten in Washington und Tel Aviv „für Konsultationen“ zurück und ordnete eine dreitägige Staatstrauer aus Solidarität mit Palästina an. Nach einem erbitterten Wortgefecht zwischen den Staatsoberhäuptern forderte das israelische Außenministerium den türkischen Generalkonsul bei der Palästinensischen Autonomiebehörde auf, das Land zu verlassen. Daraufhin wies auch die türkische Seite den israelischen Generalkonsul in Istanbul aus. Seitdem unterhielten die beiden Länder diplomatische Beziehungen ausschließlich auf der Ebene von Geschäftsträgern.

Ende 2019 unterzeichneten die Türkei und Libyen einen Seegrenzenvertrag, um für bestimmte Teile des Mittelmeers eine exklusive Wirtschaftszone einzurichten und sich Rechte an den dortigen Öl- und Gasvorkommen zu sichern. Dies veranlasste Israel, die Zusammenarbeit mit Griechenland, Frankreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Zypern und Ägypten zu suchen. Auch der israelische Plan, für seine Reserven in Leviathan und Tamar eine Erdgaspipeline zum europäischen Markt zu bauen, gewann durch die wechselhaften Beziehungen mit der Türkei eine andere Dynamik, und Israel sah sich gezwungen, sich alternativen Partnern wie Zypern, Griechenland und Ägypten zuzuwenden. Dieses informelle Bündnis bewies bereits bei Marineübungen seine militärische Leistungsfähigkeit. 2020 unterzeichnete Israel die Abraham Accords Declaration mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA zur Vertiefung der Zusammenarbeit am Golf. Das Abkommen bot Israel auch die Gelegenheit, seine Beziehungen zu den Golfstaaten auszubauen. Wenngleich Saudi-Arabien Israel nicht offiziell anerkennt, haben sich die Beziehungen in den letzten acht Jahren de facto verbessert. Die wachsende Kooperation Israels mit allen prominenten Akteuren der Region zwang Ankara schließlich, seine bis dahin harte Gangart anzupassen.

Ab Ende 2020 leitete die Türkei einen Normalisierungsprozess mit Ägypten, Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein. Die Anbahnung einer Reihe geheimer Verhandlungsgespräche mit Israel verzögerte sich jedoch aufgrund der vier Neuwahlen in Israel von April 2019 bis März 2021, die sich auch auf das innenpolitische Gleichgewicht auswirkten. Die schließlich gebildete und noch amtierende Regierung ließ den scharfen Ton der Netanjahu-Zeit hinter sich. Am 7. Juli 2021 wurde Yitzhak Herzog zum neuen Präsidenten gewählt. Beginnend mit einer Gratulation Erdoğans zur Wahl folgten endlich einige Telefongespräche der Staatsoberhäupter mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen den Ländern wiederherzustellen.

Die Festnahme eines israelischen Ehepaars unter dem Vorwurf der Spionage am 11. November 2021 verschärfte die Fronten kurzzeitig wieder. Eine Eskalation der Krise wurde jedoch durch strategische Kommunikation und rechtzeitiges Eingreifen oberster Regierungsbeamter umgehend verhindert.

Anfang 2022 reiste Alon Ushpiz, Direktor des israelischen Außenministeriums, nach Ankara, um die israelische Agenda mit dem türkischen Präsidentensprecher İbrahim Kalın zu besprechen und die Absichten der Türkei für die Zukunft zu beurteilen.

Im Februar dieses Jahres erhielt Erdoğan einen Anruf mit Genesungswünschen von Präsident Herzog, als er und seine Frau sich mit Covid-19 infizierten. Daraufhin lud Erdoğan Herzog in die Türkei ein. Unterdessen beschlossen die USA, sich aus dem EastMed-Gaspipeline-Projekt, einer Allianz aus Israel, Griechenland und Zypern zum Bau einer 1.900 Kilometer langen Pipeline nach Europa, zurückzuziehen. Bereits zuvor hatten die USA Bedenken geäußert, weil die Türkei aus dem 7-Milliarden-Dollar-Projekt ausgeschlossen war. Die Einstellung der US-Unterstützung für das Pipeline-Projekt in letzter Minute wurde in der Türkei entsprechend positiv aufgenommen, denn sie dürfte zu neuen Partnerschaftsaussichten zwischen der Türkei und Israel führen und damit den Normalisierungsprozess verstärken. Die Regierung unter Joe Biden unterstützt bekanntlich die Zusammenarbeit ihrer beiden Verbündeten im Nahen Osten.

