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Freiburger Thesen
Werner Maihofer: „Mehr Freiheit für mehr Menschen“

Rede von Werner Maihofer
Werner Maihofer Freiburger Thesen
Werner Maihofer

Auszüge aus der Rede von Werner Maihofer auf dem 22. Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei, der vom 25.–27. Oktober 1971 stattfand.

Den Freiburger Thesen der FDP zur Gesellschaftspolitik, über die wir heute die Generaldebatten unseres Parteitages eröffnen, sind in der Einleitung einige grundlegende Aussagen über die Voraussetzungen und Zielsetzungen liberaler Gesellschaftspolitik vorangestellt.

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Auf die Frage, was denn den Liberalen Demokraten von allen anderen unterscheide und auszeichne, pflegen wir die Antwort zu geben: Sein unbedingtes Eintreten für die Wahrung und Mehrung menschlicher Freiheit! Damit ist alles und doch nichts gesagt. Ist das Wort Freiheit doch, zumindest als ein Lippenbekenntnis für Schönwetterzeiten, heute in aller Munde; auch in dem Sozialer und Christlicher Demokraten. Aber es ist doch allein für uns Liberale Demokraten das Schlüsselwort für eine ganze politische Konzeption, das Losungswort für ein ganzes politisches Programm, der Kampfruf für eine ganze politische Epoche, die mit den demokratischen Revolutionen in Amerika und Frankreich zu Ende des 18. Jahrhunderts anhebt und bis heute das geistige Schicksal unserer westlichen Welt bestimmt.

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Nur in solcher aus Freiheit durch Vernunft begriffenen und ergriffenen Selbstbestimmung bleibt Menschenwürde gewahrt; als die Würde eines Wesens, das „sich selbst seine Zwecke setzt“ und darum niemals zum „bloßen Mittel für die Zwecke anderer“ werden kann und darf.

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Auch für den Liberalismus ist so Freiheit von Anfang nicht ein Selbstzweck und Selbstwert, sondern Freiheit zur Selbstbestimmung. Sie ist nichts anderes als der von aller Fremdbestimmung und allem Anpassungszwang ausgesparte und freigehaltene Raum, in dem sich Würde und Glück des Menschen in der freien Wahl der eigenen Bestimmung: der Zwecke und Ziele dieser einzelnen und einzigen menschlichen Persönlichkeit, herstellen und behaupten kann.

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In einer solchen freien Gesellschaft ist dem Prinzip nach jedoch nicht nur der größtmögliche Freiheitsspielraum für die Selbstbestimmung eines jeden eröffnet und damit der personalen Autonomie Raum gegeben, soweit sich dies mit den Rechten anderer: ihrem gleichen Recht auf Leben und Gesundheit, auf Ehre und Eigentum verträgt. Mit dieser größten und gleichen Freiheit eines jeden ist in einer solchen freiheitlichen Gesellschaft zugleich der Widerstreit und Wettstreit der wechselseitigen Betätigungen der Freiheit, innerhalb der Grenzen des alle verbindenden Rechts, in einem höchstmöglichen Umfang zur Geltung und Wirkung gebracht.

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Mit den Vorschlägen der Freiburger Thesen zur Eigentumsordnung und zur Vermögensbeteiligung, zur Ertragsbeteiligung, aber auch zur Nachlaßabgabe wird erstmals in unserem Lande in einigen der vordringlichsten Hinsichten der umfassende und entschlossene Versuch gemacht, diese in der Tradition eines Modernen Liberalismus von John Stuart Mill und Lorenz von Stein an sich abzeichnende Reform des Kapitalismus von theoretischen Postulaten in praktische Programme umzusetzen und zu übersetzen.

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Solche Demokratisierung der Gesellschaft (Die Gesellschaft sind wir alle!) und Liberalisierung der Gesellschaft (Die Gesellschaft darf nicht alles!) bliebe jedoch in sich unstimmig und unvollständig, ohne gleichzeitige Gewährleistung und Sicherstellung auch der sozialen Mitbestimmungsrechte der Bürger an der Ausübung der Herrschaft nicht nur in der verfassungsmäßigen Organisation unseres Staates, sondern auch der arbeitsteiligen Organisation unserer Gesellschaft. Nur so läßt sich ein angemessener und verhältnismäßiger Ausgleich nicht nur des Ungleichgewichts des Vorteils, sondern auch der Übergewichte der Macht erreichen, die Menschen über Menschen in Verhältnissen der Arbeitsteilung gewinnen können.

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Die große Aufgabe ist, so sagt Friedrich Naumann hart und klar, durch pragmatische Alltagsarbeit allein nicht zu leisten. Sie bedarf der programmatischen Vorarbeit, über die Stunde und den Tag hinaus, in Rückbesinnung auf die in unserer liberalen Tradition erarbeiteten politischen Prinzipien des Liberalismus, und zugleich in deren Umsetzung in politische Konzeptionen des Liberalismus für die Welt von heute und morgen.