Guinea
Militärputsch in Guinea: Das Ende einer Tragödie?
Der Staatsstreich markiert das brutale Ende der fast elfjährigen Regierungszeit von Alpha Condé, dem Mann, den einst die Aura eines westafrikanischen Nelson Mandela umgab und der dann doch nichts anderes geleistet hat, als sein Land in beispielloser Weise herunterzuwirtschaften.
Am Morgen des 5. September 2021 stürmte eine Gruppe bewaffneter Soldaten den Präsidentenpalast in Guineas Hauptstadt Conakry und setzen den amtierenden 83-jährigen Präsidenten Alpha Condé ab. Als Führer der Putschisten ist der 41-jährige Kommandeur der militärischen Spezialkräfte GFS und ehemaliger Fremdenlegionär, Oberstleutnant Mamady Doumbouya. Während Präsident Condé bisher an einem unbekannten Ort inhaftiert ist und der Putsch international verurteilt wurde, konsolidieren die Militärs ihre Macht. Ein von ihnen dominiertes „Nationalem Komitee der Vereinigung und Entwicklung“ übernahm die Regierungsgeschäfte, „…um das Land von der Misswirtschaft und Unterdrückung zu befreien“. Die Mitglieder der alten Regierung wurden abgesetzt und die Verfassung aufgehoben.
Condé, bei dessen Verhaftung 30 Mio. EUR in Bar aufgefunden wurden, hinterlässt einen völlig zerrütteten Staat, der zu den Korruptesten des Kontinents gehört. Guinea ist ein Beispiel für schlechte Regierungsführung. Während sich eine kleine kleptokratische Elite um den Präsidenten jahrelang an den immensen Rohstoffexporten bereicherte, verharrte der Großteil der Bevölkerung in bitterer Armut. Das Land hat die zweifelhafte Ehre in allen internationalen Indikatoren zur Regierungsführung, Demokratie, Pro-Kopf Einkommen und Pressfreiheit ganz weit unten zu stehen - nur im Korruptionsindex spielt man um die Tabellenführung.
Dabei waren mit der Wahl Alpha Condés zum Präsidenten im Dezember 2010 nicht nur in Guinea, sondern auch international, die größten Hoffnungen verbunden. Es wurde erwartet, dass er das rohstoffreiche Land - Guinea verfügt u.a. über ein Drittel der bekannten Bauxitreserven der Welt - aus dem Teufelskreis von sozialistischer Misswirtschaft und autokratischen Machthabern führen würde, die es jahrzehntelang geprägt hatten. Dafür brachte er die besten Referenzen mit. Condé kam aus der Oppositionsbewegung, musste lange im Exil leben und war unter dem langjährigen Guineischen Diktator Lansana Conté sogar inhaftiert und gefoltert worden. Diese Biographie gab ihm etwas vom Image eines westafrikanischen Freiheitskämpfers; ein Flair von Nelson Mandela, den Condé selbst immer wieder als sein Vorbild pries. Von einem wahren Demokraten war damals die Rede, der am eigenem Leib die Übel der Diktatur erfahren hatte und daher der Demokratie und den Menschenrechten innerlichst verbunden sei.
Was dann jedoch in den nächsten elf Jahren folgte, war wohl eine der folgenschwersten Verwandlungen vom Paulus zum Saulus, die die neuere Zeit kennt. Konnte Condé in den ersten Jahren seiner Regierungszeit noch mit einigen großen Infrastrukturmaßnahmen bei der Bevölkerung punkten, so regierte er spätestens nach seiner fragwürdigen Wiederwahl 2015 zunehmend erratisch und autoritär. Er baute seinen Machtapparat auf einer ihm hörigen politischen Elite, die den Staat als Beute betrachtete und von massiven Erlösen aus den Rohstoffexporten des Landes alimentiert wurde. Die Korruption wurde endemisch. Die sichtbare Straffreiheit, mit der Nepotismus und Veruntreuung staatlicher Gelder in den ehedem nur beschränkt funktionierenden Staatsapparat einzogen, lähmte diesen nur noch weiter. Klassische Sektorministerien wurden zu Selbstbedienungsläden ihrer Behördenleiter, die dem Präsidenten dann aber für ihre Posten dankbar und eng verbunden waren. Eine ausufernde Bürokratie und staatliche Inkompetenz taten ihr weiteres, so dass die Wirtschaft nur im Rohstoffexport weiterwuchs, während der informelle Sektor wuchs und die Armut zunahm.
Überzeugt davon, dass nur er wisse, was richtig und falsch für sein Land sei, übernahm Condé zunehmend die Methoden seines einstigen Peinigers. Die Opposition wurde immer stärker eingeschüchtert und Menschenrechtsverletzungen wurden zur Tagesordnung. Vollends des Größenwahns verfallen, ließ er Anfang 2020 auf Basis eines gefälschten Plebiszits eine neue Verfassung einführen, die ihm weitere Amtszeiten ermöglichte, womit er theoretisch bis zum Lebensende an der Macht bleiben konnte.
