#JetztMutMachen
Zurück zur Marktwirtschaft – so schnell wie möglich
Mit atemberaubendem Tempo übernimmt der Staat in der Wirtschaft das Sagen. Erst wird das ökonomische Treiben gelähmt. Dann ein gewaltiges Hilfsprogramm aufgelegt. Ein gefährlicher Weg, den wir so schnell wie möglich wieder verlassen müssen.
Die Zerstörungskraft der Corona-Pandemie erschüttert. Nicht nur Menschen fallen ihr zum Opfer. Auch das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem der Nachkriegszeit wird im Mark getroffen. Jahrzehntelang gepflegte Abläufe parlamentarischer Entscheidungsverfahren werden abgeschwächt, abgekürzt, ausgehebelt oder gar aufgegeben.
Starke politische Führungspersönlichkeiten reizen Spielräume von Verfassungen und Gesetzen aus, um sich als harte Macher für höhere Ämter zu profilieren. Alte Gesetzmäßigkeiten werden über Nacht per neue Dekrete außer Kraft gesetzt. Nicht einmal die Dinge, die fest verankert scheinen, bleiben tabu. Der normale Alltag wird gekappt, die Mobilität halbiert, die Wirtschaft in weiten Teilen stillgelegt.
In Windeseile werden Anordnungen erlassen, die Notstandsmaßnahmen nahekommen. Individuelle Grundrechte werden eingeschränkt, andere aufgehoben – wie beispielsweise die Versammlungsfreiheit. Die Schließung von Bildungseinrichtungen, Geschäften, Gaststätten und Hotels wird erzwungen – ebenso die Einstellung von Kultur-, Sport- und Freizeitbetrieben.
Zwischen komplett ineinander verflochtenen Stadtstaaten und ihrem Umland werden Landesgrenzen hochgezogen. Wer zwischen Bundesländern pendelt, muss mit Polizeikontrollen und Zurückweisungen rechnen.
Mit atemberaubendem Tempo übernimmt der Staat in der Wirtschaft das Sagen. Erst wird das ökonomische Treiben gelähmt. Dann wird mit einem historisch einmalig gewaltigen Hilfs- und Unterstützungsprogramm den Notleidenden geholfen.
Ämter und staatliche Agenturen sorgen bei Betrieben anstelle von Kunden und Banken für Einnahmen und Kredite. Ebenso bezahlen sie an Beschäftigte und Selbstständige Löhne und Ersatzleistungen aus. Wo das nicht für ein ökonomisches Überleben genügt, geht der Staat noch weiter und übernimmt in Form von Beteiligungen unternehmerische Risiken.
Mit Marktwirtschaft hat das alles wenig bis nichts zu tun. Eher kommt es zu einer schleichenden Verstaatlichung der Ökonomie. So ist es die Politik, die nun den Takt vorgibt. Sie wird die nächsten Wochen oder gar Monate bestimmen, wer wann was wieder tun darf und wie lange andere Dinge (noch) zu lassen sind.
Technokraten und Experten haben das Sagen, wann und wie Betriebe wieder loslegen dürfen, Grenzen – auch zwischen Bundesländern – wieder frei passierbar sind, Produktion und Dienstleistungen hochgefahren werden können. Somit ist es nicht unternehmerisches Geschick oder Initiative, sondern das Wohlwollen der Politik, das für viele Betriebe über Sein oder Nicht(mehr)sein entscheiden wird.
Es geht nicht darum, Politik und Regierung(en) dafür zu kritisieren, dass der Lockdown zu streng war und die nun schrittweise folgenden Lockerungen zu geringfügig seien. Die Gemengelage war und ist mehr als komplex. Zu vieles ist und bleibt momentan und wohl noch für lange Zeit ungewiss, unsicher und unbestimmbar.
Deshalb darf fairerweise von niemandem erwartet werden, den Knoten einfach so zu durchhauen und die einzig richtige Lösung aufzuzeigen. Es kann nur ein langsames, graduelles Vorantasten an eine noch weitgehend unbekannte neue Normalität geben.
