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Guatemala
Stichwahl in Guatemala – zwischen Überraschung und Ungewissheit

Wahlveranstaltung Guatemala

Unterstützer von Bernardo Arévalo auf seiner Abschlusskampagne in Guatemala City

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Moises Castillo

Am 20. August sind die Guatemalteken aufgerufen, in einer Stichwahl das künftige Staatsoberhaupt ihres Landes zu wählen. Laut letzten Umfragen würde sich Bernardo Arévalo der linken Partei Semilla („Samenkorn“) mit 53,6% der Stimmen gegen Sandra Torres (29%) der links orientierten sozialdemokratischen Partei Unidad Nacional de la Esperanza („Nationale Einheit der Hoffnung“) durchsetzen. 17,4% der befragten Guatemalteken wollen wie schon beim ersten Urnengang ungültig wählen.

Die beiden Kandidaten haben im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinen können (Sandra Torres 21,10% / Bernardo Arévalo 15,51%), das war im Fall von Arévalo besonders überraschend. In den Umfragen vor den Wahlen des 25. Juni erreichte er weniger als 3% der abzugebenden Stimmen.

Wie erreicht Arévalo also die Stichwahl?

Die von den aktuellen und vergangenen Regierungen enttäuschten guatemaltekischen Wähler haben ihr Vertrauen in die derzeitigen Mandatsträger verloren und für einen Kandidaten gestimmt, der verspricht, die überbordende Korruption auf allen Ebenen zu bekämpfen. Denn genau diese Korruption hemmt die Umsetzung von Lösungen zur Bekämpfung der extremen Armut und Unterernährung ebenso wie eine reale wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Für Arévalo stimmen nicht unbedingt nur Wähler des linken Spektrums, in Umfragen werden nur 6% der Befragten im linken Lager angesiedelt. Viele junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren werden eher als potentielle Wähler der mitte-rechts und konservativen Parteien identifiziert (28% der Befragten), unterstützen im derzeitigen Wahlprozess aber den linken Kandidaten, sie sind die korrupten Machenschaften der traditionellen Parteien leid.

Arévalo ist laut Experten weniger ein ideologisches Phänomen. Natürlich gibt es radikalere Führungskräfte in seiner Partei, die man im Auge behalten muss, sie nehmen an akademischen linksorientierten Diskussionen teil und sympathisieren mit Podemos in Spanien. Wieviel tatsächlichen Einfluss sie auf Arévalo haben können, wird sich zeigen. Der mögliche künftige Präsident des Landes wirkt hingegen eher moderat bis konservativ. Der Kandidat spricht im Wahlkampf nicht mehr über gleichgeschlechtliche Ehe und auch nicht mehr über das Recht auf Abtreibung.

Sandra Torres wird wahrscheinlich nicht wesentlich mehr Stimmen als in den Umfragen auf sich vereinen können, weil ihre Partei schon einmal eine erfolglose Regierung (2008-2012) gestellt hat. Zwar haben die Jugendlichen von heute diese nicht selbst bewusst erlebt, aber ihre Eltern berichten davon. Hinzu kommt, dass Sandra Torres zwar eine hohe Medienpräsenz hat, aber keine wirkliche Sympathieträgerin ist.

Regierungsprogramme

Während Sandra Torres die Steuern auf Benzin, Medikamente und Grundlebensmittel senken will, setzt Arévalo eher auf den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Er hofft auf die Einnahme der Steuern als Finanzierungsquelle für seine Vorhaben. Arévalo verspricht eine verantwortungsvolle, effiziente Handhabung der Staatsausgaben und die Schaffung eines Fonds für Innovation und Produktion.

Beide Kandidaten kündigen effiziente Dienstleistungen (Strom, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung) an.

Torres Regierungsprogramm sieht die Zusammenführung von Polizei und Militär für gewisse Aufgaben im Sicherheitsbereich vor, während Arévalo die Polizei durch Anstellung und Ausbildung neuer Kräfte stärken will.

Sowohl Sandra Torres als auch Bernardo Arévalo kündigen einen offenen Kampf gegen die Korruption an, Torres‘ mit vagen Aussagen zum Thema Transparenz, Arévalo durch die Einbindung in multilaterale Foren und internationale Mechanismen, durch Stärkung der Aus- und Fortbildung der Beamten.

Schließlich steht Torres im Vergleich zu Arévalo nicht eindeutig für konkrete Reformen ein. Semilla beabsichtigt eine Wahlrechtsreform, eine Reform des Strafgesetzbuches sowie die Schaffung eines Gesetzes, das klare Regeln im Bereich Wettbewerb aufzeigen soll.

Der Versuch, den Überraschungskandidaten auszubremsen

Die traditionellen Parteien sahen mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs ihre Macht schwinden und forderten eine Neuauszählung der Stimmen ein, der nicht stattgegeben wurde, weil es keinen realen Grund gab, das Ergebnis des ersten Wahlgangs anzuzweifeln.

Das oberste Wahlgericht kündigte sodann offiziell die Kandidaten für den zweiten Wahlgang an: Sandra Torres und Bernardo Arévalo. Gleichzeitig verkündete die Staatsanwaltschaft jedoch, der Partei Semilla sei die Registrierung entzogen. Angeblich weil Semilla bei der Anwerbung neuer Mitglieder 2022 Unterschriften gefälscht haben soll. Verfassungsrechtlich darf einer Partei, die sich an einem Wahlprozess beteiligt, die Registrierung allerdings nicht entzogen werden.

Das oberste Wahlgericht hielt dem Druck der guatemaltekischen Justiz stand und ratifizierte am 13. Juli seine Entscheidung hinsichtlich der Durchführung des zweiten Wahlgangs mit den oben genannten Kandidaten. Die Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof begrüßt. Die Anklage gegen die Partei Semilla läuft allerdings weiter.

Selbst wenn sich die Anklage gegen Semilla bewahrheiten sollte und der Partei tatsächlich die Registrierung entzogen würde, könnte Bernardo Arévalo auch parteilos regieren. Das Gesetz sieht vor, dass die vom Obersten Wahlgericht verkündeten Ergebnisse einer Wahl nicht für ungültig erklärt werden können. Die Herausforderung bestünde für Arévalo dann allerdings in der Zusammensetzung seines Kabinetts. Bis Amtsantritt am 15. Januar 2024 bleibt die Lage rings um Semilla ungewiss. Es muss abgewartet werden, wie die guatemaltekische Justiz in diesem Fall entscheidet.

 

Elisabeth Maigler ist Projektleiterin des Projektbüros Zentralamerika der Friedrich-Naumann Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Guatemala.