Gegen dieses Statut kam es zu flächendeckenden Protesten im Land, die von Condé’s Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden. Dutzende Demonstranten kamen ums Leben. Im Oktober 2020 erklärte sich Conde in unfreien und manipulierten Präsidentschaftswahlen zum Sieger gegen den liberalen Oppositionskandidaten Ceilou Dalein Diallo, obwohl Letzterer die meisten Stimmen hinter sich vereinen konnte. Die sodann einsetzende massive Unterdrückung der Opposition dauerte bis in die Gegenwart. Viele guineischen Oppositionspolitiker erlebten den Militärputsch am 05. September in Haft oder im Exil.
Die letzten Monate von Condés Regierung glichen dann eher einer shakespeareschen Tragödie als irgendeiner Form von Regierungshandeln. Der Despot wähnte sich von Feinden im In – und Ausland umzingelt. Außenpolitisch hatte er sich in der Sub-Region seit langem isoliert und auch innerhalb seines Machtapparats traten in letzter Zeit immer häufiger Spannungen auf. Condé vertraute schließlich niemanden mehr, mied größere Versammlungen und verließ selten seinen Palast. Es ist dann auch eine Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet von den Militärs gestürzt wurde, die er selber geschaffen hatte: Die militärischen Spezialkräfte GFS, die den Putsch anführten, waren von Condé als Sondereinheit erst 2018 geschaffen worden, und unterstanden ihm direkt und nicht dem Verteidigungsministerium. Diese gut ausgerüstete Truppe wandte sich schließlich gegen ihn.
Was ist nun die Zukunft für das gebeutelte Land? Angesichts der verheerenden Bilanz dieser letzten elf Jahre, ist es nicht verwunderlich, dass es in der Hauptstadt Conakry am Montag spontan zu Jubelszenen kam. Der Führer der Junta, Oberstleutnant Doumbouya, hat in seinen Verkündigungen von einer Transitionsperiode, einer neuen Verfassung, Wahlen und einer Regierung der nationalen Einheit gesprochen. Zudem wurde die Freilassung aller politischen Gefangenen zugesagt; erste wurden am Dienstag aus der Haft entlassen. Es bleibt allerdings die Frage, wie ernst diese Ankündigungen genommen werden dürfen. Die turbulente Geschichte Guineas hat gezeigt, dass Militärs an der Macht diese auch gerne behalten. Auch wenn der „Coup d’etat“ als ultima ratio der Staatserhaltung heutzutage grundsätzlich keinen Platz mehr in der Völkergemeinschaft haben sollte, wird er sich in Guinea nicht wieder rückgängig machen lassen. Der internationalen Gemeinschaft kommt hier insofern eine besondere Rolle zu. Sie wird darauf bestehen müssen, dass es zu einer Rückkehr zu einer zivilen Regierung durch demokratische Wahlen kommt. Auch wird sie die Transitionsphase und die anschließenden Wahlen penibel genau überwachen müssen. Guinea ist zwar kein großer Empfänger von Entwicklungsgeldern, doch ist es ein extrem importabhängiges Land. Es könnte möglichen Sanktionen nicht lange standhalten. Druckmittel auf die Militärregierung wären also durchaus vorhanden.
Allem voran ist hier die EU und die westafrikanische Regionalorganisation ECOWAS gefragt, sich deutlich zu positionieren. Für die ECOWAS geht es dabei auch um die eigene Glaubwürdigkeit als Organisation demokratisch legitimierter Staaten. So gab es in den letzten 12 Monaten in den ECOWAS Ländern Mali, Niger und jetzt in Guinea Putsche oder Putschversuche, was die Instabilität der Region nochmal deutlich vor Augen führt. Analog zum Vorgehen in Mali ist daher zu erwarten, dass ECOWAS einen Transitionskalender und einen festen Termin zur Rückkehr zu einer zivilen Regierung einfordern wird.
Alle kommenden gewählten Regierungen in Guinea werden jedoch vor den enormen Herausforderungen stehen, ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen. Vertrauen in das politische System und die staatlichen Institutionen muss neu geschaffen werden; dazu muss die Unabhängigkeit der Justiz gefestigt und damit die Kultur der Korruption wirkungsvoll bekämpft werden. Parallel muss mit wirtschaftlichen Reformen der Bevölkerung eine Zukunft und mit den Erlösen aus dem Rohstoffexport besonders jungen Menschen eine Bildungs- und Bleibeperspektive eröffnet werden.All das wird eine Herkulesaufgabe für den, der sie übernimmt.
Jo Holden ist Projektleiter für (Westafrika mit Sitz in Dakar / Senegal.