Was jedoch unauslöschlich als bedrückende Erinnerung bleiben wird, ist die Rasanz, mit der die Marktwirtschaft dem staatlichen Diktat weichen musste. Was im Kampf gegen die Corona-Pandemie als politisch alternativlos bewertet wurde, rechtfertigte Maßnahmen, die künftig und für immer zum Maßstab werden, was Bevölkerungen in Notzeiten an staatlicher Hilfe erwarten werden.
Politik und Staat haben Marktwirtschaft und Bevölkerung unmissverständlich klargemacht, wie schnell und umfassend sie individuelle Grundrechte und unternehmerische Entscheidungen außer Kraft setzen können. Das mag als Reaktion auf die Corona-Pandemie angemessen und richtig gewesen sein.
Wer jedoch wird wann und bei welcher Gelegenheit die nächste Notlage von nationaler Tragweite geltend machen, die legitimieren wird, die marktwirtschaftliche Grundordnung auszuschalten und durch eine Staatswirtschaft zu ersetzen? Wer wird Geist und Seele von Grundgesetz und Grundrechte verteidigen, wenn der Zeitgeist nach Notstandsgesetzen verlangen wird?
Weitere Krisen werden folgen
Wie wollen und können Politik und Regierungen in Zukunft jemals wieder von einzelnen Betroffenen individuelle Opfer abverlangen, um in und nach Krisen eigenständig und selbstverantwortlich Wege zurück in die Normalität zu finden und zu gehen? Wie wird man künftig in schlechten und schwierigen Zeiten Betrieben staatliche Überlebenshilfen oder Beschäftigungslosen großzügigeres Arbeitslosengeld oder Rentner(inne)n höhere Renten verweigern können? Die staatlichen Milliardenhilfen von heute wecken die Erwartungen Millionen Notleidender von morgen.
Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Krise sein. Andere Viren, biologische, chemische und auch elektronische Infektionserreger werden folgen und Bevölkerungen bedrohen. Genauso werden technologische Umwälzungen wie die Digitalisierung oder die Datenökonomie mit ihren Optimierungsalgorithmen Gesellschaften vor schwerwiegende Herausforderungen stellen.
Wie aber wird man ebenso radikale und umwälzende Staatseingriffe wie während der Corona-Pandemie künftig ablehnen können, wenn Menschen, Firmen und ganze Branchen um ihr ökonomisches Überleben kämpfen werden? Ab wann und in welcher Größenordnung werden Politik und Staat eingreifen, wenn Roboterisierung, autonome Mobilität, selbstlernende Systeme und künstliche Intelligenz Hunderttausende oder Millionen herkömmliche Jobs überflüssig machen werden? Das heutige Handeln der Politik setzt die Maßstäbe für künftiges Tun von Regierungen. Und da wird man die nun geöffnete staatliche Büchse umfassender Hilfe nur schwerlich wieder schließen können.
Marktwirtschaft ist nicht alles. Sie ist aber deutlich besser als eine staatliche Planwirtschaft in der Lage, einen Wohlstand für alle zu ermöglichen. Die deutsche Geschichte der Nachkriegszeit und der Vergleich zwischen dem kapitalistischen Westen und dem sozialistischen Osten beweist das in dramatisch eindrücklicher Weise.
Selbstverantwortung und Haftung für das eigene unternehmerische Handeln, Eigeninitiative und eine funktionierende Marktwirtschaft dürften für eine Rückkehr zum Wohlstandsniveau vor der Krise bessere Voraussetzungen als jede planwirtschaftliche Alternative bieten.
Eine Verstaatlichung der Wirtschaft ist keine Bagatelle, sondern ein ökonomischer Irrweg. Ihm zu lange und zu weitgehend zu folgen kann längerfristig mehr Menschen stärker gefährden, als man durch eine kurzfristige Politik zu retten hofft. Deshalb gilt es, so rasch wie möglich zur Marktwirtschaft zurückzukehren!
Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und Kuratoriumsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Der Artikel ist erstmals am 15. April auf Welt.de erschienen.