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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Ungleichheit
Die Reichen zahlen schon den Großteil der Steuern

Über Kosten und Nutzen von Steuererhöhungen
Paqué
© Thomas Imo/photothek.net


Starke Schultern sollten mehr belastet werden? Das ist heute schon so. Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bringt finanziell wenig. Viel wichtiger wäre es, dem Einzelnen mehr Chancen auf Wohlstand zu geben.

Eigentum verpflichtet, daran erinnerte Ralf Fücks vor einigen Tagen in dieser Zeitung. Dem kann man nur zustimmen. Wer mit seinem Eigentum unverantwortlich umgeht, der bringt die Soziale Marktwirtschaft in Verruf. Was allerdings „unverantwortlich“ genau heißt, das muss strikt rechtsstaatlich geprüft und entschieden werden.

Das gilt in jedem freiheitlichen Gemeinwesen – und es gilt mit besonderem moralischem Gewicht in einer Nation wie der deutschen, die mit dem Nationalsozialismus eine grausame Vergangenheit der grundlosen Enteignung von Juden hinter sich hat. 

Jeder politische Feldzug gegen Reiche und Wohlhabende ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Er darf nicht auf Missgunst und Neid beruhen – und schon gar nicht auf Klassen- oder Rassenhass. Das Gemeinwohl als letzte Rechtfertigung für die Enteignung muss so eng gefasst werden, dass es niemals zum Einfallstor für blinde Wut und Ressentiments wird.

Völlig legitim ist es dagegen, sich über die Verteilung des Wohlstands in unserer Gesellschaft ernsthafte Sorgen zu machen. Sind Einkommen und Vermögen zu ungleich verteilt? Welcher Maßstab zählt? Und vor allem: Was können wir tun? Ralf Fücks hat recht: Nach 30 Jahren Globalisierung ist es sicherlich an der Zeit, die Lage neu zu prüfen und zu diskutieren – im Aufgalopp zu einer Bundestagswahl, die große Bedeutung hat für die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft.

Tatsächlich ist das Vermögen ungleich verteilt: Laut DIW gehören fünf Prozent der Bevölkerung 55 Prozent des Gesamtvermögens, die obersten ein Prozent kommen allein auf rund ein Drittel. Muss man da nicht hart eingreifen und umverteilen?

Die Antwort lautet: Man tut es bereits, und zwar vor allem über die Einkommensteuer. Ein Prozent aller Einkommensteuerpflichtigen, die absoluten Topverdiener, finanzierten zuletzt 21,5 Prozent, die reichsten zehn Prozent 55 Prozent und die reichsten 25 Prozent fast 77 Prozent des gesamten Aufkommens der wichtigsten Steuer in Deutschland, die dem Staat inzwischen in normalen Jahren rund 300 Milliarden Euro an Einnahmen einbringt.

Sie tun dies, weil ab etwa 270.000 Euro Jahreseinkommen jeder zusätzliche Euro zu 45 Prozent versteuert wird, ab 57.000 Euro (bis 270.000 Euro) sind es 42 Prozent.

Zum Schluss kommt die Erbschaftsteuer

Dies geschieht Jahr für Jahr – als eine Art „Abschlagszahlung“ auf die Vermögensakkumulation im Laufe eines Lebens, und am Schluss kommt dann noch eine Erbschaftsteuer dazu, die je nach Verwandtschaftsgrad und Höhe des Vermögens variiert, aber ab einem Vermögen von 26 Millionen Euro sich immerhin auf 30 bis 50 Prozent beläuft.

Es stellt sich mithin die konkrete Frage: Wollen wir wirklich in Deutschland die Wohlhabenden noch stärker besteuern, als wir dies ohnehin schon tun? Soll der Grenzsteuersatz auf Einkommen und Erbschaft wirklich bei weit über 50 oder gar 75 Prozent liegen, damit die Umverteilungsmasse nochmals drastisch anwächst?

Klar ist nämlich: Eine nur leichte Erhöhung um ein paar Prozentpunkte bringt fiskalisch nur wenig und lässt die Einkommens- und Vermögensverteilung weitgehend unverändert.

Es ist merkwürdig: Die öffentliche Klage über die gesellschaftliche Ungleichheit bewegt sich wie bei Ralf Fücks auf moralphilosophisch hohem Niveau, begibt sich aber nicht in die Niederungen der steuerpolitischen Wirklichkeit. Dies gilt vor allem für jene, die von grüner, sozialdemokratischer und sozialistischer Seite mit moralischem Gestus mehr Umverteilung und Steuerprogression fordern, aber sich hüten, ihre Vorstellungen in konkrete Zahlenwerke zu gießen. 

Diese Zahlen braucht man aber dringend, wenn mit politischer Vernunft über unterschiedliche Umverteilungsprojekte diskutiert werden soll. Sonst bleibt alles nebulös. Die Diskussion muss dabei umfassend geführt werden – auch mit Blick auf die Folgen der Besteuerung für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb.

Die liberale Gegenposition ist dagegen einfach und klar: Wir haben bereits ein stark progressives Steuersystem. Und wenn wir die Einkommens- und Vermögensverteilung in unserer Gesellschaft nachhaltig verändern wollen, dann müssen wir dies anders machen: durch Angriff auf die Ursachen, nicht durch Kurieren am Symptom.

Vor allem brauchen wir mehr Chancengerechtigkeit. Dafür muss der Staat die Rahmenbedingungen schaffen: mit besseren Bildungschancen für ärmere Familien, besseren Möglichkeiten der Finanzierung von Eigenheimen, besseren Chancen der betrieblichen Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern, besseren Möglichkeiten der Vorsorge für das Alter. 

Und vor allem: Vollbeschäftigung mit steigenden Löhnen, denn nur dann besteht die Aussicht, dass die Wachstumsrate von Einkommen der breiten Masse die Vermögensrenditen der Wohlhabenden wieder übertrifft – so wie in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit, die heute gerne (und zu Recht!) als paradiesische Epoche der Gleichheit beschworen werden. 

Die demografische Entwicklung gibt uns durchaus die Chance, dem wieder näherzukommen. Aber eben nicht durch mehr Besteuerung der Reichen, sondern durch Chancengleichheit für die Armen.




Dieser Artikel erschien erstmals am 27. September 2020 auf Welt Online und ist hier zu finden.