Kurz darauf besuchten İbrahim Kalın und der stellvertretende Außenminister Sedat Önal Jerusalem sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite, um eine mögliche Normalisierung zu erörtern und die notwendigen Vorkehrungen für den Besuch von Präsident Herzog in der Türkei zu treffen.

Durch die Verbindung des Präsidentenbesuchs in der Türkei mit Besuchen in Athen und Nikosia behielt Israel auch die Kooperation mit Griechenland und Zypern bei. Während seiner Rede in Nikosia Anfang März bezog sich Herzog auch auf die Türkei:

"Herr Präsident, der Konflikt [die russische Invasion in der Ukraine], der derzeit vor unseren Augen stattfindet, ist eine tragische Erinnerung an die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten, um unsere liebsten Werte, Prinzipien und Interessen zu schützen. Genau das ist meine Botschaft an die Türkei, da ich an die Zusammenarbeit zwischen Menschen und allen Glaubensrichtungen zum Wohle der Menschheit glaube.“

Präsidenten Herzog besuchte während seiner Türkeireise das Mausoleum von Mustafa Kemal Atatürk und trug sich in das Gästebuch mit einem Zitat aus Ketuvim (drittes Buch des Tanakh) ein: „Meide das Böse und tue Gutes, suche Freundschaft und folge ihr.“ (Psalm 34:14)

Nach einem Tête-à-Tête zwischen den Staatsoberhäuptern drückte Präsident Erdoğan seine Hoffnung aus, das gemeinsame Handelsvolumen werde weiter wachsen und beide Länder würden in Zukunft vor allem in Bereich Energiesicherheit zusammenarbeiten. Angesichts der regionalen Entwicklungen, insbesondere in der Ukraine und im östlichen Mittelmeerraum, sagte er: „Ich glaube, dass die Zukunft neue Möglichkeiten regionaler Zusammenarbeit und bilateraler Beziehungen mit sich bringen wird.“

Präsident Herzog antwortete Erdoğan mit einer gut vorbereiteten Rede, die die Art der Beziehung beider Staaten unterstrich: „Der Ballast der Vergangenheit verschwindet nie von selbst, aber wir – unsere beiden Völker, unsere beiden Länder – entscheiden uns dafür, uns auf eine Reise des Vertrauens und des Respekts zu begeben, die einen eingehenden Dialog in allen Bereichen beinhalten wird. Wir müssen uns darauf einigen, dass wir uns nicht in jedem Thema einig sein werden. Das ist der Charakter einer Beziehung mit einer so reichen Vergangenheit wie der unseren. Aber wir werden danach streben, unsere Meinungsverschiedenheiten mit gegenseitigem Respekt und gutem Willen durch geeignete Mechanismen und Institutionen zu lösen, die wir mit Blick auf eine gemeinsame Zukunft entwickeln werden.“

Das Hauptproblem der türkisch-israelischen Beziehungen ist das durch die vergangenen Vorfälle verursachte Vertrauensdefizit. Um dieses zu überwinden, muss ein sensibler Vertrauensbildungsprozess eingeleitet werden, der aber durch die Realpolitik oder unerwartete Ereignisse in der Region jederzeit wieder Schaden nehmen kann.

Der Aufbau notwendiger Kommunikationskanäle ist eine der Voraussetzungen für diesen Prozess. Israel und die Türkei werden Botschafter ernennen, um die Präsenz der jeweiligen Vertretungen zu verstärken. Zudem muss für den Aufbau einer stabilen Beziehung auch die Öffentlichkeit transparent informiert und einbezogen werden.

Beide Länder sollten mit kleinen Schritten aufeinander zugehen, auch wenn der Aufbau der Kooperation etwa im Bereich Energie ein langfristiger Prozess ist. Gelingt die Normalisierung, würde sich das positiv auf die Sicherheit der ganzen Region auswirken.

Türkei in Drei

Suat Kınıklıoğlu, Eurasianism in Turkey, https://www.swp-berlin.org/en/publication/eurasianism-in-turkey

Hazar Dost, Turkish tourism sector scrambles to minimize fallout of Ukraine war,  https://www.al-monitor.com/originals/2022/03/turkish-tourism-sector-scrambles-minimize-fallout-ukraine-war

Elmas Topcu, Türkische Kampfdrohnen. Wunderwaffe im Ukraine-Krieg?, https://de.qantara.de/inhalt/tuerkische-kampfdrohnen-wunderwaffe-im-ukraine-krieg