EN

Westbalkan
Lieben und frei leben …

Zum Tod des Ausnahmekünstlers, nostalgischen Störfaktors und Virtuosen des Wortspiels, Sir Đorđe Balašević
Đorđe Balašević, Zagreb
© Đorđe Balašević, FOTO: Neja Markicevic/Cropix

Am 19. Februar 2021 verstarb Ex-Jugoslawiens Ausnahmekünstler Đorđe Balašević an einer Lungenentzündung verursacht durch Covid-19. Er starb in seiner Heimatstadt Novi Sad, Serbien. Drei Monate vor seinem 68. Geburtstag und vierzehn Monate nach einem Herzinfarkt und vier implantierten Stents.

"Jetzt bin ich ein Stent-Up-Comedian, sie haben mir vier Stents implantiert."

(18.12.2019 bei seinem Konzert in Osijek, Kroatien)

Đorđe Balašević war vor allem Poet, Schriftsteller aber auch Liedermacher, Musiker. Mit seinem Lied „Panonski mornar“ (Pannonischer Seemann) gewann er 1979 bei einem Muskifestival in Split die Stimmen und Herzen des Publikums. Als Debütant, der in serbischer ekavica (Aussprache) sang, als Seemann eines nicht mehr existierenden - des Pannonischen, lang verschwunden - Meeres, dessen Teil die serbische Provinz Vojvodina war, und das ausgerechnet in Split, einer kroatischen Hafenstadt mit echtem, existierenden Meer.

Es folgten Lieder, durch die jeder, der sie hörte, viel über Tradition, Esskultur, Toponyme, lokalen Sprachgebrauch der serbischen Provinz Vojvodina und dessen Hauptstadt Novi Sad erfuhr. Liebeslieder, die Lebensgeschichten in sich bargen und wie Minispielfilme daherkamen. Er prägte mit seinem herausragenden Talent - Gefühle in filigrane Sätze und Worte zu fassen - nachhaltig die ganze Ex-YU Landschaft. Jeder, der sein Opus kennt, entdeckt zumindest ein Segment seines eigenen Lebens in einem dieser Lieder. Sein Feingefühl für die ’slavische Seele’ war sein Erfolgsrezept und gleichzeitig sein Fluch.

Das Antikriegslied "Samo da rata ne bude" (Nur keinen Krieg soll es geben) - 1987 veröffentlicht, könnte man als Vorhersage interpretieren:

Betrunkene Burschen laufen unsere ruhige Straße entlang,

sie gehen zur Armee, ihnen folgen traurige Mädels,

Sie machen sich Sorgen um verrückte Vorahnungen – Nur keinen Krieg soll es geben!

...

Weißt du was, solle das Meer alles versenken,

die Gletscher zerbrechen, der ewige Schnee schmelzen.

Na und, solle der Regen nicht aufhören,

die Donner wahnsinnig werden, nur keinen Krieg soll es geben!

Weißt du was, lasse die Zeiten sich drehen,

die Sterne sich beunruhigen, die Berge sich bewegen.

Na und, Winde sollen durchdrehend stürmen,

Vulkane aufwachen, nur keinen Krieg soll es geben!“

 Vier Jahre nach diesem Lied (1991) begann der blutige Zerfall Jugoslawiens.

In Belgrad hatte er von 1991 bis 2000 keinen Zutritt zu öffentlichen Medien. Er war ein scharfer Kritiker des verstorbenen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević.  

Nach 2012 kam es erneut zu einem Bruch, weil er es nicht lassen wollte und konnte, durch Verse und Reime auch das gegenwärtige politische Establishment zu kritisieren. Sein erster TV-Auftritt erfolgte erst Jahre später beim staatlich unabhängigen Sender N1 (2018).

Das erste Nachkriegskonzert fand in Sarajevo 1998 statt. Unter dem Slogan: Bewegungsfreiheit und Versöhnung. Es war in zwei Tagen ausverkauft, ohne jede Reklame. Zagreb in 2002 - ausverkauft! Ohne Medienankündigung, ohne Plakate. Es dauerte exakt vier Stunden und 50 Minuten.

Seine Konzerte dauerten immer mindestens vier Stunden und waren stets ausverkauft. Er sang nicht nur, sondern unterhielt sich mit den Menschen. Er kommunizierte mit dem Publikum, als würde er jeden persönlich kennen, von jedem seinen Schmerz, seine Trauer, sein Leid fühlen. Doch noch immer schaffte er den Sprung von Trauer zur Freude wie kein anderer. Durch sein virtuoses Wortspiel, eine Kunst des Unterhaltens durchsetzt mit Liebe vor allem, der Liebe zum Menschen ohne jeglichen Vorbehalt. Seine Auftritte waren ein Gefühlskarussell.

Daher auch die Trauer von Vardar (Fluss in Nord Mazedonien) bis Triglav (Berg in Slowenien). Daher auch die vielen Menschen, die sich spontan in Maribor, Zagreb, Sarajevo, Pula, Split, Podgorica, Novi Sad, Belgrad versammelten, Kerzen anzündeten und seine Lieder sangen.

Daher auch ein zweistündiger Beitrag am Abend seines Todes im staatlichen kroatischen Sender HRT2: ein Konzert aus Pula in 2019. Sportler, Sänger, Schauspieler wie auch Politiker aus der Region sprachen ihr Beileid aus, erzählten Anekdoten und teilten ihre tiefe Trauer. Viele von ihnen mit Tränen in den Augen. Als wäre ihnen allen das letzte Puzzleteilchen einer ewigen Verbundenheit genommen. Ein Phänomen, welches manche als Jugo-Nostalgie bezeichnen mögen, andere wiederum als Wertschätzung dessen, woran man glaubte. Werte, die er durch seine Lieder den Menschen nahebrachte: lieben und frei leben.

Der staatliche serbische Sender RTS1 rüttelte sich schließlich auch wach und strahlte eine Sendung aus dem Jahr 2008 mit ihm aus, jüngeres Filmmaterial gab es offensichtlich nicht. Überwältigt von den Reaktionen der Nachbarländer musste man mehr bieten, also kam am Sonntagabend, zwei Tage nach seinem Tod, eine Sondersendung In Memoriam mit Studiogästen, die ihn gut kannten, und mit Schauspielern und Musikern, die abwechselnd seine Lieder sangen. Die Frage, die wie ein Elefant im Raum stand – warum man ihn über Jahre hinweg gecancelt hatte - wurde aber leider nicht gestellt.

Beerdigt wurde er in Novi Sad am 21. Februar 2021 – auf ausdrücklichen Wunsch der Angehörigen - im engsten Familien- und Freundeskreis. Anwesend waren die Bürgermeister von Novi Sad und Ljubljana (Slowenien). Den Weg zum Grab begleitete das Tamburitza Ensemble, das seine berühmtesten Lieder spielte.  Ohne große Reden, wie in seinem Lied „Slovenska“ aus 1985.

Sollte ich jung sterben

Pflanze nur Rosmarin auf mein Grab

Lass nicht zu, dass es zu einem traurigen dritten Akt wird

Sie sollen mir keine Reden halten

Lasse sie anderen Lorbeerkränze flechten

Sollte ich jung sterben

Im Schritt und Traum angehalten

Der 21. Februar wurde zum Trauertag in Novi Sad erklärt, obwohl sich seine Fans gewünscht hätten, es wäre ein Trauertag in ganz Serbien, oder noch weiter und weiter und weiter …